Hauptbelehrungen des Buches Esther

Welches sind die Hauptbelehrungen des Buches Esther für uns?

Antwort A

Wir können uns nur auf ganz kurze allgemeine Richtlinien beschränken, da Einzelheiten bei der Fülle des Stoffes und der Größe des Buches uns zu weit führen würden.

1. Das Buch Esther zeigt uns vor allen Dingen das geheime Walten Gottes über Sein Volk, und zwar zu einer Zeit, wo es der Zustand desselben nicht erlaubte, sich mit ihm öffentlich eins zu machen. Wir suchen darum vergeblich nach dem Namen Gottes; auch da wird er nicht genannt, wo wir ihn unbedingt erwarteten (vergl. 4,14). Gott wirkte nicht durch Wunder, wie Er es tat in der Jugendgeschichte Israels, als Er es aus Ägypten herausführte, sondern durch die Wege Seiner Vorsehung brachte Er die Errettung Seines Volkes zustande; unter Vorsehung verstehen wir nicht das offensichtliche Eingreifen Gottes z. B. durch Zeichen und Wunder usw., sondern (in den Augen der Ungläubigen und Unerleuchteten) Vorkommnisse mit natürlichen Folgen. Nichtsdestoweniger sahen treue Kinder Gottes zu allen Zeiten die Hand und das Herz ihres Herrn in allen Geschehnissen, weil sie wissen, dass kein Haar von ihrem Haupte fällt ohne den Willen ihres Vaters. Welche kostbare Tatsache inmitten der Versuchungen, Schwierigkeiten und Schicksalsschläge des täglichen Lebens!

2. Das Buch Esther schattet die heutige Zeit vor, während wie damals, so auch heute die Juden unter den Völkern zerstreut leben (vergl. 3,8). In Esra und Nehemia wird uns gezeigt, dass ein kleiner Überrest aus der Gefangenschaft nach dem Lande seiner Väter zurückkehrt. Sie machten Gebrauch von der Gnade Gottes, wie auch heute im tieferen Sinne ein kleiner Überrest von der Gnade Gottes zum Heil ihrer Seele durch den Glauben an den Herrn Jesum, ihren Messias, Gebrauch macht, während die Masse der Juden im Unglauben, obwohl viele von ihnen dem Gesetz treu sind, dahin geht, indem sie sich's fern von den Verheißungen und Hoffnungen Israels behaglich unter den Nationen in der Welt gemacht haben.

Doch sendet Gott in Seiner Gnade eine gewaltige Erschütterung ihrer Stellung und ihres Ansehens vor den Nationen. Wie damals so auch heute noch sind sie ständig dem Haß und der Feindschaft der anderen Völker ausgesetzt. Es ist eine eigene, aber doch schriftgemäße Erscheinung, dass kein Volk so unsäglich und aller Beschreibung spottend unter dem Kriege zu leiden hat wie dieses. Die Russenflut in Galizien, das ständige Hin-und-her-wogen des Kampfes in Polen und in letzter Zeit die Judenwanderung daselbst würden ganze Bände füllen, um das Leid und den Jammer dieses armen Volkes zu schildern, von den falschen Verleumdungen und den daraus folgenden Grausamkeiten ganz zu schweigen. Genau wie Haman sie verleumdet. Die Wahrheit des Wortes, „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder” hat sich wieder einmal in erschreckender Weise gezeigt. Rußland, wo eigentümlicherweise die meisten Juden wohnen und das der grausamste Verfolger dieses Volkes ist, wird vom Herrn Jesu nach Hes. 38 und 39 selbst vernichtend gerichtet werden. Die Juden wären längst vernichtet, wenn nicht Gott an ihnen das Zeichen Kains gemacht hätte und wenn Er ihnen nicht einen Retter in Joseph, einen Befreier in Moses, einen Heiland in Mordokai und eine Fürsprecherin in Esther gegeben hätte, die nur unvollkommene Vorbilder auf Christum hin sind. So führen alle die wuchtigen Schläge die Juden dahin, den wirklichen Mordokai zu erkennen, der zu allen Zeiten und unter allen Umständen nicht nur das zeitliche, sondern das ewige Wohl Seines irdischen Volkes sucht: Christus, ihren König und HERRN (vergl. 10,1-3).
3. Dieses Buch bildet einerseits den Höhepunkt, das Höchstmaß und das Endstadium der Leiden der Juden vor. Die Schrift nennt es „Eine Zeit der Drangsal für JakobJer. 30,7, und der HERR bezeichnet die Leiden selbst als die größte Drangsalszeit der Weltgeschichte (vergl. Mt. 24,15-28). Diese Endzeit wird alles hinter sich lassen und in den Schatten stellen, was die Geschichte von Schrecklichem zu berichten weiß. Der falsche Christus, der Anti- Christus, vorgebildet in dem Anti- Semit Haman, wird sein Wesen treiben und das Maß der Leiden voll machen. Diese Zeit kann und wird erst nach der Entrückung der Gemeinde einsetzen, und wenn der HERR jene Schreckenszeit nicht verkürzte, würde nicht ein Jude übrig bleiben, so dass kein Stamm dieses Volkes für das Tausendjährige Reich da wäre (vergl. Mt. 24,22). Andererseits bildet es das Morgenrot eines Tages der Errettung des ganzen Volkes vor. Die Sonne des Heils und der Gerechtigkeit wird über diesem armen Volk in der Person des Herrn Jesu ausgehen und wird herrschen durch Sein Volk von Meer zu Meer bis an die Enden der Erde. Dann wird es nicht mehr der Schwanz der Nationen sein, sondern das Haupt (vergl. 5. Mose 28,13); und es wird sich das Wort der Schrift bewahrheiten: „Keiner Waffe, die wider dich gebildet wird, soll es gelingen; und jede Zunge, die vor Gericht wider dich aufsteht, wirst du schuldig sprechen” (Jes. 54,17).

4. Wir sehen aber auch, welchen persönlichen Nutzen wir aus diesem so inhaltsreichen Buch schöpfen können, indem uns gezeigt wird, dass Gott die Treue eines Mordokai und die Hingabe einer Esther reichlich belohnt. Mordokai ist durch eine Entschiedenheit gekennzeichnet, die uns deutlich die Möglichkeit vorführt, dass wir unter allen Umständen den Willen unseres HERRN zu tun vermögen, auch dann, wenn die ganze Macht der Welt gegen uns ist; denn wir wissen Gott für uns (vergl. Röm. 8,31-39). Der Glaube überwindet die Welt und rechnet allein mit Gott. Wie uns in Mordokai das unbedingte Festhalten am Worte Gottes und Treue dem HERRN gegenüber gezeigt wird, so finden wir in Esther mehr die Hingabe, Selbstlosigkeit und die Liebe für das Volk Gottes. Beides soll bei einem jedem von uns gefunden werden! Darum finden wir im Worte Gottes, dass die Liebe zu den Kindern Gottes sich kund tut im Halten der Gebote Gottes und nicht etwa, liebe Geschwister, im Aufgeben der Grundsätze Gottes aus falscher Liebe zu lauen und unentschiedenen Kindern Gottes (vergl. 1. Joh. 5,2)! Möge der HERR dies mit uns allen erreichen zu Seines Namens Ehre und Preis! Er ist es wert!
K. O. St.

Anmerkung des Herausgebers

Wenn es uns auch leid tut, dass uns über diese Frage keine weiteren Antworten zugegangen sind, so können wir doch sagen, dass vorstehende köstliche Antwort genügt, die Leser, welche sich gerne mit dem wunderbaren Buche Esther beschäftigen wollen, hineinzuleiten in seine Tiefen. Dazu noch einige Ausführungen! Auch betreffs dieses Buches gilt das, was wir am Schluß der Frage 22 des III. Jahrgangs (1915) betreffs des Buches Ruth geschrieben haben und hier abdrucken:
Unser vornehmstes Begehren sollte stets, auch bei der Betrachtung ganzer Bücher der Schrift, das sein, den Herrn Jesus in denselben zu finden. Ganz bestimmt zeigt uns jedes Buch der Schrift (auch des Alten Testaments) den HERRN vorbildlich unter besonderen Gesichtspunkten, wenn es auch manchen Forschens unter der Leitung des Geistes bedarf, um diese stets herauszufinden. Aber der HERR Selber sagt uns: „... die Schriften sind es, die von Mir zeugen” (Joh. 5,39). Gibt es etwas Köstlicheres beim Schriststudium, als dies Zeugnis der Schriften von Ihm zu suchen?!

So glauben wir, dass uns der Gesamtcharakter des Buches Esther (das Gepräge desselben), in dem ja des Namens Gottes, des Gebetes, des Reiches Gottes, wie eines gläubigen Überrestes nie Erwähnung getan wird, uns Christus zeigt als den großen Unbekannten unter Seinem Volk, als der Er hienieden erschien („Er kam ..., die Welt kannte Ihn nicht” ... „die Seinen nahmen Ihn nicht auf” ... „wenn ihr nicht glauben werdet, dass Ich es bin - wer bist Du?” usw. Joh. 1,10.11; 8,24.25 u.a.). Wenige erkannten Ihn, wenige waren gleich den Hirten, dem Simeon, der Hanna, den Aposteln glückselig in Ihm, wenige konnten sagen: „zu wem sollen wir gehen? Du hast Worte ewigen Lebens ...!” - den meisten Herzen blieb Er verborgen. Und wirkte doch so herrlich „durch den Finger Gottes” (Lk. 11,20)! Und dem Volke verborgen wirkte Er - durch Vorsehung - auch im Buche Esther. - Einst wird Er Seinem Volke wohlbekannt sein, wenn die Zeit von Mal. 3,1 erfüllt wird: „Plötzlich wird zu Seinem Tempel kommen der HERR, den ihr suchet.” Dann wird erfüllt: „alle werden Ihn erkennen” (Jer. 31,31-34). - Wie erschütternd: Ein Buch des heiligen Volles ohne den Namen Jehovas - und ein Messias, von Seinem Volke nicht anerkannt! Aber auch der verborgene Gott vergißt Seines Volkes nicht.
Soviel über das Gesamt gepräge des Buches als Vorbild auf Christus hin. Aber wie schon in obiger Antwort kurz angedeutet, haben wir in Mordokai eine ganz besondere Vorschattung Christi. Wohl finden wir in Esther Züge des Wesens unseres HERRN und ebensowohl Züge der Braut Christi, aber Mordokai übertrifft alles, was dieses Buch an Vorbildlichem enthält. Dieses köstliche zehnte Kapitel! Beachten wir dies recht eingehend! Im zweiten und dritten Vers sind uns sieben Punkte genannt, die auf Christus hinweisen, und die wir hier ganz kurz andeuten wollen: Es heißt 1)„Mordokai der Jude” - auch der Herr Jesus war ein Jude, ja das echte Bild eines Juden, in dem in Wahrheit kein Falsch war (Joh. 4,9; Joh. 18,33-35; Mt. 2,21; Joh. 1,11 u. a.), eines Juden, der das ganze Gesetz erfüllte (Mt. 5,17; Jes. 42, 18-21!) usw. 2) Mordokai wurde zu hoher „Größe erhoben” (vergl. 9,4; Joh. 3,30) - wer dächte da nicht an Phil. 2,9 oder Hebr. 2,9, Stellen, die uns ein wenig schauen lassen von der Erhöhung des zweiten Menschen Christus Jesus! (vergl. noch u. a. Apg. 2,22-36; 33! und 7,55.56!). 3)„Mordokai der Zweite nach dem König Ahasveros” - Christus als der Sohn Gott unterworfen (1. Kor. 15,28) und doch als die zweite Person der Gottheit Gott gleich. 4)„Mordokai groß bei den Juden” - Jesus war schon durch Seine Rede groß bei den Juden (Joh. 7,46), und „alles Volk hing Ihm an”, „folgte Ihm nach,” „hörte Ihn gern”; und in vielfältiger Weise sehen wir Ihn, der - wenn auch der Verachtete - groß war bei vielen und einst als König Seines Volkes herrlich sein wird. 5)„Mordokai wohlgefällig der Menge seiner Brüder” (vergl. Mt. 25,40: der Herr Jesus nennt die Juden Seine Brüder!). - Wir von dem HERRN Seine Brüder genannt! (Hebr. 2,17; Joh. 20,17.) Ist Er uns wohlgefällig, - Er, der Gott wohlgefällig ist (Mt. 3,17)?! Lk. 2,52! 6)„Er suchte das Wohl Seines Volkes.” Ja, wie wunderbar tat Mordokai dies, er, der auch weinen konnte um sein Volk (4,1; vergl. Lk. 19,41!) - aber wie unendlich köstlicher der Herr Jesus, indem Er für Sein Volk Israel starb und für uns, die wir zu Seinem Volk gemacht sind (Joh. 11,52; 1. Petr. 2,9.10). [Weitere Stellen können wir der Fülle wegen hier nicht mehr angeben.] Und mit welchen geistlichen Segnungen segnet Er uns fortgesetzt (Eph. 1-3!), wie reich sind wir durch Seine Armut, mit Ihm verherrlicht - usw. usw. (vergl. noch dazu Kapitel 8,15-17!). 7)„Redet zur Wohlfahrt seines ganzen Geschlechts,” „Er sandte Worte des Friedens und der Wahrheit” (Kap. 9,30!) - und Er, unser Heiland; Er, der Fürst des Friedens; Er, unser Friede?! Seine Worte sind „Friede Euch” (Joh. 20,19.26), Er machte Frieden (Kol. 1,20) und lässt bis heute verkündigen Friede dem Glaubenden (Röm. 5,1ff.) usw. - Welch ein Vorbild ist Mordokai, er ist nur ein Schatten, aber von welcher Herrlichkeit! Wie aber ist der Körper (Christus)! Möchten uns die Züge aus Mordokais Leben köstlich werden im Blick auf Jesus Christus, unseren herrlichen HERRN! 2. Kor. 3,18!

Ein letztes Wort! Mordokais Entschiedenheit, die zunächst Esther mitreißt und dann dem ganzen Volk Gottes zu ewigem Segen wird, kann uns, wie auch Antwort A zeigt, viel lehren im Blick auf unsere Stellung zum Wort des HERRN sowie zu Seinem Volk; ebenfalls auch Esthers Hingabe. Wie manche Gläubige von heute halten Dinge fest, die, wie sie selber oft sogar zugeben, das Wort Gottes nicht kennt, und zwar um sich die Türen nicht zu verschließen oder aus Menschenfurcht oder aus mangelnder Gottesfurcht (vergl. Frage 1!), und darum aus Furcht vor Satans (Hamans) Macht! Traurig! Sind unter den geliebten Lesern dieses Heftes solche? O, geht bei Mordokai und Esther in die Schule! lasst uns alle das tun, in jeder Hinsicht persönlicher Entschiedenheit! Dann werden wir gesegnete Leute, die Gott braucht, wie Er will, zu Seiner Ehre! (2. Kor. 6,14-18! Off. 3,8.)


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 4 (1916)