Antwort A
Wenn wir Ps. 80,8-14 oder Jes. 5,1-7 lesen, werden wir finden, dass ursprünglich das Volk Israel Gottes Weinstock auf Erden war. Aber dieser Weinstock brachte trotz aller Pflege keine Frucht und wurde deshalb beiseite gesetzt. Ps. 80,8 und Mt. 2,15 zeigen uns den Sohn Gottes als den wahren Weinstock. Wir kennen ihn als ein Vorbild vom HERRN in Seinen Beziehungen zu den Jüngern hienieden, denn im Himmel wird es keinen Weinstock, kein Pflanzen und kein Beschneiden mehr geben. Wir ersehen also daraus, dass der Weinstock mit den Reben kein Bild von dem Herrn Jesus in Seiner ewigen Verbindung mit den Wiedergeborenen ist, sondern ein Bild von denen, die Seinen Namen bekennen, ob wiedergeboren oder nicht. Der Vater ist der Weingärtner, und als solcher ist Er das ganze Jahr um den Weinberg bemüht. Wir sehen an den Jüngern, wie der HERR sie gepflegt und mit ihnen gehandelt hat; als Beispiel finden wir einen Judas und solche, die wieder zurückgingen (Joh. 6,66); diese waren unfruchtbare Reben, sie wurden weggenommen und verdorrten (V. 2 und 6). Andere wieder, wie z. B. einen Petrus, nahm Er in Seine Zucht, d. h. Er reinigte sie. In unserer gegenwärtigen Zeit paßt das Bild vom Weinstock und den Reben auf die bekennende Christenheit. Alle Bekenner sind Reben, und der Vater sucht Frucht, nur mit dem Unterschied, dass nicht das Bekenntnis, sondern nur das Leben aus Gott und die bleibende Verbindung mit dem HERRN Frucht bewirken kann. Es handelt sich also auf der einen Seite um solche, die in Treue mit dem HERRN vorangehen und in Lebensgemeinschaft mit Ihm stehen, und auf der anderen Seite finden wir solche, die ein Bekenntnis oder den Namen, dass sie leben, haben, aber tot sind. Auf letztere ist der 6. Vers in unserem Abschnitt anzuwenden.
Ph. W.
Antwort B
Die Belehrung über den Weinstock Joh. 15 steht in Beziehung zu dem irdischen Teil Jesu, was Er auf Erden gewesen ist in Beziehung zu Seinen Jüngern zunächst, als auch zu dem damaligen Überrest in Israel, der Sein Wort hörte; nochmals bemerkt: als auf Erden betrachtet. (Vergl. Ps. 80,8 und Mt. 2,15!)
Jesus stellt Sich in Kapitel 15,1 zunächst Seinen Jüngern sowie dem ganzen damaligen Überrest in Israel dar mit den Worten: „Ich bin der wahre Weinstock”; es handelt sich also hier nicht darum, was Er im Himmel sein wird, sondern darum, was Er nach diesem Gleichnis auf der Erde war, denn im Himmel gibt es keinen Weinstock und wird nicht gereinigt. Jesus steht hier an Stelle Israels, gleichsam ist Er, was Israel hatte sein sollen, auch den Nationen gegenüber. Diejenigen nun von Israel, die Sein Wort hörten, in ihr Herz aufnahmen und Ihm nachfolgten, waren, bildlich genommen, Reben an Ihm und bedurften des Reinigens und der Pflege. Zu Seinen Jüngern sagte der HERR: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben, ihr seid schon rein um des Wortes willen, das Ich zu euch geredet habe.” Er betrachtete sie schon als wirkliche Reben an Ihm, sie hatten Sein Wort gehört, geglaubt, wie Petrus bezeugt (Joh. 6,68.69). Dann sagt Er ihnen weiter: „Bleibet in Mir, die Rebe kann von sich selbst keine Frucht bringen, sie bleibe denn am Weinstock, also auch ihr nicht, ihr bleibet denn in Mir.” Frucht bringen für Gott ohne Jesum ist nicht möglich. Die aber bei Ihm bleiben, die sollten gereinigt werden, bildlich als Reben, d. i. durch Wort, Zucht, Erfahrung, Übung zubereitet werden, um immer mehr Frucht zu bringen.
In Vers 6 wechselt der HERR den Ausdruck, Er sagt nicht mehr „sie”, also Seine Jünger, sondern Er sagt „wenn jemand”, also irgend jemand, der Sein Wort wohl hörte, Ihm nachfolgte, aber bei dem sich keine Frucht zeigte, der würde abgeschnitten. Vielleicht müssen wir dabei an Judas, den Verräter, denken oder an manch andere, die Jesu nur eine Zeitlang nachfolgten (Mt. 8,22; vergl. 13,18-23). Jesus suchte Frucht Seines Wirkens, Er stellte durch Sein Wort die Menschen auf die Probe. Große Mengen folgten Ihm nach unter allerlei Beweggründen, jedoch viele kehrten wieder um.
Er ist heute immer noch Derselbe. Das Wort Gottes wird allerorts verkündigt, mancherorts in Beweisung des Geistes und der Kraft, Millionen bezeugen, tragen und haben ein Bekenntnis. Aber der HERR sucht Frucht, die Verantwortlichkeit des Menschen dem Worte Gottes gegenüber ist groß, es muss sich zu irgend einer Zeit offenbaren, ob Leben aus Gott vorhanden ist; wenn nicht, so wird das, was man zu haben scheint, abgeschnitten und weggeworfen ins ewige Verderben. Lk. 8,18!
F. B.
Antwort C
Warum sagt der HERR „der wahre Weinstock”? Weil Israel der Weinstock war, den Gott aus Ägypten zog (Ps. 80.8ff.) und an dem Er Frucht suchte, aber nur Herlinge fand (Jes. 5,2-7). Als David das Gericht über den Weinstock kommen sah, da richtete er seinen Blick schon auf den Sohn des Menschen, auf den Mann zu Gottes Rechten (Ps. 80,17). Und Christus kam. Er wird der „wahre Weinstock”. In Seiner Person nimmt Israels Geschichte einen neuen Anfang: In Mt. 2 ist Er der Sohn, den Sich Gott aus Ägypten ruft, und in Mt. 4 sehen wir Ihn (und zugleich Israels Geschichte) in der Wüste, und alles, worin Israel gefehlt hatte, findet Gott in Ihm.
Dann aber werden „Seine Tage verkürzt”, Er wird hinweggenommen in der Hälfte Seiner Tage (Ps. 102,23.24). Warum? Er tritt in die Stelle des gefallenen Volkes und trägt den Fluch des gebrochenen Gesetzes, damit Israel auf dem Grunde eines neuen Bundes wieder aufgerichtet werde und so nichts fehle an der Freude Gottes über Israel vom Anfang bis zum Ende. Das jetzt unter Gericht stehende Israel begann mit Abraham, aber das zur Segnung gelangende hat seinen Anfang mit Christus. In der Verbindung mit Christus (nicht der fleischlichen mit Abraham) liegt die Grundlage und Sicherheit nicht nur für Israels Segnung, sondern auch, dass es Gott Frucht trägt. Israels alte Geschichte war zu Ende, dort fand und sucht Gott keine Frucht mehr. Er ist jetzt der „wahre Weinstock”, der Gott die Frucht brachte. Aber wie dann, wenn Er die Welt verließ und zum Vater ging - wer brachte, wenn Er fortging, die Frucht? Welche Freude musste es da für den HERRN sein, nicht nur zu sagen, dass Er der wahre Weinstock sei, sondern auch, dass sie die Reben seien, um die Frucht jetzt Gott zu bringen.
Die Worte des 2. Verses mußten in jedem Jünger die Frage wecken: „Was für eine Rebe bin ich?” Und der HERR sagt zu den Elfen: „Ihr seid schon rein um des Wortes willen” usw. Als Judas noch unter ihnen war, da musste Er sagen: „Ihr seid rein, aber nicht alle” (Joh. 13,10.11). Sie hatten die reinigende Kraft Seines Wortes erfahren, aber Judas nicht. Und so glaube ich, dass man auf der Linie des „Weinstockes” und Israels mit Recht von Judas und anderen (Joh. 6,66) als von solchen reden kann, die Vers 6 gemeint sind und die unter Gericht kamen. Auf die veränderte Anrede „ihr” - „jemand” in Vers 6 möchte ich nicht weiter eingehen.
Alles dieses redete Jesus zu den 11 Jüngern vor Seinem Tode und Auferstehen, als die Gemeinde noch nicht da war. Aber auch für uns, die Gläubigen der Jetztzeit, findet diese Stelle grundsätzlich volle Anwendung. Auch für uns ist Christus die Quelle der Frucht. Gott sucht Frucht, und zwar die Frucht, die Christus ist. Gute Werke und Frucht ist zweierlei. Gute Werke sind Taten, aber Frucht ist und zeigt, was der Weinstock (Christus) ist. Es ist die Lebenswirkung des Weinstockes in der Rebe. Frucht trägt den Charakter des Weinstockes. In der Frucht wird das, was Christus ist, sichtbar. Dies kann nicht durch eigene Kraft, sondern nur durch ungehemmte Lebensgemeinschaft mit Christo sein. Nur durch Bleiben in Ihm können wir Frucht tragen und nur durch Fruchttragen können wir Seinen Vater verherrlichen (V. 8).
Mit dieser Stelle haben manche versucht, ein Fragezeichen hinter den klaren Ausspruch des HERRN: „Meine Schafe gehen nicht verloren” zu setzen. Man meint, weil es sich hier um eine organische Verbindung handelt und weil solche zwischen Rebe und Weinstock gelöst werden kann, so könne auch ein Glied vom Leibe Christi abgeschnitten werden; man bringt mit solchem Trugschluß „Weinstock” und „Leib Christi” auf eine Linie. Ist zwischen „Weinstock” und „Leib” kein Unterschied? Ist kein Unterschied zwischen dem Abschneiden einer Rebe und eines Gliedes? Sicher! Für den Weinstock ist es Pflege, aber für den Leib Verstümmelung.
In diese Stelle die ewige Errettung und die Gemeinde, den Leib Christi, hineintragen heißt das Wort nicht recht teilen. Der HERR gebraucht Sinnbilder, um uns gewisse, bestimmte Wahrheiten zu zeigen, deshalb dürfen wir solche auch nicht auf alles mögliche anwenden und Dinge damit verbinden, die der HERR nicht damit verbindet; Dinge, die zu jener Zeit (wie der „Leib Christi”) noch nicht einmal geoffenbart waren! Glieder am Leibe Christi und Reben am Weinstock stehen nicht auf einer Linie. Das eine spricht von der Einheit und untrennbaren Ganzheit, das andere vom Fruchttragen usw. Eine Rebe kann abgeschnitten werden, aber kein Glied vom Leibe Christi - die Vollkommenheit des Leibes wäre zerstört. In dem Weinstock ist das Bild des Volkes Gottes auf der Erde, und zwar unter Verantwortlichkeit, aber in dem Leibe sehen wir die himmlische Verwandtschaft und gliedliche Einheit mit dem Haupte im Himmel, und zwar nach dem unwandelbaren Ratschluß Gottes. Es handelt sich in dieser Stelle um die Jüngerschaft Jesu, um das Walten der Hand Gottes in bezug auf Fruchttragen, aber nicht um Errettung. Das, wovon der HERR hier spricht, soll auf dem Wege des Gehorsams und Bleibens in Ihm erlangt werden, aber ewiges Leben erlangen wir nicht auf solchem Wege!
Das Walten Gottes betätigt sich nicht bloß an den fruchtleeren, sondern auch an den fruchttragenden Reben (V. 2). Ich bin überzeugt, alles, wovon in dieser Stelle geredet wird, hat Bezug auf diese Erde und geht nicht darüber hinaus. Der Weinstock schon ist ein Bild in Verbindung mit der Erde. Das Fruchttragen geschieht auf der Erde. Das Reinigen geschieht auf der Erde und das Hinwegtun und Verbrennen macht keine Ausnahme, es geschieht auf der Erde. Im Himmel gibt es keine Jüngerschaft noch Fruchttragen - noch werden dort Reben gereinigt oder hinweggetan. Die Zeit und der Platz des Fruchttragens ist die Erde, und darum geschieht hier auch das Reinigen sowie das Gericht des Hinwegtuns und Verbrennens.
Ich glaube, dass wir ein Beispiel von solchen hinweggenommenen Reben in 1. Kor. 11,30 haben. Ein Gericht an solchen, durch deren Leben Gott nicht verherrlicht wurde und die deshalb unter der richtenden Hand Gottes durch den Tod von der Erde weggenommen wurden, damit sie nicht mit der Welt verurteilt würden (1. Kor. 11,32).
v. d. K.
Anmerkung des Herausgebers
Wir verweisen zunächst auf unsere Bemerkungen über dies Gleichnis anläßlich der wichtigen Frage 33, Band ll, 1914, und auf die zu Frage 30, 1915!
In obigen klaren Antworten sind zwei verschiedene Auslegungen gebracht: nach den ersteren ist in Vers 6 von bloßen Bekennern geredet, die nie wirklich Kinder Gottes geworden sind (da zum Bekennertum an sich Wiedergeborensein nicht unbedingt erforderlich ist); nach der letzteren handelt es sich wohl um Kinder Gottes, aber um fruchtleere, und das an ihnen vollzogene Gericht ist ein irdisches. Es besteht im Ausschluß von dem Schauplatz des Fruchttragens, nicht aber vom Himmel, da das Eingehen in diesen nicht vom Fruchttragen, sondern von der Gnade abhängig ist. - Wir glauben, dass erstere Anschauung mehr der ursprünglichen Anwendung des Gleichnisses auf Israel, letztere mehr der auf die Gemeinde entspricht. Somit ergänzen sich die Antworten harmonisch.
Jedenfalls beweisen auch diese Antworten (wie die zu Frage 30!), dass wahre Kinder Gottes, Schafe Christi, nicht verloren gehen ewiglich (Joh. 10). - Warum nur lassen selbst Führer in der Gemeinde des HERRN diese Wahrheit nicht unangetastet und suchen statt dessen immer nach neuen Beweisgründen gegen diese köstliche vom HERRN Selbst bezeugte Tatsache? Wir meinen, der Feind steht dahinter - diesen geliebten Brüdern natürlich unbewußt -, um einerseits Gottes Kinder in eine Gott entehrende Unsicherheit zu bringen über die Tragweite der göttlichen Gnade und Kraft und Seinen ewigen Willen und um andererseits den Irrtum zu stützen, als könnten wir durch eigene Treue dazu beitragen, dass wir sicher errettet werden. Aber, wenn wir durch unser Fruchttragen hienieden dem ewigen Gericht entgehen sollen, wie unsicher ist dann unsere Errettung, und was ist dann das Werk des HERRN, was gelten dann Seine Worten?!
So ernst Joh. 15,1-8 auch ist in bezug auf unseren Zustand hienieden und unser Fruchttragen für Gott (vergl. auch Frage 27!) - unsere ewige Stellung in Christo und unser Teil mit Ihm als das der Glieder mit dem Haupt wird durch diese Stelle nicht berührt! (Eph. 1,3-14!) Gelobt sei der HERR!