Immer wieder hört man, vor allem in charismatischen Gemeinden, dass Gott jeden Menschen körperlich heilen möchte. Oftmals werden dazu Stellen aus dem Alten Testament herangezogen (z.B. Ps.107,19; Ex. 15,26; Ex. 23,25; Jer 30,17) um diese Lehre zu untermauern.
Dabei übersieht man jedoch, dass es hier um Verheißungen dem Volk Israel gegenüber geht und die Verse aus dem Zusammenhang gerissen sind. Für die Gemeinde im Neuen Testament gelten diese Verheißungen nicht. Eine Lehre, dass Christen immer gesund sein müssen, gibt es nicht und ist somit als Irrlehre abzulehnen.
Liest man die Briefe im NT sieht man eindeutig, dass gläubige Christen durchaus Krank sein können. Z.B.
- Epaphroditus (Phil. 2,25-30)
- Timotheus (1. Tim. 5,23)
- Paulus (2. Kor. 12,7-10; eventuell auch Gal. 4,13)
- Trophimus (2. Tim. 4,20)
Wenn Paulus unbeschränkt heilen konnte, warum ließ er Trophimus dann krank in Milet zurück? „Trophimus aber habe ich in Milet krank zurückgelassen.“ (2. Tim. 4,20)
Wir sehen also, dass selbst Vorzeige-Christen wie Paulus und Timotheus öfters krank waren und Gott sie nicht geheilt hat. Waren sie dadurch ungeistlich oder unbrauchbar? Keineswegs! Gerade dann wir Christen schwach und kraftlos sind, kann Gott uns gebrauchen (2. Kor. 12,9-10). Dazu später mehr.
Aber was ist mit Mk. 16,17-18?
„Diese Zeichen aber werden die begleiten, die gläubig geworden sind: In meinem Namen werden sie Dämonen austreiben, sie werden in neuen Sprachen reden, Schlangen werden sie aufheben, und wenn sie etwas Tödliches trinken, wird es ihnen nichts schaden; Kranken werden sie die Hände auflegen, und sie werden sich wohl befinden.“
Grundsätzlich ist dazu zu sagen, dass es sich hier um keine Aufforderungen handelt diese Dinge zu tun. Es sind hier keine Imperative (Befehlsformen). Die Stelle deutet lediglich an, was die Jünger und Apostel dann in der Apostelgeschichte erleben werden. Wer aus der Stelle schließt, dass er den Auftrag hat Kranken die Hände aufzulegen, muss auch bereit sein Gift zu trinken und giftige Schlangen aufzuheben. Dazu kommt noch, dass die Verse 9-20 in der Textkritik umstritten sind, da sie in den meisten ältesten Handschriften fehlen. Wer also aufgrund dieser Stelle einen Heilungsauftrag sieht, hat exegetisch nicht korrekt gearbeitet.
Aber was ist mit den Leuten die bei Heilungsveranstaltungen geheilt werden?
Zuerst einmal müsste man sich die Frage stellen, warum bei solchen Veranstaltungen immer nur nicht-sichtbare Krankheiten geheilt werden. Wer hat schon einmal einen amputierten Arm oder Fuß nachwachsen sehen? Oder das eine offensichtliche Hautkrankheit verschwindet? Wie viele Menschen werden von ihrer Kurzsichtigkeit oder von fehlenden Zähnen geheilt?
Fast immer sind es Krankheiten wie Rückenschmerzen, Darmprobleme, Verspannungen, Gliederschmerzen oder Ähnliches die „geheilt“ werden, also Krankheiten, wo das Publikum die Heilung nicht wirklich überprüfen kann.
Dass es scheinbare Heilungen geben kann, die nichts mit göttlichem Eingreifen zu tun haben, zeigt übrigens Derren Brown in seinem Video „Miracles for Sale“ sehr anschaulich.
Der Grund warum viele Menschen glauben, dass es ihnen, nachdem ein Heiler sie berührt hat, besser geht ist, dass sie eine gewisse Erwartungshaltung haben und das ausgeschüttete Adrenalin in ihrem Körper die Schmerzen unterdrückt. Von einer permanent anhaltenden Heilung (so wie Jesus geheilt hat) sind diese Menschen oft weit entfernt.
Oft werden die Personen, nachdem der Heiler sie geheilt hat, gefragt, ob sie eine Verbesserung verspüren. Die Antwort lautet dann meistens „ja“, auch wenn keine wirkliche Verbesserung eingetreten ist. Dafür gibt es viele Gründe. Einerseits will die Person den Heiler ja nicht bloßstellen („was würde das Publikum denken, wenn ich jetzt ‚nein‘ sage?“) andererseits würde das ja auch bedeuten, dass die kranke Person zu wenig Glauben hatte (so wird es dann oft gelehrt, wenn man nicht geheilt wird). Und wer will sich schon einen Glaubensmangel vor dem Publikum eingestehen?
Allerdings ist es so, dass man um geheilt zu werden, nach den Berichten des Neuen Testaments, gar keinen Glauben braucht. Jesus hat unzählige Personen geheilt, die gar nicht an ihn geglaubt haben. Siehe z.B. die 10 Aussätzigen in Lk. 17,12-19, von denen nur einer glaube. Wenn keine Heilung stattfinden, dann liegt das am Unglauben des Heilers und nicht am Unglauben des Kranken. Das wird durch Mt. 17,14-21 deutlich, wo die Jünger den stummen Besessenen nicht austreiben konnten und Jesus sie wegen ihres Unglaubens tadelt.
Weitere Argumente
In Bezug auf Heilungen hört man auch oft das Argument, dass Gott ja derselbe gestern, heute und in alle Ewigkeit ist (Hebr. 13,8) und deswegen muss es dieselben Heilungen auch heute noch geben. Hier wird jedoch dieser Bibelvers völlig missverstanden. Der Vers besagt nämlich nicht, dass Jesus heute genauso handelt wie vor zweitausend Jahren. Wer sich schon einmal mit Heilszeitaltern beschäftigt hat, weiß, dass Gott zu verschiedenen Zeiten unterschiedlich handelt. Gott handelt heute anders als zur Zeit der Patriarchen und er handelt heute anders als zur Zeit der Apostel. Der Vers bezieht sich also nicht auf das Handeln, sondern auf das Wesen Gottes!
Oft hört man auch, dass Gott ja jeden heilen möchte und wenn es dann einmal nicht funktioniert nennt man die Bibelstelle aus 1. Tim. 2,2 wo steht, dass Gott alle Menschen retten möchte, aber das ja auch nicht passiert, obwohl es ja Gottes Wille ist. Hier ist sitzt man aber einem Denkfehler auf, denn der Grund warum nicht alle Menschen errettet werden ist, weil die meisten Menschen die Errettung nicht annehmen. Gott bietet die Errettung jedem an, aber nicht alle nehmen sie an. Bei einer nicht eingetretenen Heilung kann man aber nicht sagen, dass der Kranke nicht heil werden wollte. Hier will der Kranke ja gesund werden, wird er aber nicht, weil der Heiler in Wirklichkeit gar nicht die Gabe der Heilung hat.
Lesen Sie dazu den Artikel: Die (falschen) Wunder des Billy Smith
Der ehemalige Allianzvorsitzende Dr. Rolf Hille liegt also richtig, wenn er folgendes schreibt: „Zwar sei für Christen die Schuldfrage dadurch geklärt, dass Jesus Christus Sünden vergebe, jedoch bleibe die Frage nach Glück und Wohlergehen im irdischen Leben offen. Die charismatische Bewegung sei für ihn in dieser Hinsicht "die tragischste Bewegung in der Geschichte der Kirche", so Hille. Sie scheitere an einer fehlerhaften Bibelauslegung, da sie Heilung als Normalfall und Krankheit als Ausnahmefall ansehe. Der Wunsch nach Wiederherstellung des Paradieses erfülle sich jedoch nicht in diesem Leben (ideaSpektrum 36/2009, S. 14).
Was ist bei Krankheit zu tun?
Die biblische Antwort steht ihn Jak. 5,13 „Leidet jemand unter euch? Er bete“. So wie Paulus in 2. Kor. 12,8 dürfen wir direkt zu Gott flehen, dass er uns das Leiden oder die Krankheit wegnimmt. Dazu braucht es keinen Heiler. Wir dürfen und sollen auch Ärzte und medizinische Hilfe in Anspruch nehmen (vgl. Mt. 9,12; Lk. 10,33-34; 1. Tim. 5,23; Jer. 8,22). Sollten wir von unserer Krankheit nicht erlöst werden, dann ist dies Gottes Wille für unser Leben. Er möchte, dass wir damit leben und gerade in unserer Unvollkommenheit und Schwäche ihm dienen (2. Kor. 12,9-10). Krankheit ist nie ein Hindernis für den Dienst. So schreibt auch der französische Schriftsteller André Gide „Ich glaube, dass die Krankheiten Schlüssel sind, die uns gewisse Tore öffnen können. Ich glaube, es gibt gewisse Tore, die einzig die Krankheit öffnen kann.“ und auch Martin Luther schreibt „Gott wird durch Krankheit oft mehr verherrlicht als durch die Gesundheit.“
So können wir wie Blaise Pascal beten: „Vater im Himmel, ich bitte weder um Gesundheit, noch um Krankheit, weder um Leben noch um Tod, sondern darum, dass du über meine Gesundheit und meine Krankheit, über mein Leben und meinen Tod verfügst zu deiner Ehre und zu meinem Heil. Du allein weißt, was mir dienlich ist. Du allein bist der Herr, tue, was du willst. Gib mir oder nimm mir, aber mache meinen Willen dem deinen gleich. Amen.“
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