Antwort
Thomas war kein feuriger Petrus, kein Sanguiniker, aber darum auch keiner, der „den Mund voller nahm”, als sein Herz ihn antrieb! Er war jedoch auch kein sogen. Pessimist oder „Schwarzseher”, auch kein moderner Zweifler (vgl. Jahrb. 8, Seite 151!), auch kein Durchschnittsmensch, der den Ereignissen kühl und gleichgültig gegenüberstand, auch kein berechnender etwa religiöser Politiker usw., usw. Man verstehe nicht falsch! Es sei beileibe kein Schatten geworfen auf andere Jünger des HERRN, sie alle, soweit sie echte Jünger waren, hatten ihre Vorzüge wie auch ihre Fehler (und es ist heute ebenso) - aber dem Charakter des Thomas wird man meistens wenig gerecht. Er scheint ein sehr tief veranlagter Mensch gewesen zu sein, der alles sehr ernst nahm und sich nicht mit weniger als ganzer Hingabe - so wie er sie verstand -zufrieden gab. Ist es nicht wunderbar zu sehen, welche unsagbar tiefen Unterweisungen gerade auf die uns überlieferten Worte des Thomas an den Herrn Jesus aus dessen holdseligem Munde hervorkommen? Man vgl. Joh. 14,5ff. und 20,28f.! Das erste Wort, welches wir von Thomas hören, ist das obiger Frage. Es ist ein Wort an seine Mitjünger und beschließt den ersten Abschnitt jener Reise des HERRN nach Bethanien, die - obwohl Leben in sich bergend, Leben für Lazarus - für den HERRN am Kreuz endete. Thomas in seiner tiefen Herzensliebe dachte wohl noch an das, was die Jünger vorher zum HERRN gesagt hatten (V. 8), um Ihn zu warnen. Er, dessen erkenntnisarme Liebe ihn selbst am Ostertage trauernd in Zweifel ferne sein hieß, so dass er erst acht Tage nach Ostern der Seligkeit, den Auferstandenen zu sehen, teilhaftig wurde, er sieht in dem Wege des geliebten Meisters nach Bethanien nur Unheil, aber nicht wie ein „Schwarzseher”, der sich diesem Unheil zu entziehen trachtet, sondern wie ein liebender Freund, der den größten, treusten aller Freunde nicht einen Augenblick allein lassen will. Er sagt nicht wie später der sich selbst zu wenig kennende, wenn auch so gern treu sein wollende, aber vom HERRN gewarnte Petrus: „Und wenn ich mit Dir sterben müßte, so werde ich Dich dennoch nicht verleugnen” - und wie hat er Ihn verleugnet! -, sondern er ist tatsächlich bereit, den Todesweg mit dem HERRN zu gehen und fordert die anderen dazu mit auf. Dass dieser Todesweg über die Station des größten Wunders einer Totenerweckung gehen würde, verstand Thomas nicht (V. 11-13), es hätte ihn auch kaum viel berührt, wenn er es verstanden hätte - er sah den Tod des Meisters voraus und war bereit, dessen Los zu teilen. Welche Liebe und Treue!
Sind wir's auch, geliebte Geschwister? D. h. für uns heute, die wir Tod und Auferstehung des HERRN hinter uns wissen und als Grundlage unserer ewigen Rettung, unseres ewigen Geborgenseins vor dem Gericht und dem zweiten Tode, sind wir bereit, mit Ihm als geistlicherweise Gestorbene (vgl. „Lazarus, der Gestorbene”, nach Joh. 12,1 in dem gleichbetitelten Aufsatz in Jahrbuch 5!) gekannt zu sein, die nicht nur in dem Werte Seines Todes vor Gott stehen, sondern die durch diesen Tod geschieden sind von der Welt und ihrem Wesen? Der Tod bedeutet stets Trennung! Sein Tod bedeutet Trennung, Gelöstsein von jeder Form der Welt, durch die Seine freiwillig an die Erde gebundenen Füße schritten, Trennung von einer Welt im moralischen und religiösen Sinne, der Sein Wesen strikte entgegengesetzt war, die Er stets und ständig verurteilte, weswegen Er von ihr hinausgetan wurde. Sind wir bereit, mit Ihm den Weg des Todes und der Verwerfung zu gehen? Wollen wir als Menschen, denen geistliches Verständnis zuteil geworden ist, hierin dem Thomas gleichen, dass wir aus Liebe zu Dem, der für uns starb, auch mit ganzer Herzens- und Lebenshingabe Seinen Platz, den Er hienieden einnahm, mit Ihm teilen wollen? Sterbenwollen, geistlich Sterben kostet Aufgeben alles dessen, was einem natürlich und seelisch lieb und wert ist. Aber Er ist es alles wert. Und „wenn wir mit Ihm leiden, werden wir auch mit Ihm verherrlicht” (Röm. 8,17). Er sei gepriesen!
So lehre uns das Wort des einfältigen, aber so innig seinen HERRN liebenden Jüngers Thomas das rechte täglich und immer neue Bereitsein und Ausleben, uns im Glauben als mit Christo für gestorben zu erachten, auf dass wir auch mit Ihm und für Ihn leben! (Röm. 6.) So möge des Thomas Wort, durch das dem Apostel Johannes inspirierte Wort Gottes uns überliefert, uns zu bleibendem Segen sein.
F. K.