Antwort A
In Hebr. 10 handelt es sich um ewige Vergebung (V. 10.14.17.18), und da ist es selbstverständlich, dass „unmöglich Blut von Stieren und Böcken Sünden hinwegnehmen kann”. In 3. Mose 5 aber ist es anders, denn das Gesetz hat nur „einen Schatten der zukünftigen Güter, nicht der Dinge Ebenbild selbst”; alle Dinge waren nur Vorbilder, welche auf den Herrn Jesus und die mit Ihm verbundene Gnade und die Segnungen hinwiesen. Alles war nur irdisch: das Volk, seine Berufung, die ihm verheißenen Segnungen, sein Dienst, seine Opfer - und auch die Vergebung auf Grund der letzteren. Brachte ein Israelit für ein Vergehen das im Gesetz vorgeschriebene Opfer dar, so war seine Schuld getilgt, er war gereinigt, seine Sünde war vergeben; alles aber zunächst nur in den Augen der Menschen und - soviel ich verstehe - in bezug auf die Wege Gottes mit dem Menschen auf dieser Erde, also in bezug auf die zeitlichen Folgen der Sünde. Dazu bedurfte es nicht einmal des Glaubens, da es sich nur um ein Schattenbild handelte: wenn er das vorgeschriebene Opfer darbrachte, wurde ihm vergeben. Ewige Vergebung konnte er jedoch auch nur durch Glauben erlangen, wie es von Abraham heißt in 1. Mose 15,6: „Und er glaubte Jehova; und Er rechnete es ihm zur Gerechtigkeit.” Der glaubende Israelit erkannte, dass die Opfer usw. hinweisen auf einen, der noch kommen und seine Schuld tragen und tilgen sollte, und dass auf Grund dessen allein Gott ihm in Gnade begegnete. Seine Vorstellung hierüber mochte nur dunkel sein - mehr oder weniger -, aber Gott hatte Nachsicht mit ihm, denn Er fordert nicht mehr, als was dem jeweils gegebenen Lichte entspricht (Röm. 3,25.26).
Wir sehen also einerseits den Unterschied in der Vergebung, von der in den einander gegenübergestellten Schriftstellen die Rede ist, andererseits aber auch die vollkommene Übereinstimmung in dem teuren Worte Gottes.
Th. K.
Antwort B
Röm. 3,25 scheint mir ein Schlüssel zur Lösung der Frage zu sein. In allen Opfern des Alten Testamentes hatte Gott Seinen geliebten Sohn vor Augen. Von Ewigkeit schaute Er auf Ihn mit Wohlgefallen, wissend, dass der Wille des Sohnes die Verherrlichung des Vaters und die Erfüllung Seines Willens war (Hebr. 10,7). Das Kreuz leuchtete schon von ferne, und in Seiner Barmherzigkeit bereitete Er in den Vorbildern den Weg für die Errettung der vor Christus lebenden Gläubigen, ihnen Nachsicht und Geduld zu erweisen.
In dem Opfer und in dem es darbringenden Priester sah Gott nichts anderes als das für die bestimmte Zeit (Röm. 5,6) aufbewahrte Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegnimmt (Joh. 1, 29.36), und den wahren Hohenpriester nach der Ordnung Melchisedeks (Hebr. 5,5-10). Der glaubende Israelit sah es vielleicht nicht, aber er verstand, dass nicht er selbst, sondern ein anderer seine Strafe erleiden und das Opfer darbringen sollte, damit er vor den Augen des dreimalheiligen Gottes Gnade finde. Dieser kleine Glaube genügt, um Gott zu befriedigen, wenn Sein Blick die Aufrichtigkeit des Herzens geprüft hat; und Er ertrug und ließ die Sünde hingehen, nicht um der Stiere und Böcke willen (kann etwa Gott an Tieren Wohlgefallen haben? Nein! Hebr. 10,6), sondern um Seines Sohnes willen, von dem sie Vorbilder waren. Wie wunderbar ist die Liebe Gottes zu dem Sünder, für dessen Errettung in Christo Jesu Er vom Falle in Eden an besorgt war. Einem fast unbewußten Gläubigen wurden die ewigen Erfolge des nur später vollbrachten vollkommenen Werkes Christi zuteil: „es wird ihm vergeben werden!”
Diesen kleinen Glauben nach Hebr. 11,1, ohne welchen es unmöglich ist, Gott wohlzugefallen (V. 6), hatte die große Masse des Volkes nicht. Durch seine Unbußfertigkeit verblendet, sah es in dem Opfer nicht mehr als ein von ihren Gütern genommenes Tier und in dem Priester einen Menschen, dessen Würde (Priester des wahrhaftigen Gottes) das Volk gegenüber anderen Nationen erhob. Die Gerechtigkeit Gottes, welche mehr als Blut von Tieren verlangt, erkannte es nicht (Röm. 10,3). Deshalb auch wurden die Opfer ein Erinnern an die Sünden. Das Blut Jesu Christi allein macht von aller Sünde rein (1. Joh. 1,7) und nur auf Grund dessen hätte Israel Nachsicht, Vergebung erlangen können, was später für den Überrest geschehen wird. Wie Hebr. 11 zeigt, war die Gnade Gottes nicht ganz umsonst, etliche sahen Seine Absichten und die Verheißungsgüter von ferne und trachteten nach einem neuen Vaterland.
Geliebte, uns, die wir fern waren (Eph, 2,12.13.17), ist durch ihren Fall (Röm. 11,11.25) das Heil geworden. lasst uns schon jetzt zur Ehre seines Urhebers das neue Lied niederkniend anstimmen: „Du bist würdig”, damit die Stimme der Engel und aller Kreatur laute: „Würdig ist das Lamm ... Amen” (Off. 5,9.12.14).
R. W. D.
Anmerkung des Herausgebers
Der Ton in Hebr. 10,4 liegt auf dem Wort „hinwegnehmen”; in V. 11 ist noch einmal davon gesprochen, nur dass das griechische Wort dort noch stärker ist und bedeutet „ganz und gar hinwegnehmen”. Hinwegnahme, völlige Vertilgung der Sünden, konnte durch die Vorbilder nicht zustande gebracht werden, wohl aber Vergebung, d. h. wie auch wir glauben in erster Linie, zeitliche Vergebung, und zwar im Blick auf das einst geschehene, große Opfer von Golgatha. Jedoch gab es - freilich nur um dieses Opfers willen - auch wirkliche Reinigung im Alten Bund, aber nur wenigen konnte sie zuteil werden, weil nur wenige sich selbst verabscheuten und wahrhaft glaubten an die Güte und Erbarmungen Gottes. In dieser Hinsicht ist der 51. Psalm so kostbar, auch Psalm 32.
Doch wie unendlich breiter, länger, höher und tiefer ist die Kostbarkeit des „Einen Schlachtopfers zur Abschaffung der Sünde” (Hebr. 9,26; 10,12). Jene unzähligen vorbildlichen Opfer haben zur Folge ein beständiges Erinnern, dieses Eine ein völliges Ausgetilgtsein und Vergessensein der Sünden (vergl. Hebr. 10, V. 3.4 mit V. 17.18!). Welch einer Erlösung sind wir teilhaftig geworden! Gepriesen sei unser herrlicher Heiland-Gott!