Ist Gott der Urheber auch des Bösen?

Ich habe mit Menschen zu tun, die mit der Anthroposophie und mit Esoterik sympathisieren. Bekanntlich besagt die Lehre von Yin und Yang, dass das Gute ohne das Böse nicht denkbar sei. Wir wissen aber, dass Gott nur gut ist. Wie soll ich aber meinem esoterischen Gesprächspartner Jesaja 45,7 erklären: "Der ich das Licht mache und schaffe die Finsternis, der ich Frieden gebe und schaffe das Ubel. Ich bin der Herr, der solches alles tut." Ähnliches steht in Amos 3,6.

Wir müssen uns zur Beantwortung dieser Frage einmal mehr zwei eherne Regeln gesunder Bibelauslegung vergegenwärtigen, nämlich erstens:

Die Bibel wird allein durch die Bibel ausgelegt (ansonsten sie nicht mehr als Gottes Wort gälte); zweitens: mehrdeutige Stellen müssen im Lichte eindeutiger Stellen erklärt werden (ansonsten sich die Bibel wider-spräche). Nun sagen unmissverständliche Bibelstellen, dass in Gott nichts Böses, keine Finsternis ist, und dass Gott niemals der Urheber von Bösem im Sinne von Sünde sein kann:
"Gott kann nicht versucht werden vom Bösen, und selbst versucht er niemanden (...) Jede gute Gabe und jedes vollkommene Geschenk kommt von oben herab, von dem Vater der Lichter, bei welchem keine Veränderung ist noch eines Wechsels Schatten" (Jakobus 1,13+17).
"Gott ist Licht, und gar keine Finsternis ist in ihm" (1. Johannes 1,5).
"Gott, der nicht lügen kann"» (Titus 1,2).
"Er (Gott) kann sich selbst nicht verleugnen" (2. Timotheus 2,13).

Wenn nun in Gott keine Finsternis, keine Lüge und keine Untreue ist, und er niemals der Urheber und Veranlasser der Sünde sein kann, dann begreifen wir, dass in Jesaja 45,7 nicht gemeint sein kann, "Finsternis" und "Übel" seien unmittelbare Werke Gottes, da sich beides in Gottes Wesen befände. Es ist vielmehr so, dass Gott über allem steht, alles lenkt und daher "Finsternis" und "Übel" zulässt, den Menschen diesen Dingen preisgibt (Römer 1,24+26+28), wenn sich der Mensch der Sünde wegen dem gerechten Gericht Gottes ausgesetzt hat.

Schliesslich wollen wir einen weiteren ehernen Grundsatz der Bibelauslegung beachten: Wir müssen den unmittelbaren Zusammenhang berücksichtigen. Wovon wird gerade gesprochen; und wer ist der Angesprochene? Es geht in Jesaja 45 um den Perserkönig Kores, den Gott verwenden würde, um das babylonische Weltreich zu zerstören und dadurch das Exil der Juden zu beenden. Die "Finsternis" und das "Übel" (Elberfelder: "Unglück") sind mithin die Zerstörung eines gottlosen irdischen Reiches. Außerdem hat diese Aussage gerade für einen Perser besondere Bedeutung, glaubte er doch an eine Weltordnung, die den Vorstellun gen von Yin und Yang nahekommt. Er glaubte, dass hinter allem Geschehen in der Welt zwei einander ebenbürtige Gottheiten stünden, Ahuramazda und Ahriman, wobei ersterer alles Lichtvolle und Gute, letzterer alles Finstere und Üble, das uns in der Welt befallen mag, ent sprang. Diesem nun sagt Gott durch den Propheten, dass nur ein Gott ist, der alles Geschehen in der Welt lenkt: "Auf dass man wisse vom Auf gang der Sonne und von ihrem Niedergang her, dass ausser mir gar kei ner ist. Ich bin der HERR, und sonst ist keiner" (V. 6). Das bedeutet, dass Glück und Unglück letzten Endes von ihm allein abhängen. Er lenkt alles, an ihm und an der Beziehung des Menschen zu ihm hängt alles, ob Licht oder Finsternis, Frieden oder Zerstörung dessen Teil sein wird. Nicht der Perserkönig ist es, der solches zu verhängen vermag, noch auch die beiden Gottheiten, an die er glaubte.


Beantwortet von: Benedikt Peters
Quelle: Aus dem Buch 3 x 100 Fragen zur Bibel (Schwengeler Verlag, 2003)