Antwort A
Nehmen wir zwei Beispiele aus dem Worte, Mk. 3,5 und 1. Sam. 15,11, so haben wir die Antwort: „jawohl”! Bei Samuel war es, wenn wir die Fußnote der Elberfelder Übersetzung beachten, Betrübnis und Zorn, was ihn entbrennen ließ, derart, dass er aus der Tiefe des Schmerzes heraus die ganze Nacht zu Gott „schrie”, nicht „betete”. Was kam in Frage? Persönlich erduldete Beleidigung? Nein, sondern die schmähliche Mißachtung des ausdrücklichen göttlichen Befehls und damit die Gottes Selber von seiten dessen, dem eine so schätzenswerte Ehrung zuteil geworden war, dass er aus niedriger Stellung zur Königswürde erhoben worden war. Bei dem HERRN lesen wir ebenfalls von „Zorn” und „betrübt über” die Verstockung ihres Herzens; genau das, was betreffs Sauls gesagt werden kann; und fügen wir es nur hinzu, was betreffs jedes Menschen gesagt werden kann, der heute so sich zeigt, nachdem die Gnade ihm begegnet ist. Wenn wir an unsere über alles Begreifen erhabene Berufung und Stellung in Christo denken, so kann wohl so ein heiliger Zorn uns erfassen, wenn ein Mensch Schmach auf den Namen des HERRN bringt und mit frecher Gemeinheit die geringsten Forderungen Seiner Heiligkeit mit Füßen tritt, wie die bekennende Christenheit als ein Ganzes es tut gleich den Nachkommen der aus der Verbannung Zurückgekehrten in Mal. 1,2-14. Nur ist dieses unser heilige Zürnen gepaart mit dem selbstrichtenden Geiste der Buße; es darf und wird nicht Seine Grenzen überschreiten, sonst würden wir sündigen und dem Teufel Raum geben. Gegen das wendet sich Vers 31 und Mt. 5,22. Ob „mit” oder „ohne Grund” ist nicht die Frage; das geht deutlich hervor aus dem, was folgt über Raka und Narr; denn dort steht kein „ohne Grund”. Der Grundtext selber hat „ohne Grund” in den meisten Handschriften; aber in einigen gewichtigen fehlen die zwei Worte; es hängt also nicht von der griechischen Sprache ab, ob sie da sind oder nicht, sondern von den Handschriften.
Beiläufig bemerkt: „zürnet und sündigt nicht” steht in der griechischen Übersetzung des Alten Testaments (der „Septuaginta”, vergl. Band l [1913], Frage 44! Der Herausg.), nach welcher viele Stellen im Neuen angeführt sind, wo im hebräischen steht: „seid erregt und sündiget nicht” (Ps. 4,4). Als Anführung gibt es der Apostel nicht; aber im Anschluß an „Lüge ablegen” in Eph. 4,25 ist es doch beachtenswert, dass in Vers 2 des Psalms tadelnd von „Lüge suchen” geredet ist.
F. Kpp.
Antwort B
Zwischen dem „Zürnen” in Mt. 5,22 und dem „Zürnen” in Eph. 4,26 besteht m. E. ein großer Unterschied. In ersterer Schriftstelle ist ein „Zürnen” gemeint, das aus dem Fleische hervorgeht und zur Verschuldung gegen den Mitmenschen führt. Dies ist aus dem Zusammenhange deutlich zu ersehen. Es handelt sich hier um Zorn, von dem es in Jak. 1,20 heißt: „Denn eines Mannes Zorn wirkt nicht die Gerechtigkeit Gottes.” Dass vor letzterem Worte gesagt ist, wir sollten „langsam zum Zorn” sein, bedeutet nicht, dass der Zorn in uns wohl aufkommen dürfe, nur nicht schnell, sondern ist vielmehr eine Warnung, uns davor zu hüten aus dem in Vers 20 angegebenen Grunde. Die Worte „ohne Grund” in Mt. 5,22 sind zwar in vielen Handschriften eingefügt, sollen aber, wie mir ein darüber unterrichteter Bruder versichert, in bestbezeugten Handschriften nicht stehen. Es ist eben ein „Zürnen”, das vor Gott nicht gut ist, welche Ursache immer es auch haben mag. - Anders ist es aber in Eph. 4,26, wie ich es verstehe, denn dort wird nichts gegen das Zürnen an sich gesagt, sondern nur die Ermahnung ausgesprochen, nicht zu sündigen, wenn wir zürnen. Hier muss also ein „Zürnen” gemeint sein, das an sich recht ist, also nicht aus dem Fleische, sondern - ich bin so kühn, diesen Schluß zu ziehen - aus dem Geiste ist. Ich denke dabei an den Herrn Jesus in Mk. 3,5, wo es von Ihm heißt: „Und Er blickte auf sie umher mit Zorn, betrübt über die Verstockung ihres Herzens ...” Solcher Zorn ist m. E. in Eph. 4,26 gemeint: Zorn im Geiste Christi über das Böse in wahrer Betrübnis über dasselbe, ohne jedes - dem fleischlichen Zorne eigene - unfreundliche oder gar feindliche Gefühl gegen den das Böse ausübenden Mitmenschen. Solchen Zorn kann der Geist in unseren Herzen wirken, wenn wir selbst in Heiligkeit wandeln. Aber selbst bei solchem Zorn liegt für uns die Gefahr nahe, zu sündigen, wie die Warnung in Vers 26 uns zeigt. Das „Fleisch” ist vorhanden und nur zu geneigt, das „Zürnen” zu dem Seinigen zu machen. Dies wird sicher geschehen, wenn wir nicht wachen, und sobald letzteres geschehen ist, werden wir sündigen. Deshalb die Mahnung: „Zürnet, und sündiget nicht.” Es ist aber noch eine weitere Gefahr für uns mit dem Zorn verbunden, nämlich die, dass wir den Zorn in unseren Herzen sich festsetzen lassen, zum Schaden für unseren Zustand, und dass dies für den Teufel zu einer Gelegenheit wird, in uns Raum zu gewinnen. Wir hören deshalb die weitere Mahnung: „Die Sonne gehe nicht unter über eurem Zorn, und gebet nicht Raum dem Teufel” (V. 26b.27).
Mir scheint es, dass das „Zürnen” nach Eph. 4,26 etwas ist, was wir gar nicht als „Zürnen” anzusehen gewohnt sind, und dass dagegen das, was wir gewöhnt sind, als „Zorn” zu bezeichnen, entweder überhaupt lediglich eine Regung des Fleisches ist oder doch etwas ist, bei dem das Fleisch mehr oder weniger beteiligt ist, also etwas, was Gott nicht anerkennen kann, sondern was dem alten Menschen angehört und deshalb abgelegt und weggetan werden sollte (Eph. 4,20-24.31; Kol. 3,8-11).
Unser treuer HERR schenke uns Gnade, ein wachsames Auge und Herz zu haben und immer mehr befreit zu werden von allem, was nicht Seinem Bilde entspricht!
Th. K.
Anmerkung des Herausgebers
Zunächst ein kleiner Hinweis für diejenigen Leser, welche vielleicht annehmen, es sei in Eph. 4,26 ja gerade das „Zürnen” verboten, indem es neben das „Sündigen” gestellt werde. Aber abgesehen von sachlichen Gründen kann es nach dem griechischen Urtext gar nicht anders heißen, als wie auch obige Antworten besagen: „Zürnet, und (= aber) sündiget nicht!” Wörtlich heißt es: „Zürnet, und nicht sündiget!”
Wir glauben, dass der Zusatz „ohne Grund” in Mt. 5,22 in manchen jüngeren „Handschriften” (also Abschriften des neutestamentlichen Testes, von dem, wie auch vom Alten Testament, die Urschriften verloren gegangen sind; doch sind die ältesten vorhandenen Abschriften, die Gott in Seiner Vorsehung und Gnade uns aufbewahrt hat, zuverlässig! außerdem wird die Tatsache der göttlichen wörtlichen Eingebung der heiligen Schriften hierdurch nicht in Frage gestellt noch überhaupt berührt!) von den späteren Abschreibern hinzugefügt sein kann, weil diese sich manchmal berufen glaubten, den Text menschlich zu „verbessern” und etwaige scheinbare „Widersprüche” zu anderen Stellen dadurch auszugleichen (!). Wir also streichen diesen Zusatz, wie ihn denn auch etliche neuere Übersetzungen nicht haben, oder nur in Fußnote (so Wiese). Er ist, wie Antwort A schon zeigt, wegen des Folgenden und, wie wir glauben, auch wegen des Gegensatzes von V. 22 zu V. 21 gar nicht gerechtfertigt.
Wenn nun aber auch dieser Zusatz gestrichen wird, so fällt damit doch nicht die Möglichkeit hin, einen sogenannten „heiligen” Zorn zu hegen. Nur kommt es, wie obige schöne Antworten zeigen, auf die Grundgesinnung des Herzens an bei solchen Zorneserregungen, d. h. wogegen der Zorn sich richtet, gegen die Menschen oder ihr Tun, gegen die „Brüder” oder deren Sünde, und welches die Ursachen zu solchem Zorn sind. Oben sind Beispiele genannt von solchem berechtigten Zorn, dem als Ursache die Sache Gottes zugrunde lag, und nicht etwa persönliche Gründe. Hier noch ein Beispiel dafür: 2. Kön. 13,19! Bei allem „heiligen” Zorn müssen wir lernen von dem HERRN Selbst, der, als Seine Jünger einmal mit größtem Recht zornig schienen, sie auf den Urgrund ihrer Herzen zurückführte und Langmut bewies denen gegenüber, die den Zorn der Jünger hervorgerufen hatten (vergl. Lk. 9,54ff.). Ebenso lehrt uns das Verhalten des HERRN, unseres Gottes, unendlich viel, das Er noch immer dieser Welt gegenüber beweist, indem Er sie trägt, ja, „die Gefäße des Zornes getragen hat mit vieler Langmut”, obwohl „Er willens ist, Seinen Zorn zu erzeigen” (Röm. 9,22). Sein Zorn kommt bestimmt, wir wissen es aus Seinem Wort, und wir sind errettet vom zukünftigen Zorn (Röm. 5,9), aber „Gott ist langsam zum Zorn” (Joel 2,13), und darum sollen wir sein „langsam zum Zorn”, d. h. uns nicht von augenblicklichen fleischlichen Erregungen hinreißen lassen zu Zorneshandlungen, die nicht gut sind. Seien wir auch ja auf der Hut bei Veranlassungen, die einen sogenannten „heiligen” Zorn bei uns hervorrufen wollen - es möchte manchmal sein, dass der Feind seine Hand im Spiele hat, uns zu Falle zu bringen und unsere innere Gemeinschaft mit den Geschwistern im HERRN zu stören, oder uns ihnen oder anderen (unbekehrten) Menschen gegenüber gar zu ungerechtfertigten unheiligen Handlungen (z. B. gerichtlichen Klagen u. dergl.!) zu verführen. Es ist wichtig, dass wir stets uns prüfen, ob etwa persönliche Gründe den Hintergrund unseres scheinbar gerechten „heiligen” Zornes bilden. Dennoch - es gibt solchen Zorn, solchen „aus dem Geiste” (Antwort B) gezeugten Zorn. Ob dieser allerdings in Eph. 4,26.27 gemeint ist? denn ein solcher kann doch auch längere Zeit andauern müssen?! Aber man kann auch sagen: der Apostel unterscheidet Vers 26a und 26b; in a ist der berechtigte heilige Zorn gemeint, bei dem man sich aber vor einem Weitergeraten in Sünde zu hüten hat, in b ist ein unheiliger Zorn gemeint, bei dem wir uns ängstlich zu bemühen haben, dass derselbe am gleichen Tage beendet werde, weil sonst dem Teufel, dem Lästerer, die Möglichkeit gegeben werde, sein Zerstörungswerk auszuüben. Tatsächlich sind in 26a und b verschiedene, wenn auch ähnliche Worte genannt, wie denn ja auch im Deutschen zwischen „Zorn” und „Zürnen” ein feiner Unterschied ist. Das Wort in Vers 31 bekommt seine über das in 26a gemeinte Zürnen hinausgehende schärfere Bedeutung des unheiligen Zornes schon durch die anderen Worte, vergl. auch Kol. 3,8! Wir fügen hier noch die sehr klare Wiesesche Übersetzung von Eph. 4,26 und 31 bei: „Zürnet, und sündiget nicht; die Sonne soll nicht untergehen über eurer Zornerregung” ... „Alle Bitterkeit und Zornaufwallung und Zornstimmung und Geschrei usw.”
Möchten die auf diese ernste praktische Frage eingegangenen Antworten uns belehren und warnen vor uns selbst und dem in uns wohnenden fleischlichen Sinn, der auch in dieser Hinsicht uns zu so schmerzlichen Verfehlungen bringen kann. Wie können wir befreit werden davon? Kol. 3, das ganze Kapitel, zeigt es uns! Von Vers 12 an sehen wir das Wesen Christi; sind wir mit diesem bekleidet, vom frühen Morgen an damit umhüllt, „auf das sinnend, was droben ist, da Christus ist” (3,2), dann wird Eph. 4,26, wenn es gelegentlich unsere Aufgabe ist, zu „zürnen”, in unserem Verhalten eine volle, gottgemäße Darstellung finden. Der HERR schenke uns allezeit Gnade hierzu!