Antwort des Schriftleiters
Wo die Schrift schweigt, vermögen auch wir, die wir sie liebhaben, nichts Bestimmtes zu sagen. Ebensowohl wie man diese Frage stellt, kann man jene stellen: Wer war der „Mensch, der den Wasserkrug trug” im gleichen Kapitel 14, Vers 13? Und warum nennt Markus, der Evangelist, diese Männer nicht mit Namen? Das kann eine Eigentümlichkeit des zweiten Evangelisten sein, weil in ihm der Herr Jesus als der „Knecht Jehovas” geschildert wird und deshalb auch andere untergeordnete Personen namenlos erscheinen. Es kann aber auch sein, dass eine von den Überlieferungen über diesen unbekannten - und doch dem Evangelisten wohlbekannten - Jüngling auf Wahrheit beruht. Natürlich sind es nur Vermutungen; aber prüfen wir diese einmal auf ihre Berechtigung, vielleicht kommen wir dadurch zu nicht unwichtigen Ergebnissen!
1. Eine m. E. sehr weit hergeholte Vermutung ist die, dass hier Paulus (d. h. Saulus) gemeint sein könnte, also der spätere Apostel, dem Markus sehr gut bekannt. - Aber wie wenig paßt diese kleine, eigentlich schöne Motive aufweisende Episode zu dem nachmaligen Wüten des Saulus gegen den verhaßten Nazarener! Und ferner: Wie wenig stimmt das Verhalten jenes Jünglings zu dem durchaus nicht ängstlich und zaghaft auftretenden Saulus! Es ist ja überhaupt nicht erwiesen, dass Saulus den HERRN in Seiner irdischen Gestalt gekannt habe, man kann auch das nur vermuten, nach 2. Kor. 5,16. - Nein, das glaube ich keinesfalls, dass wir es in unserer Stelle mit Paulus zu tun haben!
2. Eine andere Meinung geht auf Lazarus! Nun ist ja klar, dass das Gewand, welches jener fahren ließ, kostbar war (nach dem Grundtext muss es aus [feinem] Leinen gewesen sein) und dass es daher nicht einer aus einem armen Hause gewesen sein kann, der auf diese Weise dem HERRN ein gewisses Mitgefühl bezeigte, wobei er allerdings ebensowenig standhielt wie irgendeiner der Jünger des HERRN. - Aber, wenn es Lazarus gewesen ist, so hätte er doch genannt werden können?! Auch berichtet Markus sonst nichts von Lazarus, so dass es absonderlich wäre, diesen Jüngling, wenn er der bekannte Lazarus war, nur als einen „gewissen” zu bezeichnen. Fürchtet der Evangelist etwa, den Lazarus zu kränken, wenn er hier seine Schwäche (welche die Schwäche aller war und heute noch so leicht ist) mit bekanntem Namen belegen würde? Nein, ich glaube gewiß nicht, dass es Lazarus gewesen ist. Ich denke, er wäre genannt worden, und es wäre ihm nicht lieb gewesen, ungenannt zu bleiben in jener Stunde, die für ihn wie für uns alle eine verdiente Beschämung ist.
3. Die m. E. am meisten für sich habende Vermutung ist die, dass hier der Evangelist Johannes Markus sich selber zeichnet, dass dieses kleine, eben nur im Markus-Evangelium berichtete, aber so tief bezeichnende Erlebnis, wie ein anderer gesagt hat (Nösgen), „gleichsam das Monogramm des Malers in einer dunklen Ecke des Gemäldes” ist. So wie das vierte Evangelium von dem ist, der sich gern nennt „der Jünger, den Jesus lieb hatte” (z. B. 13,23), so nennt sich in der angefragten Stelle der 2. Evangelist. Und vielleicht ist er auch „der Mensch mit dem Wasserkrug”, und wenn dem so wäre, so hätte der Herr Jesus das Passah- und das Abendmahl im Hause der begüterten Eltern des Joh. Markus gehalten! Denn dass sie - oder wenn der Vater schon tot war, die Maria, des Markus Mutter - wohlhabend gewesen sein mußten, das geht aus dem Bericht in Apg. 12,12 (Zusammenhang von V. 5 an!) hervor, demzufolge sie damals (d. h. wenigstens damals!), in der großen Verfolgungszeit, ihr Haus der christlichen Gemeinde in Jerusalem geöffnet hatte als Versammlungsstätte, wo die Gläubigen entweder ständig oder gelegentlich zu anhaltendem Gebet zusammenkamen. Nach Apg. 2,42 „verharrten sie in den Gebeten”, und so hatten sie vielleicht damals oder immer schon regelmäßige Gebetszusammenkünfte von Gemeinde wegen, auf denen, wie man auch hier sieht, wenn sie lebendig und geistdurchwaltet sind (das sollte jede Gebetsversammlung sein! Eph. 6,18!), ja ein großer Segen ruht!
Also, dass der Jüngling, nach dem Leinengewand zu urteilen, aus wohlhabendem Hause gewesen sein mußte, das trifft hier zu; und wie ist es nun mit sonstigen Zeugnissen, dass er es gewesen sein könnte?
Wir haben ein Zeugnis, das mir beweiskräftig genug erscheint, um zu sagen, dass die Vermutung, hier habe Markus sich selber gezeichnet, mir glaubhaft erscheint: Apg. 12,25; 13,5.13; 15,38 (Zusammenhang von V. 35-41!). So schmerzlich es ist, dass eine Erbitterung entstand und dass Paulus und Barnabas sich trennen mußten, so zeigt doch die Schrift, dass - im Urteil der Gemeinde (V. 40!) und durch die folgenden Segnungen auch bestätigt im Urteil Gottes - Paulus mit seiner Handlungsweise im Rechte war, wenn er den nicht mitnahm, der sie im Dienst verlassen hatte, aus was für Gründen auch immer, wahrscheinlich aber aus Zaghaftigkeit. Barnabas, der Onkel des Markus (Kol. 4,10), hatte bei aller Köstlichkeit seines Wesens (Apg. 4,36.37; 9,27; 11,22-26 u. a.) doch auch offenbar einen etwas zaghaften Charakter, wie aus Gal. 2,13, wo er ein wenig schwankte in seinem Verhalten, hervorgeht (Paulus spricht von „Heuchelei”!), und so konnte er seinem Neffen nicht so recht unparteiisch entgegentreten. Dennoch hat Paulus den Barnabas lieb behalten und hat ihn später noch liebend genannt (1. Kor. 9,6). Doch auch des Markus wird später ehrend Erwähnung getan, Kol. 4,10 (s. oben), Philem. 24! 2. Tim. 4,11!! (Vgl. auch 1. Petr. 5,13!) Und er wurde dann der Schreiber des nach ihm benannten zweiten Evangeliums! Und da hat er sich jener kleinen für ihn selber nicht ehrenvollen, aber doch die ersten eigentümlichen, unverwischbaren Anknüpfungspunkte zwischen dem Leben des HERRN und ihm, dem dereinstigen Schreiber desselben, zeigenden Begebenheit erinnert und in ihr sich selber das gleiche Denkmal gesetzt, wie die Schrift es durch ihn allen anderen, vornehmlich Seinen Jüngern setzte: „Es verließen Ihn alle und flohen” (V. 50!)
Ja, wer hielt damals stand? Ein Petrus nicht und ein Markus, der später doch soviel von Petrus lernte (1. Petr. 5,13), auch nicht! Und wenn Petrus sogar ein ehrliches, aufrichtiges Bekenntnis vor einer Magd scheute, so war es demgegenüber ein geringeres, dass der junge, den HERRN noch nicht wahrhaft kennende Markus sein Gewand - in der Schrift ist das Kleid oft das Sinnbild des Bekenntnisses (Off. 3,16; Judas 23 u. a.) - in den Händen der Verfolger ließ, als er aus Furcht vor ihnen floh, und zwar „nackend”; musste er doch auch erst „weiße Kleider” von Dem „kaufen” (Off. 3,16), der jetzt für ihn Sein kostbares Leben zu geben dahinging!
Und wer hält heute in einer Welt, in der der HERR verworfen ist, stand? Du, Bruder, du, Schwester, wir, die wir so hoher, herrlicher Berufung teilhaftig geworden sind, „wenn wir anders mitleiden, auf dass wir auch mit verherrlicht werden!”? (Röm. 8,17)
Möge der HERR uns diese Frage wichtig machen im Blick auf das Leben des Johannes Markus, der einst, angesichts der Leiden des HERRN, ein, wenn auch zuerst tapfer sein wollender - so doch schwacher Jüngling (Jes. 40,30) war und der später dem großen Apostel Paulus in seinem hingebenden Dienst für seinen Meister ein „Mitarbeiter” wurde, „nützlich zum Dienst”! (Philem. 24 und 2. Tim. 4,11, siehe oben!) Der HERR helfe uns in Gnaden dazu! Auf diese Weise angesehen, wird jene Stelle, über die man wohl nur Vermutungen, wenn auch begründete, hegen kann, uns allen zu einem bleibenden Gewinn, wenn wir sie betrachten gleichsam auch als ein Stück aus unserem Leben wie aus dem des Markus! Dem HERRN sei Preis für Sein herrliches Wort!
F. K.