Vor allem möchte ich davor warnen, Dinge des Glaubens, also auch diesen wichtigen Vorgang im geistlichen Leben, wie Bekehrung und Wiedergeburt, nach Menschenweise zu untersuchen und wie einen industriellen Prozess analysieren oder wie einen amtlichen Formalitätengang schematisieren zu wollen. Gerade für die große Lebenswende gilt ja die Belehrung des Herrn in Johannes 3,8: "Der Wind weht, wo er will, und du hörst sein Sausen, aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er geht; also ist jeder, der aus dem Geist geboren ist." Damit will Er andeuten, dass dieser Vorgang nicht nach Phasen beobachtet und schematisch erfasst, sondern nur in seinen Wirkungen als vorhanden erkannt werden kann.
So wie die Menschen jeder vom anderen verschieden sind, so ist auch der Verlauf der Bekehrung bei jedem wieder anders. Bei dem Einen ist es ein rascher und radikaler Durchbruch, beim Anderen ein mehr oder weniger langes Ringen, beim Dritten ein oft jahrelang dauernder Abklärungsprozess; beim Einen geht eine oft plötzliche und tiefgefühlte Sündenerkenntnis voraus, bei Anderen ist zuerst der Glaube an Gottes Liebe da, dem die tiefere Sündenerkenntnis erst in längerer Entwicklung nach dem Wachstum der Erleuchtung nachfolgt, usw.
Das Wort Gottes bietet keine Handhabe zu einer schematischen Zerlegung des Bekehrungsvorganges, obwohl es eine Menge Ausdrücke bringt, welche sich alle auf diesen beziehen, z.B. Bekehrung, Wiedergeburt, Sündenvergebung, Errettung, Versöhnung, Frieden mit Gott, Rechtfertigung usw. Leben aus Gott oder den Heiligen Geist empfangen, Versiegelung mit demselben u.a.m. Sie werden aber nirgends in einer Reihe zusammen genannt, aus welcher eine chronologische Folge abgeleitet werden könnte. Vielmehr wird jeder für sich angewandt, entsprechend dem Gedankengang, mit dem er in Verbindung gebracht wird. Sie bezeichnen demnach verschiedene Einzelseiten des Bekehrungsvorganges, die zusammen ein Ganzes sind und gar nicht voneinander getrennt werden können.
Buße, Sündenerkenntnis, Bekehrung, Frieden suchen betreffen die menschliche Seite, erfordern die bewusste Mitwirkung des Bekehrten selbst, bzw. seines Herzens, Gewissens und Willens. Es kann oft lange Zeit dauern, je nach den Hindernissen im Menschen, bis die Bekehrung zustande gekommen ist. Es gibt ja auch teilweise unechte oder oberflächliche "Bekehrungen", welche eben keine solchen im Sinne der Heiligen Schrift sind; mit einer solchen kann freilich keine Wiedergeburt verbunden sein.
Errettung, Rechtfertigung, Wiedergeburt, Empfang des neuen göttlichen Lebens und des Heiligen Geistes, und ebenso die Eintragung ins Buch des Lebens betreffen die göttliche Seite und bezeichnen den geschenkweisen Akt Gottes, die Annahme und Anerkennung dessen, der zu Ihm kommt. Es ist eine Handlung der souveränen Gnade und Macht Gottes, die ohne unser besonderes Bewusstsein oder Dazutun erfolgt. Es ist zusammen die bestätigende Antwort Gottes, dass Er uns als mit Christus gestorben und damit als neue Menschen, auferweckt mit Christus, anerkennt.
Eine einfache Überlegung zeigt, dass dies alles zusammen gehen muss und nicht voneinander getrennt werden kann. Nach Römer 6 sind wir, d.h. unser alter Mensch, mit Christus gestorben und so sind wir mit Ihm zu neuem göttlichen Leben auferweckt. Wenn nun unsere Bekehrung nicht auch Wiedergeburt bedeutet, in welchem Zustand würden wir dann in der Zwischenzeit sein, wenn z.B. das Sterben in Christus - ist eine Bekehrung ohne dies denkbar? - viel früher und das Auferwecktwerden in Ihm erst viel später erfolgen würde? Etwa noch im alten toten, oder etwa in einem Übergangszustand? Denn Auferweckung mit Christus ist doch nichts anderes als eben Wiedergeburt, oder was dasselbe bedeutet, aus Gott geboren werden, oder neues Leben oder Leben aus Gott empfangen zu haben usw.
Nach Johannes 3 erfolgt die Wiedergeburt durch "Wasser und Geist", d.h. durch die Wirksamkeit des Wortes Gottes und des Heiligen Geistes, diese fällt also auch zusammen mit der Wohnungnahme des Heiligen Geistes und der Versiegelung durch denselben und neues Leben kann auch nichts anderes als Wiedergeburt sein, denn alles ist harmonisch miteinander verbunden. Die Eintragung ins Buch des Lebens - übrigens ein symbolischer Ausdruck - geht ebenfalls Hand in Hand damit.
Etwas anderes ist freilich das aktive Bewusstsein im Bekehrten selbst, die volle Erfassung der Tatsachen des neuen Lebens, deren praktische Auswirkung in Kraft und Freude; dies kann allerdings oft eine längere Spanne Zeit erfordern, bis die Seele es ganz erfasst hat. Es hängt dies von der fortschreitenden Überwindung der inneren Hemmnisse und vom geistlichen Wachstum ab. Noch etwas anderes ist das Erfülltsein mit dem Heiligen Geist, die Wirksamkeit der Kraft der Liebe, Zurechtweisung und Freude im Heiligen Geist (2. Tim 1,7; 1. Thes 1,6), welche von dem Maße unserer lebendigen Gebets- und Glaubensverbindung mit dem Herrn selbst abhängig ist. Bei alledem ist aber Voraussetzung, dass die Wiedergeburt als vollendete Tatsache vorausgegangen ist.
Römer 7 bespricht eine besondere Frage, nämlich die des Verhältnisses zum Gesetz, welches dem Menschen nur die Sünde und seine Knechtschaft unter derselben deutlich macht und ihn deswegen verdammen muss. Deswegen führt das Kapitel aus, dass, wer mit Christus gestorben ist, vom Rechtsanspruch des Gesetzes befreit ist, weil sein Tod und Gericht schon in Christus am Kreuz erfolgt ist. Da wir nun auch als Wiedergeborene, solange wir hier auf der Erde wandeln, noch im alten, dem Todesurteil verfallenen Leib sind, somit das Fleisch noch in uns ist, sind wir noch der Versuchung und dem Sündigen ausgesetzt, wie wohl wir jetzt durch den Geist Gottes die Macht haben, darüber Sieger zu sein. Diese Frage kann daher manchem Gläubigen, der die Tatsache der Befreiung noch nicht recht erfasst hat, auch selbst nach der Wiedergeburt noch zu schaffen machen, obwohl es logischerweise und ordnungsgemäß nicht der Fall sein sollte. Tatsächlich gibt es aber unzählige Christen, welche lange Zeit brauchen, ehe sie diese Frage richtig zu erfassen vermögen; ja, manche gelangen zeitlebens nicht dazu, sich ihrer Befreiung zu erfreuen. Es gibt wohl kaum etwas, womit es dem Feind so gut gelingt, das Wachstum und die Freude der Kinder Gottes anzuhalten, als eben die Frage des Gesetzes und der Befreiung.