Antwort A
Bei den erwähnten Stellen hat es dem Heiligen Geist gefallen, nicht „Kuß” schreiben zu lassen, sondern „heiligem Kuß”. - Hierin ist wohl der Schlüssel der hier in Rede stehenden Worte zu finden.
Judas küßte auch, sogar den HERRN. - Sein Kuß war aber ein Kuß des Verrats, und es waren an diesen Kuß niedrige Herzenstriebe gebunden. Dass dieser Kuß zu verwerfen war, ist selbstverständlich. Aber nicht bloß ist ein Judaskuß zu verwerfen, sondern jeglicher Kuß, der kein „heiliger” Kuß ist, ein Kuß der Heuchelei, der toten Form oder Gewohnheit oder ähnlicher Art.
In 1. Petr. 5,14 hören wir: „Grüßet einander mit dem Kuß der Liebe” und in 2. Kor. 5,14 spricht das Wort: „Denn die Liebe des Christus drängt uns, ...” Wo nun diese Liebe des Christus drängend wirksam ist und der Charakter des Kusses (heilig) verstanden wird, wird die Ausführung dieses Grußes im praktischen Leben nicht mehr schwer fallen.
W. W.
Anmerkung des Herausgebers
Die Schrift spricht gar oft vom „Küssen”, nicht nur in wunderbar lieblicher Weise - im Hohenliede, sondern auch sonst im Alten Testament, z. B. 1. Mose 29,11.13: beim Willkommen; 1. Kön. 19,20: beim Abschied; 1. Sam. 20,41: unter Freunden; 2. Sam. 20,9 - wie es noch jetzt bei den Arabern gebräuchlich ist - u. a. m. Auch die Sprüche reden vom Kuß (vgl. 27,6). Im Neuen Testament sind unsere Stellen, die vom Bruderkuß unter Kindern Gottes reden, besonders beachtenswert; zu den oben schon genannten vgl. man noch Apg. 20,37! Der Kuß ist nach all den angeführten Stellen ein Zeichen der Liebesgemeinschaft - auch in Ps. 2,12! mit anderen Worten: „tretet in Gemeinschaft mit dem Sohne!” -, geradeso wie er es in der Welt sein soll oder sein sollte! Wie scheußlich daher, wenn dies Zeugnis von der Liebesgemeinschaft entweiht, mißbraucht oder erheuchelt wird, wovon die Schrift außer dem Judaskuß noch andere Bezeugungen anführt (vgl. Spr. 24,26; 7,13; 2. Sam. 15,5). Welch ein Gegensatz gegen das „heilig” in unseren Stellen! - Aus diesen geht hervor, welch ein Gewicht die Apostel nicht nur auf Grüße überhaupt - ganze Kapitel handeln von solchen, andere Stellen, wie 2. Joh. 10, zeigen ihre Bedeutung! -, sondern auf den Kuß als Gruß der Liebe legten. Und in unseren Tagen ist leider wenig Sinn dafür da! Und dennoch ist der Bruderkuß oft auch heute ein ganz besonderer Ausdruck der Liebesgemeinschaft, vorausgesetzt, dass er nicht mechanisch und gleichgültig, sondern mit Nachdenken und innerer Anteilnahme ausgeübt wird. - Was nun die praktische Durchführung angeht, so schließt das „heilig” ein, dass selbstverständlich Brüder nur den Brüdern, Schwestern nur den Schwestern sich dies Zeichen der Liebe im HERRN zuteil werden lassen! Es schließt ferner ein, dass man nur dann den Kuß als Begrüßungsform anwendet, wenn das Herz dabei ist und wenn man sich dem anderen wirklich so nahe im HERRN- „heilig” heißt „abgesondert für den HERRN!” - verbunden weiß, dass der Kuß keine Heuchelei, Betrug oder auch nur Formwesen in sich schließt! Dass die Apostel aber diese Ermahnung an ganze Gemeinden richteten, zeigt, dass der Kuß durchaus nicht nur als Begrüßungsform für in verschiedenen Orten Wohnende gedacht ist, die nach einer Trennungszeit einmal wieder zusammenkommen, sondern dass auch innerhalb der Versammlung dieser Gruß üblich sein sollte. Ob es ein Kuß auf den Mund oder auch auf die Wange oder Stirn sein soll, ist uns nicht gesagt. Dies wird sich richten nach dem Empfinden der einzelnen und sollte nie ein Gegenstand peinlicher Erörterungen sein! Die Hauptsache ist, dass man weiß, warum man sich in dieser innigen Weise begrübt: nämlich, um die innige Liebesgemeinschaft im HERRN auszudrücken, in die man durch Ihn zueinander gebracht ist, und man wird sie um so freudiger und ungezwungener auf diese Weise ausdrücken, je fester man sich innerlich verbunden weiß im Geist zu ungeheuchelter Bruderliebe! Und noch eins: Die Schrift warnt uns oft vor dem „Ansehen der Person”! Möchten wir, soviele wir den Bruderkuß ausüben, uns dessen bewußt sein, dass die Heiligkeit desselben das Ansehen der Person ausschließt!