Johannes 20,23 und 1. Korinther 4,5 richtig anwenden

Wie wendet man Joh. 20,23 und 1. Kor. 4,5 jedes an seinem Platze richtig an?

Antwort

Über die erste Stelle (Joh. 20,23) ist bereits in der „Handreichung” eingehend geschrieben (Bd. I, S. 91). Es mag darum nur kurz darauf hingewiesen werden, dass es sich hier nicht um eine Sündenvergebung handelt, in der die Frage des ewigen Heils entschieden wird. Diese Vergebung der Sünden wird allen aus Gnaden zuteil, die ihre Zuflucht im Glauben zu dem Sünderheiland nehmen. Diese Vergebung, die der HERR durch das Evangelium verkünden läßt, bedarf keiner Hinzufügung noch Bestätigung durch irgendwelchen Menschen (Apg. 10,43).

Das „Vergeben” oder „Behalten” (oder „Lösen” und „Binden” nach Mt. 18) bezieht sich hier (wie auch in Mt. 18) auf spezielle Fälle, auf sündige Wege, Sündigen gegen andere usw.; es steht mit dem vergeltenden Walten Gottes auf Erden dem Sünder gegenüber in Verbindung. Solches „Vergeben” öffnet gleichsam der Gnade die Tür, um die züchtigende Hand Gottes abzuwenden, während das „Behalten” dem Entgegengesetzten Raum macht. Beispiele für das „Vergeben” finden wir in Lk. 23,34 (vergl. damit Apg. 3,17ff.); Apg. 7,60; 2. Tim. 4,16; 2. Kor. 2,10.11; Jak. 5,15; 4. Mo. 12,9-11. Beispiele für das „Behalten” der Sünden haben wir in 2. Tim. 4,14; 1. Tim. 1,20; 1. Kor. 5; Apg. 5,1-11.

Das Nichtvergeben erfordert ein weit größeres Maß geistlicher Kraft als das Vergeben. Dem Fleische liegt das Nichtvergeben näher als das Vergeben. Aber ein Nichtvergeben, welches nicht nach dem Geiste, sondern nach dem Fleische ist (z.B. aus Härte, Unversöhnlichkeit, Zorn, Habsucht usw.), bringt die züchtigende Hand Gottes über den, der nicht vergibt. Es bedarf eines großen Maßes von geistlichem Verständnis und von Gemeinschaft mit dem HERRN, Sünden nach dem Geiste Christi zu „behalten” und zu „binden”.*

In der zweiten Stelle (1. Kor. 4,5) zeigt der Apostel, von welchem Gesichtspunkte aus die Korinther ihn und die mit ihm am Werke des HERRN arbeitenden Brüder ansehen und beurteilen sollten. Sie sollten sie ansehen als Diener Christi und Verwalter der Geheimnisse Gottes. Das, was man an einem Diener und Verwalter mit Recht sucht und beansprucht, ist Treue. Treue verfährt und geht mit dem Anvertrauten so um, wie es nach dem Willen dessen ist, der es anvertraut hat. Alle Selbstsucht, Selbstwillen, Rücksichtnahme auf andere muss bei Treue hintenan gestellt werden. Das Urteil der Menschen über ihn als Diener und Verwalter Gottes, ganz gleich, ob es abfällig oder lobend sei, ist ihm deshalb „ein Geringes”; aber auch sein eigenes Urteil über sich ist ebenso wertlos. Denn wenn er sich selbst auch keines Bösen oder des Mangels an Treue bewußt wäre, so rechtfertige ihn dieses nicht, denn weder andere noch er selbst, noch sein Gewissen hatten seine Treue als Diener zu beurteilen, hierfür war allein der HERR der untrüglich Entscheidende.

Nun zieht er im fünften Vers den praktischen Schluß: Weil dem HERRN allein das Urteil über Seinen Diener zusteht, sollen wir uns des vorzeitigen Urteilens enthalten. Die dann folgenden Worte sind von größter Wichtigkeit, denn sie zeigen uns, auf welche Dinge er die Warnung vor dem vorzeitigen Urteilen angewandt sehen will, nämlich auf das „Verborgene”, auf die „Ratschläge der Herzen”, auf das „ans-Licht-bringen” und „offenbaren”-wollen. Alles Urteilen, das auf diesem Gebiete liegt - das Urteilen über Unlauterkeit der Gesinnung, über Nebenabsichten im Dienst, über Unaufrichtigkeit des Herzens, über die Gedanken usw., jedes Urteilen solcher Art ist für Menschen ein Urteil vor der Zeit, da nur der HERR und nicht ein Mensch die „Ratschläge der Herzen” kennen und offenbaren kann. Ob solches Urteilen oder Richten nun Lob oder Tadel ist, Wert hat doch nur Gottes Urteil.

Welche Warnung liegt für uns in diesen Worten! Wie gedankenlos setzen sich Kinder Gottes oft an den Platz Gottes und sprechen Urteile aus, als ob sie die Herzen erforschen könnten. Sie urteilen über etwas, was der HERR noch nicht ans Licht gebracht hat, was nur in ihren Mutmaßungen liegt und wozu sie kein Recht haben, weil (obgleich es vorhanden sein mag) Gott es noch nicht durch klare Beweise hat sichtbar und offenbar werden lassen.

Er allein ist der Herzenserforscher, aber der Satan wendet den alten Trick: „Ihr werdet sein wie Gott”, mit dem er Eva betörte, mit Erfolg noch heute auf ihre Nachkommen an. Viele Kinder Gottes sind so gedankenlos, dass sie gar nicht wissen, dass sie dem Feinde zum Opfer gefallen sind und das schreckliche satanische Gedankenlesen ausüben, welches sie in den öffentlichen Schaustellungen der Welt ohne weiteres als satanisch verurteilen. Und ach, wieviel Gedankenlesen wird unter dem Volke Gottes geübt! Man mutmaßt, was verborgen, und richtet die Ratschläge des Herzens und tut so, als ob man die Motive kennen und das verborgene ans Licht ziehen und die Gedanken der Herzen lesen und offenbaren könne. Wie schrecklich sind solche Dinge!

Das, was Gott allein für Sich in Anspruch nimmt, die Gedanken von ferne zu kennen (Ps. 139,2), das, was in Finsternis ist, zu wissen und das Verborgene zu offenbaren (Dan. 2,22), das maßt der Mensch, das maßen Kinder Gottes sich an. Ja, manche offenbaren förmlich eine dunkle Sucht darin, das Verborgene ans Licht zu bringen. Das ist Gottes Aufgabe, Er wird das Verborgene der Finsternis ans Licht bringen, wenn Seine Zeit dafür gekommen ist. Aber nicht der Mensch soll sich überheben, vermutetes Böses ans Licht bringen zu wollen. Kinder Gottes handeln nach der Liebe. „Die Liebe denkt nichts Böses, sie erträgt alles oder deckt alles zu” (1. Kor. 13,4-7.) Jemand möchte nun fragen: „Sollen wir denn überhaupt nicht richten?” Oft ist diese Stelle dazu gemißbraucht worden, auch das Richten des Bösen zu verneinen, und gewöhnlich wird als weiterer Beweis dafür Mt. 7,1 angeführt: „Richtet nicht, auf dass ihr nicht gerichtet werdet”. In bezug auf Böses aber sagt die Schrift: „Richtet ihr nicht, die drinnen sind?” (1. Kor. 5,12.) Derselbe Apostel, der in Kap. 4,5die Korinther warnt vor dem Richten, tadelt sie in Kap. 5,12, dass sie nicht gerichtet haben. Es gibt somit:

Ein Richten, welches unterbleiben muß, oder wir sind böse, und ein Richten, welches stattfinden muß, oder wir sind untreu.
Das Richten, welches unterbleiben muß, ist das Urteilen über alles, was Gott noch nicht offenbart und ans Licht gezogen hat. Das Urteilen nach Mutmaßungen, das Voraussetzen und Unterschieben von Motiven als Ursachen von Handlungen, das Richten von Gedanken und Gesinnungen des Herzens, ein solches Richten beweist nur, dass ein Balken in dem Auge ist: der Balken der bösen Vermutungen oder der Selbstsucht oder des Neides oder der Leidenschaft oder der Eifersucht usw. Gläubige, die solches tun, sind traurige Gestalten unter dem Volke Gottes, und wenn die Gemeinde nicht wacht, kann eine ganze Versammlung durch solche an den Rand des Verfalles gebracht werden.

Was aber gerichtet werden muß, das ist die Sünde und alles sonst, was Gott aufgedeckt hat. Alles, was Wesen der Welt ist, und alles, was dem Worte des HERRN entgegen ist, und nicht nur Dinge, sondern auch Personen, haben wir zu richten. An ihren Früchten sollen wir letztere erkennen. (Mt. 7,16; Röm. 16,17; 2. Tim. 2,21; 1. Kor. 5.) Gottes Heiligkeit erfordert ein solches Richten, und wir sind nicht treu, wenn wir es unterlassen; wir würden dadurch Verderben in Sein Haus bringen. Der Feind sagt uns, um des Friedens willen das Böse zu dulden, aber wir dürfen nicht um des Friedens willen die Rechte und die Heiligkeit des HERRN verleugnen. Über das Böse hinwegzugehen ist keine leichte Sache.

So liegen Gefahren für uns auf beiden Seiten, einmal Gefahr, das offenbare Böse nicht zu richten und, wie David dem Absalom, das von Gott geforderte Gericht sich ersparen wollen und unserer Verantwortlichkeit der Heiligkeit Gottes gegenüber nicht zu entsprechen, und andererseits Gefahren, dem Geiste der Tadelsucht und der bösen Vermutungen Raum zu geben und uns an den Platz Gottes zu setzen und zum Richter der Gedanken und Gesinnungen der Herzen zu machen. Wie sehr bedürfen wir doch der Gnade und Weisheit nach allen Seiten hin. Der HERR schenke sie uns!
v. d. K.


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 10 (1925)