Können Kinder Gottes verloren gehen?

Geben Stellen wie Hes. 3,16-21; 18,24.26; 33,12.13 und ähnliche nicht doch der Möglichkeit, dass Kinder Gottes abfallen und verlorengehen könnten, einigen Grund?

Antwort

Es sei zunächst darauf hingewiesen, dass die Besorgnis, die aus der Frage klingt, bei denen, die selber um einen glücklichen Ausgang ihres Laufes besorgt sind, einerseits Genugtuung über den vorhandenen Ernst auslöst, andererseits Bedauern darüber, dass die Fragesteller „die vollkommene Liebe” nicht kennen, denn diese „treibt die Furcht aus”. (1. Joh. 4,18.) Sind nicht irrige Auffassungen, wie sie im Schwange gehen, Anlass zu falschen Formulierungen von Fragen?
lasst uns sehen! Was macht einen Menschen zu einem Kinde Gottes? Doch das Aus-Gott-geboren-sein, was in unlöslichem Zusammenhang steht mit dem Glauben an den Namen des in die Welt gekommenen Lichtes, des fleischgewordenen Wortes. (Joh. 1.)

Es darf doch billig, wenn auch im Blick auf das Aus-Gott-geboren-sein mit Ehrfurcht, gefragt werden: Kann eine Geburt rückgängig gemacht werden? Vor dieser Frage, natürlich im verneinenden Sinne gedacht und ausgesprochen, stand Nikodemus. Die Formulierung unserer zur Diskussion stehenden Frage muss also wohl falsch sein. Eines steht außer Diskussion: daß, was aus Gott geboren ist, aus Gott geboren bleibt und dass die Zusagen Gottes in bezug auf Errettung durch den Glauben an Seinen Sohn für Zeit und Ewigkeit sicher sind. Wagt jemand, diese beiden Feststellungen anzutasten?

Bitte nun aber: außer der Tatsache, dass die Geborenen Kinder sind, finden sie sich, als in der gottfeindlichen Welt seiend, noch in andere Beziehungen gesetzt. Als für Gott Abgesonderte sind sie „Heilige”; als Gott und ihrem Herrn Jesus Gehörende sind sie „Treue” oder „Gläubige”. (Eph. 1,1; Kol. 1,2.) Beide deutsche Ausdrücke sind ein und dasselbe Wort im Griechischen.

Wer fühlt nicht, dass diese Beziehungen sich auf einem Boden ausleben, wo der Mensch bekennen kann, das zu sein, was die Titel besagen, ohne dass er es ist, d. h. ohne dass er zugleich aus Gott geboren ist? Ein Zauberer Simon glaubte („treu-te”), ohne aus Gott geboren zu sein. Dem äußeren Verhalten nach war er ein Glaubender. Man kann dem Schein nach Rebe am Weinstock sein, ohne aus Gott geboren zu sein. Auf diesem Boden ist es leider möglich, dass ein aus Gott Geborener durch sein Verhalten und Tun sein Aus-Gott-geboren-sein für Menschen in Frage stellt, ja eine Verneinung desselben herbeiführt. Und der Betreffende soll als der behandelt werden, wie er Sich gibt. Er soll nach fruchtlosen Ermahnungen in die Welt zurückgestoßen werden, in deren Geist er wandelt.
Da liegt der feierliche Ernst. Darin liegt es, dass die Formulierung richtig ist: „Kann ein Glaubender verlorengehen?” Die Antwort lautet klar und bestimmt: „Jawohl, er kann es!” Warum? Weil es die menschliche Seite ist, die dabei allein in Frage kommt. Ein glaubender Simon musste verlorengehen, wenn er so blieb, wie er war. Aber nicht musste er verlorengehen als Kind Gottes, das er nicht war!

Daher die vielen mit „wenn” verbundenen Ermahnungen: „Wenn ihr anders im Glauben gegründet und fest bleibet.” „Wenn ihr nach dem Fleische lebet, so werdet ihr sterben” u. a. Der Aufrichtigbestrebte urteilt einfach, und sein Herzensentschluß ist darauf eingestellt: Grad so soll es sein; ich will es gar nicht anders; ich will im Glauben gegründet und fest bleiben; will nicht nach dem Fleische leben; ich will alles daransetzen, meine Berufung und Erwählung festzumachen; die Gnade dazu ist mir ja geschenkt worden. (2. Petr. 1,3.10.) So kommt es zur Darstellung, dass aus Gott geboren sein und ein Glaubender sein und sich als solcher bekennen sich decken. Ob einer, bei dem man das Aus-Gott-geboren-sein einst nicht in Zweifel ziehen konnte, der aber daraufhin sich wie einer gab, der es nicht ist, doch verlorengeht oder nicht, steht nicht beim Menschen zu ergründen oder zu entscheiden. Es muss Gott anheimgestellt bleiben. Nur: solang' er nicht umkehrt, hat niemand ein Recht zu sagen: Er war aus Gott geboren, also kann er nicht verlorengehen. Wenn einer Sündigens halber hinausgetan wird, steht die Frage, ob Kind Gottes oder nicht, gar nicht zur Diskussion. Beiläufig: Wie viele Christen von heute wären rasch bei der Hand gewesen, von dem Hurer in Korinth zu sagen: Der ist kein Kind Gottes; der ist abgefallen; der muss sich wieder bekehren ...!

Wie verhält sich aber der Apostel, und was ist die weitere Folge in diesem Fall, nach 1. Kor. 5 und 2. Kor. 2 (vergl. auch 7,1)? Ergeht er sich in Erörterungen darüber, ob „Kinder Gottes” verlorengehen können oder nicht? Spricht er es nicht klar aus, daß, wenn wir gerichtet werden, wir vom HERRN gezüchtigt werden, auf dass wir nicht mit der Welt verurteilt werden? Dass Krankheit, sogar leiblicher Tod solch ein Gericht sein können, ohne dass von Verlorengehen die Rede ist? (1. Kor. 11,32.) Spricht nicht Johannes, 1. Epistel 5,16-18, ebenso? Seine abstrakten Feststellungen, wie der nächstfolgende Vers 19 oder 3,6.8.9 zeigen, wenn man sie seinen nicht abstrakten Ausführungen, z. B. 1,8 - 2,2, gegenüberstellt, dass er mit den abstrakten Feststellungen eben auch das erreichen will, was Paulus mit seinem „wenn”. Denn auch auf die abstrakten Feststellunggen des Johannes reagiert der aufrichtig und ernstlich Bestrebte dadurch, dass er urteilt: Gewiß ist es so; ich bin ja aus Gott geboren; habe ja Seine Natur; die widerstrebt allem Sündigen; ich werde mich durch die Gnade und vermöge der Stärkung durch den Heiligen Geist so verhalten, dass ich nicht sündige. Für das, was ich einst sündigte, war ja mein HERR am Kreuz, wie soll ich's wieder tun? Ich bin ja nicht gezwungen dazu.

Noch eins betr. richtiger oder falscher Formulierung von Fragen: Ist es vernünftig, „Kind” und „Abfallen” zusammenzubringen? Vom Baum oder Strauch fällt eine Frucht ab; die Verbindung beider hört damit auf. Ein Kind wird durch die Geburt ein Eigenwesen, das in Verbindung mit den Erzeugern bleibt zum Genährt- und Erzogenwerden. Es mag, wenn es erwachsen ist, vorkommen, dass es die Eltern „verläßt” oder aus irgendwelchem Grunde sich ihrer schämt und sie „verleugnet”. Aber „abfallen” wird man nie sagen. Das Bild der abfallenden Frucht wird nur gebraucht von Beherrschten ihren Beherrschern gegenüber.

Meines Wissens spricht das N. T. nicht von Abfallen und nicht von Verleugnen, wenn die Beziehung der Kinder Gottes zu Gott als dem Vater in Frage kommt. Von einem Bewahrtwerden der Kinder durch den Vater redet es. (Joh. 1,12; 17; 20,17 u. a. St.) Vom „Verleugnen” des HERRN und Gebieters Jesus Christus spricht es: Judas Vers 4; 2. Petr. 2,1. Das ist wieder der Boden der menschlichen Verantwortlichkeit, wo die Frage „Kind Gottes oder nicht?” gar nicht aufgeworfen wird. „Wer Mich verleugnet, den werde Ich verleugnen”, sagt der HERR. „Wenn wir verleugnen, wird auch Eruns verleugnen”, spricht Paulus. Daran ist nicht zu deuteln. Und Petrus und Judas reden vom Gericht über die, die den alleinigen Gebieter verleugnen, der sie gekauft hat. Der Sklavenkauf im Altertum liefert Petrus und Judas das Bild. Jeder ist da gemeint, der ein Bekenner Christi ist.

Es ist abwegig, Dinge zu verquicken, die wohl zusammengehören können (Kind Gottes und Sklave Jesu Christi zu sein), aber gesondert besprochen werden in der Schrift. - Nun spricht aber eine Stelle der Schrift tatsächlich von „Kindern, die abgefallen sind”. Doch sie steht im A. T. Jes. 1,2. Hiermit kommen wir vollends zur Klarheit, vorausgesetzt, dass wir die vorangegangenen Erläuterungen festhalten.

Wieso standen die Israeliten im Kindesverhältnis zu Jehova? Waren sie aus Ihm geboren wie die Kinder, von denen im N. T. die Rede ist? - Mitnichten!
Die geringe Zahl Treuer, die zu jeder Zeit unter dem Volke vorhanden war, in den Propheten „Überrest” genannt, war natürlich aus Gott geboren; aber sie waren „Unmündige”, wie Paulus sagt, kleine Kinder, denen nicht einmal recht zum Bewußtsein kommt, dass sie leben, noch was Leben ist, obwohl sie leben.
Jehova meint das Volk als Ganzes, wenn Er vom Vater- und Kinderverhältnis spricht. Und auch sie verstehen es so.
2. Mo. 4,22.23: „Mein Sohn, Mein erstgeborener, ist Israel ... lass Meinen Sohn ziehen ...
Hosea 11,1: „Aus Ägypten habe ich Meinen Sohn gerufen.
5. Mo. 14,1: „Ihr seid Kinder Jehovas, eures Gottes” (Elohims).
5. Mo. 32,6.18.19: „Jehova ... ist Er nicht dein Vater, der dich erkauft hat? Er hat dich gemacht und dich bereitet.” „Den Felsen (siehe Vers 4), der dich gezeugt, vernachlässigtest du, und vergaßest den Gott (El), der dich geboren. Und Jehova sah es und verwarf sie vor Unwillen über Seine Söhne und Seine Töchter.
Jes. 63,16: „Denn Du bist unser Vater ... Du, Jehova, bist unser Vater.
Jes. 64,8: „Und nun, Jehova, Du bist unser Vater; wir sind der Ton, und Du bist unser Bildner, und wir alle sind das Werk Deiner Hände.
Jer 3,19: „Wie soll Ich (Jehova) dich unter den Söhnen stellen.
Maleachi 1,6: „Ein Sohn soll den Vater ehren ... wenn Ich denn Vater bin, wo ist Meine Ehre ...

Was ergibt sich aus diesen Stellen? Was besagen die Ausdrücke „erkauft, gemacht, gebildet, Du, unser Bildner, wir Ton, Werk Deiner Hände”; freilich dann auch, aber auf derselben Linie liegend, „gezeugt, geboren”? - Nichts mehr und nichts weniger, als dass Jehova Sich Israel als Volk auserkoren und es zu Sich gebracht hatte: 2. Mo. 19,4: „... wie Ich euch getragen auf Adlers Flügeln und euch zu Mir gebracht habe”; dass Er des Volkes „Schöpfer” ist: „Ich, Jehova, bin euer Heiliger, Ich, der Schöpfer Israels, euer König.” (Jes. 43,15.)

So ist das „Abfallen” verständlich, logisch, weil keine innere Verbindung der Natur nach in Frage kommt. Wohin fielen sie ab von Ihm? Zu den Götzen hin. Wie in Jes. 63 und 64 der Überrest (der Prophet) als Sprecher für das Gesamt zu Jehova sagt: „Du bist unser Vater”, so sagen das Haus Israel, sie, ihre Könige, ihre Fürsten, und ihre Priester und ihre Propheten zum Holze: „Du bist mein Vater, und zum Steine: Du hast mich geboren”. (Jer. 2,27.)
Stellt dies das Verhältnis „Vater - Kinder” nicht hin als ein von dem in-Christo-Kind-sein ganz verschiedenes?

Da Gott, wenn auch in diesem Sinne als Vater, es mit einem Volke zu tun hat, so ist Seine Handlungsweise eine solche, sind Seine Wege auch mit den Einzelpersönlichkeiten des Volkes solche, dass alles auf die Erde beschrankt bleibt. Da kann Er, anders als wenn ein ewiger Ratschluß in Frage kommt, in Unumschränktheit Seine Regierungswege ändern, wenn es Ihm so angemessen erscheint; kann einen Hesekiel zum Wächter bestellen und mit Haftung und zeitlichem Gericht für einen anderen bedrohen, falls Er Sich Seines Auftrags nicht entledige. Er bleibt immer gerecht. Vergl. 2. Mo. 34,7; Hes. 18,1-4.19.20.23.25ff.; 33,10ff.20.
Was ist denn das überhaupt für eine Gerechtigkeit, von der in diesen Hesekielstellen die Rede ist? - Kap. 18,5-9 mit dem Schlußsatz „der ist gerecht” zeigt es deutlich. Es ist eine Gerechtigkeit nach außen hin; eine, die aus dem Gesetz ist, wie Paulus sie benennt (Phil. 2,6); die Jesus in der Bergpredigt nach der Herzensseite hin ergänzt. Obgleich Paulus tadellos erfunden war dieser Gerechtigkeit nach, wollte er doch die Gerechtigkeit aus Gott haben. Die war wohl schon in Aussicht gestellt in den Propheten, in Verbindung mit der Gerechtigkeit aus dem Gesetz, weil die der Voraussetzung Raum gab, dass das Gesetz im Herzen sei, wie Jesus es in der Bergpredigt fordert. Siehe Jes. 51,6-8; 54,17; Mal. 3,16-18; Lk. 1,6; 2,29.33.

Aber das war noch nicht das Geborensein aus Gott in der Weise, wie es sein konnte und bei etlichen war, nachdem Jesus gekommen war, und wie es erst recht ist, seitdem der Heilige Geist da ist. Das neue Herz war dem Volke als solchem nicht gegeben, 5. Mo. 30,6; verheißen wurde es Hes. 11,19 und 36,26. Aber eben im Hinblick auf das Gerecht- oder Gesetzlossein wird es als Forderung an das Volk gestellt: „Schaffet euch ein neues Herz und einen neuen Geist.” (Hes. 18,31.)
Wenn ein Gerechter ein solcher war, bei dem äußeres Rechttun in Frage kam, ob Herzenserneuerung vorhanden war oder nicht, warum es nicht sein Bewenden haben lassen bei der Kenntnisnahme des Urteils Gottes über die den gerechten oder den gesetzlosen Weg Verlassenden, da über die Grenze der Zeit hinaus Gott nichts offenbarte?

Die Frage nach Verlorengehen von „Kindern Gottes” ist an und für sich schon verfehlt und in Verbindung mit alttestamentlichen Stellen erst recht verfehlt, weil, wie schon gesagt, in der Zeit im allgemeinen noch kein Licht über das endgültige Los der Menschen gegeben war und weil die Gerichte Gottes es mit den Lebenden zu tun hatten. Es ist unnütz und unangebracht, etwas da suchen zu wollen, wo es nicht zu finden ist. Wie wenn z. B. nach König Sauls Verloren- oder Nichtverlorensein gefragt wird oder über die in der Wüste umgekommenen Israeliten u. a. m. Man könnte gerade so gut fragen: Was wäre aus David geworden nach der Sünde mit Bathseba und gegen Uria, wenn Gott ihn, den Mörder, den Ehebrecher, den Todeskandidaten, nicht begnadigt hätte? - Wir haben das alles Gott anheimgestellt sein zu lassen. Es soll uns genügen, wenn die Schrift selbst etwas eindeutig über Menschen aus dem A. T. feststellt, z. B. durch Petrus, dass Sodom und Gomorra und die umliegenden Städte des ewigen Feuers Strafe leiden.
F. Kpp.


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 13 (1928)