Leget nun ab alle Bosheit

Ist nicht ein Gegensatz vorhanden zwischen Jak. 1,21 und 1. Petri 2,1, indem Jakobus nur „alles Übermaß von Schlechtigkeit“ abzulegen ermahnt, während Petrus sagt: „Leget nun ab alle Bosheit ...!“

Antwort des Schriftleiters

Ja, ein Gegensatz wäre tatsächlich vorhanden, wenn die Übersetzung, die der Jakobusstelle hier zugrunde liegt, die richtige oder, vorsichtig gesagt, die einzig mögliche und wahrscheinliche wäre. Wenn wir Gläubigen nur das Übermaß von Schlechtigkeit ablegen sollten, die Schlechtigkeit (Bosheit) selber aber ruhig im Herzen weiter wirken lassen dürften, so wäre nicht nur ein Gegensatz vorhanden gegen die Petrusstelle, sondern vor allen auch gegenüber der Lehre des Paulus, wie denn ja sowieso so oft gefaselt wird, zwischen Paulus und Jakobus bestünden tiefgreifende Gegensätze. Das ist nicht wahr, sondern jeder behandelt den Glauben von besonderen Gesichtspunkten aus. Das nur beiläufig, aber wenn Paulus sagt: „Haltet euch der Sünde für tot” (Röm. 6), oder wenn man z. B. nur Kol. 3,5-11 liest, dann möchte man doch sagen: Da ist doch Jakobus der mildere, der erlaubt das Böse in uns, aber vor dem Übermaß von Bosheit sollen wir uns hüten! Andere Ernstere wiederum könnten verzweifelnd sagen: Ach, es nützt ja doch alles nichts, der gleiche biblische Schreiber, der da sagt: „wir alle straucheln oft (mannigfaltig)” (3,2), der empfiehlt auch, nur die groben Dinge abzulegen, die Bosheit selbst bleibt doch drinnen! Es hilft nichts, wir bleiben gebunden, gefangen in der Sünde, die heiligen Schreiber helfen einem nicht, geraten nur noch selber in Gegensätze gegeneinander; es ist zum Verzweifeln! Und wo ist die Grenze nach oben oder unten, wenn nur „das Übermaß der Bosheit” abgelegt werden soll? Ja, so wäre es, wenn diese Übersetzung die einzig mögliche wäre! Und wer auf seine „Elberfelder Übersetzung” pocht und keine, wenigstens zum Vergleichen, daneben nötig zu haben meint - wie so oft haben die „Handreichungen” empfohlen, andere Übersetzungen mit zum Vergleichen zu nehmen, wenn wir auch für den gewöhnlichen Gebrauch die Elberfelder Bibel vorziehen! - der gerät in solche „Zwickmühlen”, wie diese ist, und der könnte, wenn er danach handelt, wie die Elberfelder Übersetzung diese Stelle wiedergibt, zu einer sehr lockeren Auffassung über Sünde und Bosheit kommen. Aber in der Praxis würde er sich vor ernstere Schwierigkeiten gestellt sehen und dann doch wohl lieber nach 1. Petr. 2,1 handeln als nach der unverstandenen Jakobusstelle.
Wie ist nun aber dieser Schwierigkeit Herr zu werden? Und wie kommt die „Elberfelder Bibel”, die doch nach dem Grundtext zu richten sich bemüht, zu dieser Übersetzung? Nun, zunächst heißt das dort wie an vielen Stellen gebrauchte Wort des griechischen Grundtextes (mit den Wortabarten) ganz gewiß „Übermaß”, „Überfluß”, „Überschwänglichkeit”, und der Übersetzer mag vielleicht die Vorstellung haben, dass die Bosheit an sich schon ein Übermaß von Bösem ist, so dass mit „Übermaß der Bosheit” nur das übermäßige Böse an sich gemeint ist. So werden wir aber ermahnt, das Böse, das ja an sich schon übermäßig sei (nämlich gegenüber dem Zustand, der im zweiten Teil des Verses uns ans Herz gelegt wird), abzulegen. Aber gleichwohl ist die Übersetzung für den einfachen Bibelleser irreführend, da er nicht darauf kommt, das Ganze als einen Begriff aufzufassen, sondern er muss in seinem unkomplizierten Denken einen Unterschied zwischen dem Bösen an sich und dem Übermaß desselben machen. Das ist wohl klar!

Es wäre wirklich gut, wenn bei einer Bibelübersetzungsrevision diese Schwierigkeit beseitigt und wenn sie in die in Arbeit befindliche Elberfelder Bibelkonkordanz gar nicht erst hineinkäme! Es gibt so schöne deutliche Übersetzungen dieser Stelle, dass es nicht schwer ist, hier klar zu sehen und ebenso klar zu lehren!

Ehe ich die mich am meisten befriedigende Übersetzung angebe, setze ich hierher, wie bei früheren Gelegenheiten auch schon geschehen, Übersetzungen anderer Bibelausgaben:

Allioli (kath.): „allen Auswuchs der Bosheit” (ebenso Weizsäcker);
v. Eß (kath.): „alle Überreste der Bosheit”;
Menge: „den letzten Rest der Bosheit”;
Miniaturbibel: „den ganzen Vorrat von Bosheit”;
Wiese: „jeden Überrest böswilliger Gesinnung”.

Ich denke, das genügt! Luther übrigens sagt einfach „alle Bosheit”; der will mit dem Wort „alle” auch wirklich alles gesagt sein lassen.
Sind denn nun diese Übersetzungen erlaubt? Durchaus, vor allem, wenn man das griechische Wort oder ihm stammverwandte häufige Worte an folgenden Stellen vergleicht, z. B. Mt. 14,20; 15,37; Mk. 8,8; Lk. 9,17; Joh. 6,12.13. Hier heißt es doch ganz offensichtlich die „übriggebliebenen” (Brocken), und so meine ich, dass die befriedigendste Übersetzung sein dürfte: „leget ab alle Überbleibsel der Bosheit” (vgl. v. Eß und Menge!). Ich hoffe, mit dieser Angabe denen einen Dienst zu tun, die Schwierigkeiten haben, weil sie entweder mit dem Worte „Übermaß” sich nicht zufrieden erklären können oder weil sie fürchten, nie zu einem Leben des Sieges gelangen zu können. Es ist für solche doch geradezu beruhigend, sich sagen zu dürfen: das Grobe ist schon am Kreuz gesühnt, getragen, besiegt, beseitigt durch meinen Herrn Jesus Christus, aber die Reste, die Überbleibsel, die aus dem Untergrund unserer alten Natur, unseres „Ichs”, noch mal aufsteigen können, die habe ich in der Kraft des Kreuzes persönlich abzulegen, von denen soll ich mich im täglichen Leben lösen, praktisch nichts mit solchen „Überbleibseln” zu tun haben wollen: weg damit, sie hindern, sie sind keinem zum Segen, es dient mir zum Leid und anderen zum Unsegen, wenn ich mich nicht zu lösen vermag von allen geistlichen Unsauberkeiten und jedem an die Oberfläche meines Lebens dringenden Überbleibsel von Bosheit, einer Bosheit, die seit Christi Tod und Auferstehung keine Lebensberechtigung mehr für die hat, die nach Seinem eigenen Willen durch das Wort der Wahrheit gezeugt sind, auf dass sie eine Erstlingsfrucht Seiner Geschöpfe seien. (V. 18)

Also auch hier bei Jakobus wie bei Petrus, wie bei Paulus (wie auch bei Johannes in anderen Worten) das „leget ab!” Das radikale, uneingeschränkte „leget ab!” Der Totalitätsanspruch des HERRN an unser neues, geistliches, Ihm geweihtes Leben! Wie ernst ist das, aber auch wie heilig-herrlich, weil es möglich ist, möglich durch die Wirkung Seines Geistes, der Sein Wort uns zur Lebenskraft macht. (V. 21b.22!) Gelobt sei Gott!

Und was gehört z. B. zu solchen „Überbleibseln” der Bosheit, die abzulegen sind? O alles kann dazu gehören, sicher aber sind bei Jakobus die Sünden der Zunge vor allem mit eingeschlossen. (Vgl. V. 26 und Kap. 3!) Wieviel Leid richten sie an, wieviel Elend in den Häusern und in den Gemeinden! Meint Petrus das nicht auch mit, gerade in 1. Petr. 2,1? Ach, Geliebte, alle Apostel warnen davor, ja, die ganze Schrift tut es (Sprüche Sal.!), und warum? Weil es etwa nicht nötig wäre? O wie so nötig haben wir solche Warnungen! Der HERR gebe uns Gnade - und Er tut es auch -, lasst sie uns nur nehmen (Hebr. 12,28!), um die ganze Ermahnung von Jak. 1,21 recht praktisch auf uns anwenden zu können Tag für Tag, bis hin zum nicht mehr fernen Ziel! Und dann geht's heim zu Ihm in die dann tatsächliche „Ewige Freiheit” von allen Gebundenheiten, die uns hienieden noch zu schaffen machten. „Leget ab!” (Jak. 1,21; 1. Petr. 2,1; vgl. Röm. 13,12; Kol. 3,8 u. a.)
Der HERR sei gepriesen für Sein kostbares Wort!
F. K.


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 20 (1935)