Antwort A
Diese Fragen haben ihre besonderen Schwierigkeiten. Heilige Schrift ebenso wie Weltgeschichte berichten uns sehr wenig über diese geschichtlichen Personen. Auch aus der Weltgeschichte muss man es herauslesen, dass von jeher „ein Fluch auf der asiatischen Despotie” lag; insbesondere auf jenem voll „scheußlichen Haremslebens, welches allen Ernst der Gesinnung, die sittliche Kraft des Willens der Herrscher, insbesondere bei schwächeren Naturen, erstickte”. Die „Laune” ist es, welche augenblicklich alles ersetzt.
1. Wer ist Ahasveros?
Heilige Schrift und Weltgeschichte bezeichnen Ahasveros (Xerxes) als einen „bis zur Albernheit launenhaften, schwachen, leidenschaftlichen, grausamen Despoten”. Einige Beispiele aus beiden: Sohn eines reichen Lydiers, der das königliche Heer bewirtet; der Vater wird selbst von Ahasveros aufgefordert, sich freiwillig eine Gunst auszubitten, wird zerhackt, weil der Vater um Freistellung eines Sohnes vom Kriegsdienst bittet. Ahasveros lässt den Hellespont mit „Ruten peitschen”, in „Ketten legen”, weil dieses Gewässer im Sturmestoben eine seiner Brücken zerstörte ... „Er verliebte sich in einen Platanenbaum”, brachte ihm Geschenke dar wie „einer Geliebten” ... Ohne Bedenken gibt er seinem Kanzler Haman Vollmacht zur Ausrottung eines bedeutenden Teils seiner Untertanen (Esther 3,12-15), bald darauf lässt er diesen ersteren verurteilen und aufhängen (Esther 7,5-10); Mordochai, ein Glied seines unterjochten Volksteils Israels, unwiderruflich dem Untergang geweiht, erhebt er rasch zur höchsten Würde im Reiche und überhäuft ihn mit Ehrenbezeugungen. (Esther 8,2) ...Gegen die Sitten des Orients verlangt er in trunkenem Übermut, die Königin Vasthi solle im königlichen Schmuck bei dem Zechgelage vor den trunkenen Gästen erscheinen. Als sie sich weigert, verstößt er sie; befiehlt in einem Edikt allen Frauen in seinem Reiche Gehorsam gegen ihre Männer ... Nach seiner Rückkehr vom unglücklich auslaufenden Feldzug gegen Griechenland ergibt er sich restlos zügelloser Leidenschaft und verfällt doch dem Weiberregiment. In die Hände seiner Satrapen ausgeliefert, soll er ermordet worden sein ...
2. Wer ist Vasthi?
Die Gemahlin des Königs, erhoben zur Hauptfrau neben den vielen Frauen des Harems. Das sich in ihrem Leben vollziehende Schicksal liegt in ihrem, bei einer öffentlichen, feierlichen Gelegenheit vollführten Ungehorsam, welcher die Autorität des Königs wesentlich beeinträchtigt. Das einzige, was von ihr berichtet wird, ist, dass sie schön war. Des Königs Zorn kennt keine Grenzen; die aus Verlegenheit vor den Großen seines Reiches gestellte Rechtsfrage beurteilen seine Ratgeber als ein gefährliches Beispiel der Unbotmäßigkeit, welches die Frauen im ganzen Lande nachahmen könnten. Das Urteil über Vasthi wird vom König angenommen, im Eigensinn zum Gesetz erklärt, ist „nach dem Gesetz der Meder und Perser” unwiderruflich. (Vgl. Dan. 6,8.16) Die Königin wird abgesetzt; sie kehrt in den Kreis ihrer Herkunft zurück ...
Ist das Verhalten der Königin Vasthi oder die Forderung des Königs berechtigt, oder haben beide verkehrt gehandelt? So die Frage. Das Verhalten Vasthis, die Forderung des Ahasveros waren beide nicht berechtigt; zwei Menschen haben hier schicksalhaft und verkehrt gehandelt. Die Beweggründe des Königs waren unedel, entsprangen einem Einfall und dienten zur Selbstverherrlichung; der Ungehorsam der Königin entsprang einer augenblicklichen Laune, dem Wunsch, sich ihrem Manne gegenüber in breiter Öffentlichkeit durchzusetzen. Dabei darf der sich zwischen diese beiden Menschen drängende, unheilvolle Einfluß der mit dem König zechenden, diesem Despoten gegenüber befangenen Ratgeber nicht außer acht gelassen werden.
Wie kamen diese verschiedenen Menschen zu solch verhängnisvollen Zuständen und Entscheidungen? Der Weltherrscher Ahasveros gibt sich selbst zu Ehren ein Fest ... Er will während 180 Tagen, wie die Schrift so bündig an den Anfang setzt, den herrlichen Reichtum seines Königsreichs und die glänzende Pracht seiner Größe vor seinen Vornehmen und Fürsten seiner 127 Provinzen entfalten. Unersättlich in Hochmut und Einbildung kommt er auf eine neue Form des Selbstruhmes; in der Schönheit seiner in königlichem Schmuck darstehenden Gemahlin will er bewundert und beneidet werden. -
Bei Vasthi erscheint uns auf den ersten Blick eine höhere Sittlichkeit für ihr Verhalten bestimmend gewesen zu sein; als ob sie sich weigere, sich den Blicken einer lüsternen Gruppe betrunkener Schwelger auszusetzen; unter Männern zu sein, welche ihr Anstandsgefühl verletzen. Aber m. E. lassen Vers 12-15 den Schluß zu, dass sie geflissentlich auch ihren Rang und erst in zweiter Linie die Sittsamkeit ihres Geschlechts betont habe, um ihre unbegreifliche Augenblickslaune zu begründen. Dort heißt es V. 12: „welches ihr durch die Kämmerer überbracht wurde” (ebenso V. 15); wenn der König nun selbst gekommen wäre und sie gebeten hätte? - Ob sie hinsichtlich ihrer allgemeinen Beurteilung bei der Weigerung mit der herrschenden Sitte bei Hofe gerechnet hat, mit der verzeihenden Liebe ihres sie sinnlich umschwärmenden Gemahls, dafür sind uns keine Anhaltspunkte gegeben. Die Geschichte behauptet nur, dass der übermäßige Luxus bei Hofe der Könige von Persien schon früh eine übermütige Herrschaft der Königinnen aufbrachte.
Memukan verlässt in seinem Urteil über die Königin den Boden der höfischen Sitte, trotz des Schweigens der anderen Mitglieder des Rats. Er gibt der vom König gestellten Rechtsfrage eine Wendung, wie sie der gegenwärtigen, vom Wein erhitzten Laune des Königs zusagt.
So wirken Zustände und Entscheidungen der verschiedenen Personen an der sich vollziehenden Katastrophe mit. Spätere Ernüchterung des Königs und der Königin kommt zu spät (2,2).
„Was haben die Gläubigen von heute geistlicherweise und praktisch hieraus zu lernen? Hat die Begebenheit eine Anspielung auf die Welt oder auf Evangelisation in derselben oder auf anderes?”
Nicht ohne weiteres ist Ahasveros, wie manche Ausleger annehmen, eine antichristliche Figur und Abbild dessen, der kommen wird, um seinen Thron auf diese Erde zu setzen. Manches erinnert allerdings an den Antichristen: Er war der siegreiche Mann, der den Bogen lässig auf dem Rücken ruhen lassen konnte; denn er hatte 127 Provinzen besiegt und seinem Reiche einverleibt. Er war nach der Religion der Perser das sichtbare Ebenbild des unsichtbaren Licht-Gottes Ormuzd, ein Priesterrat aus Richtern, Wahrsagern und Sterndeutern umgab ihn usw. (vgl. V. 13). - Welchen für uns kaum vorstellbaren Reichtum konnte er in Esther 1 zur Schau bringen; die Laster und Sünden in jenen Tagen der Schwelgerei begegnen uns auch heute in der gerichteten Welt. Nachdem in 180 Tagen die Vornehmen und Fürsten vom Reichtum ihres Despoten lebten, veranstaltete dieser für seine anderen Untertanen ein ebenso schlemmerisches Volksfest. Jeder darf genießen und sich ergehen, entsprechend der Freigebigkeit dieses Fürsten. Darin ist er dem „Fürsten dieser Welt” ähnlich. Allen Wünschen des sündlich-natürlichen Menschen wird Befriedigung geboten. Wie kann das Weltkind reden, tun und genießen, wie es will! Nur eine Bedingung, wie es auch Ahasveros von seinen Untertanen verlangte: vor ihm niederzufallen und die Erde zu küssen (entsprechend der Sitte! Vgl. 3,2!). Wein in Menge freigegeben! (V. 8!) Wie versteht der Feind der Seele in Weltfreude und Weltgenüssen das arme Menschenherz zu betören! Wie mancher verlor die Kontrolle über sich selbst und seine Sinne und Gefühle und gab sein sittliches Tun preis und lebte als ein Knecht der Sünde in niedrigen Instinkten und Trieben seines Wesens dahin! Wieviel Jammer noch heute in den Häusern, Familien und Herzen, weil das eine oder andere Mitglied unter Satans Einfluß die Sünde als ein Vergnügen, als einen Genuß ansah. Schon die persische Geschichte berichtet, dass die Untertanen eines Ahasveros den Sklaven gleich kamen. Alles war sein Eigentum und ihm tributpflichtig, - Ahasveros, den Zorneskelch Gottes trinkend, war selbst ein so niedriger Sklave Satans, bestimmend ja, aber doch bestimmbar jedem von außen kommenden Einfluß. Seinem Eigenwillen, seinen Trieben lebend, heute im Rausch, morgen keine Kraft zur Reue, weil er sich gebunden hat durch Wort und Tat.
Und Vasthi? Sie als Bild auf die falsche Weltkirche zu deuten, welche der Macht des Bösen unterliegt, ist müßig. Sie ist zu bedauern, dass sie nur eine schöne Frau ist. Schöne Frauen sind meistens eigenwillig und verwöhnt. Nur fromme Frauen sind schön, haben Einsicht und sind den Verwicklungen des Lebens gewachsen. 1. Sam. 25,3.18.19. Schönheit des Angesichts ist vielfach eine große Gefahr für Seele und Charakter und war schon oft der Weg in die Sümpfe der Fleischeslust. Welche Verantwortung tragen die Eltern, welche ihre Kinder nicht vor den Fangarmen der Gefallsucht und den Greueln der Unsittlichkeit bewahren! Aber über wie manche schöne, aber unkluge Frau wird Rat gehalten, was mit ihr zu tun sei. - Diese Rechtskundigen haben in ihrem Urteilsspruch eine Weisheit zum Ausdruck gebracht, welche dem Willen Gottes von jeher entsprach: das Weib soll dem Mann untertan sein. Wie wenig Frauen gibt es heute, welche einen tiefgehenden sittlichen Einfluß auf ihre Männer ausüben; wie viele suchen sich launisch und eigenwillig durchzusetzen, trotzen dem, der nach Gottes Wort ihr Herr ist! Wieviel Selbstsucht, Unreinigkeit, Eitelkeit, Herrschen im heutigen Frauenleben! Wie schön sagt der HERR es Eva: „Nach deinem Manne wird dein Verlangen sein, er aber wird über dich herrschen.” (1. Mo. 2,16) Wie irrtümlich war die Auffassung des Memukan, dass er glaubte, durch menschliche Gesetze „Familienmoral” zu schaffen, und die Wirkung erwartete, dass alle Frauen ihren Männern Ehre geben würden vom Größten bis zum Kleinsten!
Wie arm steht die Gesetzgebung heute da, welche das auf der Schrift aufgebaute Gesetz reformieren will und den unaufhaltsamen moralischen Niedergang erlebt! Jes. 59,9-15.
Zwei Menschen - zwei Schicksale! Das ist unsere heutige Evangelisationsaufgabe, laut hinein in die Massen der armen Sünder, der Männer und Frauen und Jugend die Botschaft zu rufen: Es gibt eine Rettung vom Niedergang und Untergang; es ist Kraft da für einen glücklich machenden Weg in Demut, Gehorsam und Reinheit: Der lebendige Glaube an den Herrn Jesus! Mt. 1,21 und Joh. 3,16.
Ed. v. d. K., H.
Anmerkungen des Schriftleiters
Diese zweifellos sehr bemerkenswerte Antwort unseres bisher ja nur im belehrenden und erbaulichen ersten Teil der „Handr.” tätig gewesenen und daraus wohlbekannten Mitarbeiters beschäftigt sich sehr eingehend mit den Persönlichkeiten der Frage und den Belehrungen, die diese uns durch ihr Verhalten geben. Und dadurch ist diese Antwort auch für die heutige Zeit wertvoll. Ob aber der Teil der Frage: „Hat die Begebenheit eine Anspielung auf die Welt usw.” so verstanden ist, wie der Fragende sie meint, das zu beurteilen muss letzterem überlassen bleiben.
Jedenfalls scheint mir die Tatsache, dass wir im Buche Esther (vgl. Frage 4 in Jahrbuch 4 über „die Hauptbelehrungen des Buches E. für uns”!) in ganz besonderer Weise die Wege der Vorsehung Gottes für Sein Volk haben (wobei ein ganzes Buch, eben weil es nur die Vorsehung zeigt, nicht ein einziges Mal den Namen Gottes enthält!), zu wichtig zu sein, als dass sie bei dieser wie auch immer zustande gekommenen Verstoßung der Vasthi übersehen werden dürfte! Ich will und kann darüber nicht viel sagen, aber - ist es gleichgültig, dass Vasthi eine Heidin und Esther eine Jüdin war?! Doch sicher nicht!
In Ahasveros, welch ein verwerflicher Charakter er auch war, bezugl. der Welt- wie der Gottesvolk-Geschichte können wir in ihm doch auch den Vertreter der göttlichen Macht sehen, die das Volk Gottes zu beherrschen hatte während der Epoche seiner zeitlichen Verwerfung. Und insofern sind da gewiß auch Linien, die in „die Zeiten der Nationen” (Lk. 21,24) von heute hineinreichen, wo Israel unter die Nationen zerstreut ist. Aber nicht wahr, dieses Gericht über Israel ist nicht von ewiger Dauer, vielmehr werden die Nationen, wie Amalek, dessen letzter Vertreter Haman in Esther 7 sein Ende findet - dies vergleiche man mit Jehovas Gebot 5. Mo. 25,19 u. a.!! -, ein unerbittliches Gericht finden am Tage des HERRN, sie, die jahrtausendelang in jeder Hinsicht gefehlt haben, während Israel durch die Gerichte (vor allem „die große Drangsal”!) zur Buße kommt und dann zu höchsten Ehren. (Siehe u. a. auch 5. Mo. 28,13! Das zeigt das Buch Esther auch vorschattend.) Wer diese Dinge beachtet, dem muss es bedeutsam sein, dass Vasthi als Heidin beiseite gesetzt wird. Sie war keine „Gehilfin” (1. Mo. 2,18) für ihren Mann! Sie konnte die Autorität, die Gott eingesetzt hatte („Keine Obrigkeit ohne von Gott!” Röm. 13,1), nicht stützen, ihr Verhalten riß sie nieder. So versagen die Nationen fortgesetzt, und die sogenannten christlichen wenigstens ebensosehr wie die heidnischen! (Ich deute die Dinge hier nur an zum Weiterforschen für die, denen diese belehrende Seite der Frage - neben den obigen praktischen Seiten - nicht unwichtig ist.) Zu was für Segnungen wurde der Weg frei durch die jüdische Gemahlin! Wahrlich, Gott ist ein wunderbarer Gott! „Sein Rat ist wunderbarlich.”
Müssen wir, die wir Worte wie Röm.15,4 und 1. Kor. 10,11 in ihrer vollen Kraft beherzigen wollen, nicht auch diese Linien zu erforschen trachten? Und sollten wir nicht in Wahrheit zu den „Weisen” gehören, die sich „auf die Zeiten verstehen” (V. 13 in dem Kapitel der Frage), als solche, welche weise geworden sind, und zwar nur durch Gnade, und immer weiser werden, „diese Zeit zu beurteilen” nach Lk. 12,56?!
Der HERR helfe uns dazu, dass wir auch durch diese Frage mit ihren Beantwortungen „wachsen in der Gnade und Erkenntnis unseres HERRN und Heilandes Jesus Christus” nach 2. Petr. 3,18! Ihm sei Dank für Sein kostbares Wort!
F. K.