Hebräer 13,22, denn auch...

Wie ist das „denn auch ...“ des Nachsatzes im Hebr. 13,22 zu erklären?

Antwort

Die Stelle lautet nach der Elberfelder Übersetzung: „Ich bitte euch aber, Brüder, ertraget das Wort der Ermahnung; denn ich habe euch auch mit kurzen (Worten) geschrieben”. In der Luther-Übersetzung fehlt das Wörtchen „auch”, dadurch wird aber das innere Verständnis der Stelle anscheinend noch mehr erschwert. Dagegen setzt die Wiese-Übersetzung vor „auch” das Wörtchen „ja”, und das entspricht m. E. dem Grundtext am besten, wenngleich Wiese das „denn” fallen läßt; man kann es jedoch auch stehen lassen. Dieser Ausdruck „denn ja auch” kommt noch mehrfach in der Schrift vor, darunter in Hebr. 4,2 (vgl. Apg. 19,40 und Lk. 7,8). Diese Übersetzung macht, meine ich, die Stelle klarer in dem Sinne, dass der Briefschreiber auf das Ertragen seiner Ermahnung seitens der Hebräer rechnen zu können hofft (wenigstens darum bittet), weil er ihnen ja nur kurz geschrieben habe.

Wenn wir somit die Stelle äußerlich verstehen, so bleibt (nur) noch die große innere Schwierigkeit, wie es möglich war, dass der Apostel den Briefempfängern jenen Vorwurf machen mußte, wegen dessen er sich mit dem Nachsatz entschuldigen zu müssen glaubt. Sehen wir uns die Stelle daraufhin noch einmal genauer an!
Das inspirierte („gotteingehauchte”) Wort gibt dieser Bitte des Schreibers eine fast ängstlich-vorsichtige Fassung; er sagt: „ich bitte euch, ertraget das Wort der Ermahnung” oder „nehmet es freundlich auf” - ich vermute, es fällt euch schwer, aber bitte! - „ich habe euch ja auch nur wenig geschrieben” - ich habe mich zusammengenommen, wie gern hätte ich über diesen köstlichen Gegenstand viel mehr geschrieben, aber für euch ist der Brief vielleicht schon viel zu lang (ist er doch ohnehin einer der längsten!), schriebe ich noch mehr, so wie es mir ums Herz ist, so würdet ihr den Brief vielleicht nicht einmal ordentlich lesen!
Dies ist, wie gesagt, eine gewisse innere Schwierigkeit, wenn uns die äußere des einfachen Verstehens der Stelle auch behoben sein mag. Man könnte fragen: Muß der oder ein Apostel sich verteidigen gegen seine Leser? Ist das nicht eine zu weitgehende Rücksichtnahme auf die „urteilslose Masse”? Macht er sich nicht abhängig von ihrer Gunst oder ihrem Mißfallen? Solche Fragen können einem nur kommen, wenn man das Wesen des inspirierten Wortes nicht versteht. Dieses hebt nie die Persönlichkeit weder des Schreibers noch der Leser auf, mit anderen Worten: die persönliche Eigenart des gotthingegebenen Schreibers sowohl wie auch die körperlichen und sittlichen Eigenschaften der Leser werden nicht nur nicht vergewaltigt (wie es oft durch sinnlose Befehle einseitig herrschender Menschen oder Institutionen geschieht!), sondern vielmehr weitgehends berücksichtigt, ja gepflegt, geistlich geadelt und oft zum Ausgangspunkt mancher Ermahnungen, Belehrungen und Warnungen gemacht. Gott begegnet dem Menschen stets da, wo er sich befindet (darum kam Er in der Person des Sohnes auch auf die Erde, wo wir waren!), und Seine heiligen Schreiber wurden stets geistlich autorisiert, d. h. bevollmächtigt und befähigt, in der ihnen selbst eigentümlichen Weise und Weisheit den Menschen mit gotteingegehenem Wort gerade da zu dienen, wo und wie diese es in jedem Augenblick brauchten. Daher finden wir so viele persönliche Rücksichtnahmen vor allem in den Briefen des Paulus. Dahin gehört z. B. 2. Kor. 11,1, wo auch das Wort „ertragen” (= „freundlich aufnehmen” oder „billig annehmen” wie in Apg. 19,40!!) im Grundtext steht. Dies Wort von der „Torheit des Apostels”, welche jene freundlicherweise ertragen möchten, gehört ebenso zum „gotteingehauchten” Wort (2. Tim. 3,16) wie diese Hebräerstelle. Das sind Beispiele davon, wie die persönlichen Beziehungen im Worte nicht nur nicht schweigen, sondern unter Umständen laut reden. Viele andere Beispiele lassen sich leicht finden!

Das ist die eine persönliche, individuelle Seite, die des Schreibers, und der entspricht die der Leser; so wolle man, bitte, was obige Stelle aus 2. Kor. 11 betrifft, vergleichen, was im gleichen Kapitel 11 in Vers 19 und 20 steht (auch hier übrigens wieder das gleiche Wort „ertragen”!!)! Ist das nicht sehr bemerkenswert?!
Ehe ich nun einen kleinen ähnlichen Hinweis bezüglich unserer Hebräerstelle mache, gebe ich noch eins zu bedenken: Diese persönlichen Rücksichtnahmen auf den jeweiligen Zustand setzte der heilige Schreiber nicht an den Anfang seines Briefes! Er „parlamentierte” nicht mit seinen Lesern zu Anfang seines Schreibens und stellte ihnen anheim, ob sie es lesen möchten oder nicht - nein, sondern der Anfang jedes Briefes der Apostel und des Hebräerbriefes mit seinem gänzlich von anderen verschiedenen Eingang nicht minder zeigt, dass die „heiligen Männer” in göttlicher Autorität (Bevollmächtigung) schrieben, der man sich nur entweder voll unterwerfen oder die man gänzlich verwerfen musste (vgl. 2,1-4!). Und Ähnliches können wir vielleicht in anderen Briefen wahrnehmen.

Und nun noch einmal zu unserer Stelle! Dieses eigentlich schmerzliche Wort, welches zeigt, dass der Apostel sich nicht unbedingt ihrer freundlichen Aufnahme seines Briefes gewiß sein kann, weist zurück auf Hebr. 5,11 (11-14), ein Wort, das einen so schweren Tadel enthält, dass es verständlich scheint, wenn der Apostel eine gewisse Ablehnung seines Schreibens fürchtet oder wenigstens für möglich hält, „Im Hören träge geworden” waren sie! Wie traurig! Im Hören träge geworden! Schon im Hören! Wie mochte dann erst ihr Handeln, ihr Wandeln sein? Freilich, bei solchen Gläubigen konnte man fürchten, dass sie sich nicht gern etwas sagen ließen (vgl. Israel in der Wüste!), nicht einmal von jemand, der sich solche Mühe mit ihnen gab, wie der Schreiber jenes köstlichen Hebräerbriefes! Die gleichen Leser wurden ermahnt, einander zu ermuntern, solange es „Heute” heißt (3,13), und ebenso mußten sie gewarnt werden vor dem Versäumen ihrer Zusammenkünfte, was bei etlichen schon Sitte geworden sei (10,25) usw. Ja, wenn man „im Hören träge” ist, so sind solche Ermahnungen wohl verständlich, da ist dann schließlich eine letzte herzliche Bitte um günstige Aufnahme eines Briefes wohl am Platze, eines Briefes, in dem in gedrängter Kürze freilich nur - wie gern hätte der Apostel mehr geschrieben! - die kostbarsten Belehrungen über die Herrlichkeit des in Christo den Gläubigen zuteil Gewordenen gegeben sind. Wer „im Hören träge” geworden ist, der hat „ starke Speise” nicht mehr gern, dem ist die sanfte „Milch”, die „die Unmündigen” bekommen, lieber (5,12.13!). Wer „im Hören träge” wird, der wird nie zum Erwachsensein gelangen (5,14!).

Geschwister, wie ist es heute? Paßt nicht manches von dem Gesagten in unsere heutigen christlichen Kreise hinein?! Ist nicht manchem selbst älteren Gläubigen heute ein kleines christliches Geschichtchen oder ein Kalenderzettelchen (so gut alles an seinem Platze ist) lieber als das ernste systematische Forschen in der Schrift? Hat nicht mancher geradezu Angst vor der „Lehre”? Angst vor den Belehrungen, mit denen die Heilige Schrift angefüllt ist? Ist nicht mancher so „träge geworden im Hören”, dass er am liebsten nur dann in die christlichen Versammlungen geht, wenn ein auswärtiger Redner das Evangelium für Ungläubige verkündigt? Natürlich sollen die Gläubigen dabei nicht etwa fehlen, aber hat ein Gläubiger das Recht, überhaupt in irgendwelchen christlichen Versammlungen der Gemeinde Gottes zu fehlen, außer in ganz bestimmten von Gott herbeigeführten Fällen von Krankheit u. a.? Wie kann der HERR Sein Volk segnen, wenn es nur „Zuckerbrot” zu sich nimmt, nicht „feste Speise”, und wenn die, welche sie am nötigsten brauchen, einfach nicht unter das sie richtende, reinigende Wort gehen? Dorthin gehören wir, in lieblicher Eintracht mit den übrigen Geliebten des HERRN verbunden - da ist Segen verheißen! (Ps. 133.) Freilich, wer „im Hören träge” geworden ist, der hat es auch nicht gerne, wenn er ermahnt wird! Geht es dir vielleicht augenblicklich so, lieber Leser? O, dann werde wieder munter und wacker und „ertrage”, ja, nimm freundlich auf das „kurze” Wort der Ermahnung des herrlichen Hebräerbriefes, besonders auch des 13. Kapitels! Ja, lassen wir auch die Belehrungen dieses Blattes wie auch die kleine liebevolle Ermahnung dieser Antwort an unser Herz gelangen, auf dass wir daraus lernen, wie Gläubige sich nicht verhalten sollen, vielmehr wie sie trachten sollten, in Wahrheit zu leben von jedem Wort, „das durch den Mund Gottes ausgeht”! (Mt. 4,4.) Der HERR schenke uns allen Gnade dazu, Sein Wort gerne zu hören, anzunehmen, zu bewahren und zu tun! (Ps. 119; 1. Thess. 2,13 u. a.; Jak. 1,22 u. a.)
F. K.


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 12 (1927)