Gleichnis der zehn Jungfrauen

In welcher chronologischen Ordnung der prophetischen Ereignisse geht das Gleichnis der zehn Jungfrauen (Matth. 25) in Erfüllung: bezieht es sich auf die Entrückung der Gemeinde oder auf Israel?

Antwort

Um zu einer gewissen biblischen Klarstellung dieses Gleichnisses durch den Beistand des HERRN zu kommen, wollen wir versuchen, auf drei Fragen uns Antwort aus der Schrift zu erbitten.

1. Was haben uns die Gleichnisse vom Reich der Himmel zu vermitteln, und warum nennt sie der HERR so?
2. Welchen Platz nimmt das Gleichnis Mt. 25 in der prophetischen Offenbarung des HERRN auf dem Ölberge an Seine Jünger in Mt. 24 u. 25 ein?
3. Was hat es uns selbst zu sagen, und welchen Charakter trägt es?

Erst müssen wir auf die erste Frage etwas näher eingehen und feststellen, dass es nur im Evangelium Matthäus Gleichnisse vom Reiche der Himmel gibt. Ja, diesem Ausdruck „Reich der Himmel” begegnen wir nirgends als nur in Matthäus, und zwar 32mal. Es sei denn, dass wir 2. Tim. 4,18 dazunehmen, obwohl es dort nicht nur eine andere Prägung, sondern auch eine andere Bedeutung hat. Ferner ist es von großer Wichtigkeit, dass es zehn Gleichnisse des Reiches der Himmel sind und deren Ordnung Belehrungen über den Werdegang dieses Reiches in der jetzigen Form, der Abwesenheit des HERRN, zeigt. In Mt. 13,24-52 haben wir sechs Gleichnisse des Reiches der Himmel. Das erste vom Säemann wird nicht so bezeichnet, weil es mehr die Tätigkeit des HERRN während Seines Erdenlebens vorstellt, wodurch das Reich gebildet wurde. Die Tätigkeit wird jetzt durch Seine Knechte fortgesetzt.

Nur beiläufig möchten wir erwähnen, dass jedes dieser Gleichnisse durch die jeweilige Zahl ihrer Reihenfolge und Ordnung im Worte Gottes gekennzeichnet ist. Daraus ersieht man die Zusammengehörigkeit dieser zehn Gleichnisse, wie auch ihre geistliche Bedeutung im Zusammenhang derselben besser erfaßt wird. Das erste ist gekennzeichnet durch Seinen Feind. Ein Feind: Satan. Das zweite ist gekennzeichnet besonders durch zwei Dinge: Weltgröße: Baum, und satanische Gäste: Vögel. Das dritte ist besonders durch die Zahl drei charakterisiert: 1. Sauerteig; 2. Weib; 3. Mehl; sodann noch: drei Maß Mehl. Kann dies zufällig sein? Wer sich die Mühe macht, wird dieses in all den anderen weiter verfolgen können. Darum im letzten und zehnten Gleichnis des Reiches der Himmel: zehn Jungfrauen.

Eine andere bedeutsame Linie ist, dass sämtliche Gleichnisse Heiden resp. Christen zum Haupt gegenstand haben. Damit kommen wir der Antwort auf obige Fragen näher. Selbst im Gleichnis vom verborgenen Schatz im Acker ist nach unserer Erkenntnis der Überrest der gläubigen Juden zu verstehen, der in der Gemeinde aufging, d. h. sie wurden Christen durch den Glauben an Christum und als solche vom Judentum getrennt. So auch im sechsten Gleichnis vom Netze ist das Meer in Frage, wie auch die Perle aus dem Meere gewonnen wird, worunter man doch immer das Völkermeer verstehen muß. Wir können natürlich nicht alle die Gleichnisse einzeln durchnehmen, doch müssen sie Berücksichtigung in der Auslegung eines derselben finden. Aber niemals haben sie die Juden als solche zum Allein gegenstand. Wenn dies der Fall ist wie im Gleichnis vom Weinberg, worunter Israel zu verstehen ist (Mt. 21,33-46), so nennt es der HERR wohl ein Gleichnis, nicht aber ein Gleichnis des Reiches der Himmel. Warum? Weil hier ausschließlich Israels Geschichte, Untreue und Verwerfung uns gezeigt wird, obwohl in Vers 43 auch ganz kurz auf die Christen Bezug genommen wird. Doch weil dies nur berührt wird und nicht entfaltet, wie es die Gleichnisse des Reiches der Himmel zum Gegenstande haben, wird es nicht so genannt. Wir sehen, wie genau darin Gottes Wort ist. In den drei Gleichnissen von Mt. 18,23-35; 20,1-16 und 22,2-14 werden wohl die Juden und ihre Geschichte kurz gestreift, aber der Haupt inhalt all dieser Gleichnisse ist die Heimsuchung der Heiden durch Gottes Gnade infolge des Unglaubens der Juden. Wichtig ist, dass in obigen Gleichnissen auch das Wort des Apostels Paulus Röm. 1,16b: „... dem Juden zuerst als auch dem Griechen” berücksichtigt wird.

Da die Juden als solche nie den Gegenstand irgendeines Gleichnisses des Reiches der Himmel allein bilden, vielmehr nur zur Beleuchtung Seiner Wege herangezogen werden, und nur genannt werden, um uns die Handlungen Gottes und Seine Wege verständlich zu machen, haben die Gleichnisse vom Reiche der Himmel vornehmlich die Verantwortlichkeit und die Segnungen der Heiden bezw. Christen zum Gegenstande. Darum ist es ganz ausgeschlossen, in den zehn Jungfrauen Israeliten in der großen Drangsalszeit zu sehen, wie manche es auszulegen beliebt haben. Wir kommen später auf dieses Gleichnis noch näher zurück.
Die zweite Frage war, welchen Platz das Gleichnis von den zehn Jungfrauen in der zweiten Bergpredigt des HERRN einnimmt.

Wir Menschen sind immer geneigt, äußerst extrem in unserer Auffassung zu sein. Viele haben Mt. 24-25 nur auf die Juden bezogen; andere wiederum nur auf die Gemeinde. Wer hat nun recht? Nur die von dem Heiligen Geiste uns gegebene Einteilung dieses Schriftabschnittes muss uns maßgebend, und sie zu finden, unsere vornehmste Aufgabe sein. Wenn wir diesen Abschnitt sorgfältig und unter Gebet einige Male lesen, werden wir einige Entdeckungen machen, die uns Wegweiser sein dürfen zu einer prinzipiellen Auslegung, ohne dass wir daran denken könnten, eine erschöpfende Darlegung dieser wunderbaren Prophezeiung des HERRN zu geben.
Welches sind nun die charakteristischen Merkmale der verschiedenen Abschnitte dieser Partie des Wortes?

So wollen wir zu der uns verständlichen und, wie es uns scheint, von Gott gegebenen Dreiteilung kommen! Wir glauben, dass der HERR in Kap. 24,1-44 mehr die Endgeschichte Israels und die Befreiung desselben behandelt. Ferner, dass Kap. 24,45 - 25,30 die Verantwortlichkeit des christlichen Bekenntnisses zum Gegenstand hat. Und endlich in 25,31-46 sehen wir das Teil der Nationen im Tausendjährigen Reiche. Eine solche Dreiteilung der gesamten Menschheit haben wir in 1. Kor. 10,32. Manche mögen denken, die Teilung sei willkürlich. Doch ist es nicht so, wie wir sehen werden, wenn wir auf einige Einzelheiten eingehen, obwohl wir uns versagen müssen, es gründlich durchzunehmen. Wir sehen hier die Wege Gottes mit der gesamten Menschheit kurz beleuchtet:

1. Seine Wege mit Seinem irdischen Volke Israel - ein Volk, abgesondert von allen Völkern.
2. Seine Wege mit der Christenheit - herausgerufen aus allen Völkern.
3. Seine Wege mit den Nationen nach der Hinwegnahme der Gemeinde.

Der 1. Teil wird gekennzeichnet durch Bezugnahme auf das Alte Testament: Auf Personen wie Daniel, Noah; auf Bilder wie Feigenbaum: das nationale Israel; Arche: die Errettung Israels; der Christus: der zu erwartende Messias - darum auch falsche Christi, falsche Propheten, weil sie Ihn sichtbar auf Erden erwarten, wir aber gehen zu Ihm, wo Er ist; dann Orte: heiliger Ort - Tempel - Judäa - Land; jüdische Gebote: Sabbath. Ferner durch das, was dem Volke Israel besonders eigentümlich ist: Zeichen und Wunder; Himmelserscheinungen; große gewaltige astronomische Veränderungen; Blitz, Wolken, Himmelsrichtungen usw. Wir sehen die Umrahmung der Zukunft dieses irdischen Volkes Gottes mehr in sichtbaren, äußeren, wahrnehmbaren Ereignissen. Da es das Volk der Zeichen und Wunder war, so ist es auch in diesem Abschnitt so gezeigt. Auch ist es eine merkwürdige Entdeckung beim genauen Lesen der Schrift, dass nach geschichtlicher Tatsache nur Juden ausnahmslos Wundertäter im göttlichen Sinne gewesen sind. Selbst im Neuen Testament finden wir nie den geschichtlichen Bericht, dass ein Christ, der ehedem Heide war, ein Wunder gewirkt hätte. Wir möchten nicht leugnen, dass wohl auch Heidenchristen Wunder gewirkt haben, weil sie Wundergaben hatten, doch berichtet wird es uns nie, sondern nur von Judenchristen. Dies nur zur Feststellung! Jannes und Jambres vollbrachten Lügenwunder und hatten keinen göttlichen Auftrag. (2. Tim. 3,8.) Wer sehen will, muss zugeben, dass der 1. Teil durchweg mit der Geschichte Israels verbunden ist. Ihn auf die Gemeinde anzuwenden wäre Torheit und willkürliche Auslegung der Schrift.

2. Teil: Wie der 1. Teil mehr äußere und sichtbare Geschehnisse schildert, so der 2. Teil mehr sittliche, geistliche Zustände inmitten der Christenheit und der 3. Teil scheidende und ewig bestimmende Urteile.

In diesem - dem 2.- Teile wird nie auf das Alte Testament Bezug genommen; nie auf äußere Dinge. Hier fällt alles weg, was vorher genannt wird. Selbst die Selbstbezeichnung des HERRN: „Sohn des Menschen”, welche sechsmal im 1. Teile und einmal im 3. Teile vorkommt, fällt hier vollständig weg. An ihre Stelle tritt die Bezeichnung „Herr” und für die Personen, auf welche der Abschnitt sich bezieht, „Knecht”, wie im 1. Teil „Sohn des Menschen” und die „Auserwählten”. „Herr” wird in Kap. 24-25 außerhalb des 2. Teiles, wo es 13mal vorkommt, nur dreimal gebraucht: 24,42; 25,37.44. Und „Knecht” wird in diesem Abschnitt nur im 2. Teil elfmal angewendet. Wir sehen, dass es sich um persönliche Verantwortlichkeit im Christentum handelt: 24,45-51: Dienst im Hause; 25,1-13: persönliche Erwartung des Bräutigams; 25,14-30: Dienst am Evangelium außerhalb des Hauses. In der Mitte ist das letzte Gleichnis des Reiches der Himmel, die Erwartung des Bräutigams, die uns zum Dienst im Hause und zur Verkündigung des Evangeliums außerhalb des Hauses besonders befähigt. Das Kommen des HERRN ist der beherrschende Gegenstand dieser drei Gleichnisse, doch die Zuneigung zu Ihm, welche im Dienst für Ihn maßgebend ist, wird uns besonders im Gleichnis von den zehn Jungfrauen vorgestellt.

3. Teil: Von V. 1-13 (Kap. 25) ist Er der Bräutigam, V. 14-30 der HERR, aber V. 31-46 - im 3. Teil - der König. Der 3. Teil ist besonders gekennzeichnet im unterscheidenden Sinne von den zwei ersten Teilen durch Schafe, Böcke, Gerichte, Brüder und Geringste - alles Bezeichnungen, die wir nicht weiter behandeln können, so wertvoll es auch wäre. Hier finden wir das Urteil des Königs über solche Völker, die sich Seiner Brüder, der verfolgten gläubigen Juden in der großen Drangsalszeit, nicht angenommen haben, in Wirklichkeit also den kommenden König und Erretter ablehnten. Hier kommt nun nochmals die Selbstbezeichnung Christi: „Sohn des Menschen” vor.

Wir finden nirgends im Neuen Testament, dass die Gemeinde in besondere Beziehungen zu Ihm als „Sohn des Menschen” gebracht worden wäre. Obwohl wir Ihn in dieser Seiner Herrlichkeit kennen, ist doch die Gemeinde so innig mit Ihm verbunden, dass Er Sich nie so bezeichnet in Beziehung zu ihr. Darum finden wir diese Bezeichnung außerhalb der Evangelien nur noch viermal im Neuen Testament: Apg. 7,56; Hebr. 2,6; Off. 1,13; 14,14. Dieser Titel Seiner Person hat mehr zu tun mit Gericht und Seinen Beziehungen zur gesamten Menschheit wie auch den Segnungen derselben, nachdem die Erde durch Seine Gerichte gereinigt ist.
Noch vieles könnte über die Dreiteilung dieser zwei Kapitel geschrieben werden, doch wollen wir es mit diesem genügen lassen, den HERRN bittend, dass Er jedem von uns Erleuchtung des Herzens geben möge, um Seine Gedanken zu erkennen. Nun noch kurz eine kleine Antwort auf die 3. Frage, über das Gleichnis der zehn Jungfrauen selbst.

Dieses Gleichnis kann sich unmöglich auf die Juden der großen Drangsalszeit beziehen aus folgenden Gründen: Weil die Juden in der großen Drangsalszeit

1. doch noch nicht den Heiligen Geist haben, der unter dem Bilde des Öles uns hier gezeigt wird. Er wird erst nach der Erscheinung des HERRN ausgegossen (Joel 2,27-29).

2. Es ist unmöglich, dass der gläubige Überrest in der großen Drangsalszeit geistlich mit den Ungläubigen einschlafen kann, d. h. sich der Welt gleichstellen. Dies ist darum ganz ausgeschlossen, weil sie so verfolgt werden von der Welt, dass dies niemals Tatsache werden kann.

3. Vers 6: „Gehet aus, Ihm entgegen!” kann sich niemals auf die gläubigen Juden in der Drangsalszeit beziehen, da Christus zu ihnen kommt, auf die Erde. Sie verlassen auch geistlich nicht ihre Stellung als Juden, die auf den Messias warten. Doch alle Christen, ob Jude oder Heide, sind aus ihren alten religiösen Verbindungen herausgegangen, haben sie gelöst und gehen „zu Ihm hinaus”, „außerhalb des Lagers”. Und bei Seinem Kommen gehen wir „Ihm entgegen”.

4. Auch die Zahl „zehn Jungfrauen” dürfte gegen die jüdische Auffassung sein, da zwölf die beherrschende Zahl des Volkes Israel ist.

5. Wenn manche gesagt haben, Matthäus, wo wir nur dieses Gleichnis finden, sei jüdisch und könne darum keine Anwendung auf die Christenheit haben, verweisen wir auf das über die zehn Gleichnisse Gesagte. Ich frage nur, wo sind denn die Zeichen und Wunder, die Sein Kommen für Israel begleiten? Kein Wort wird hier von solchen erwähnt.

6. Auch wird oft entgegnet, dass es dieselben Personen seien und darum das Gleichnis nur auf eine kurze Zeit, z. B. wie die Drangsalszeit des gläubigen Überrestes, Anwendung finden könne. Dem sei entgegnet, dass dies im Worte Gottes stets so dargestellt wird. Alle christlichen Gemeinden dürfen auf das Kommen des HERRN warten, weil das Leben im Lichte Seines Kommens uns vor Sünde bewahrt, und es ist normal, dass wir in unseren Herzen aus Liebe zu Ihm alle Zeit unseres Lebens auf Ihn warten! Der HERR will es so, darum sind es dieselben Knechte bei Seinem Weggange und Seiner Wiederkehr. Möge dies genügen!

Warum bildet dieses Gleichnis den Schluß der zehn Gleichnisse? Weil uns hier die Hauptsache gezeigt wird: Öl in den Gefäßen, d. h. das Herz erfüllt mit Heiligem Geiste, und Liebe zu dem Bräutigam. Darauf kommt es letzten Endes an. Geistliche, hingebende, liebende und wartende Menschen; „Jungfrauen”. Die Bekenner werden erprobt und geoffenbart durch Sein Kommen. Dies ist der Gedanke hier. Die persönliche Verantwortlichkeit und Erwartung. Die Gesamtzahl als „Braut” hier hineinzubringen ist ganz falsch!

So haben wir zugleich ein prophetisches Gleichnis von der Zeit der Ausgießung des Heiligen Geistes bis zu Seiner Wiederkunft für uns: 25,1-4 haben wir das apostolische Zeitalter; V. 5 das dunkle Mittelalter, wo fast alles den geistlichen Schlaf schlief. Dies geht zurück auf das erste Gleichnis vom Reiche der Himmel (13,25). Hier haben wir die großen Zusammenhänge: Scheinweizen und törichte Jungfrauen; dort wie hier am Ende Scheidung. Wir finden den Kreis geschlossen. V. 6 das letzte Jahrhundert, wo der Mitternachtsschrei Seines Kommens in alle Welt hinausgerufen wurde durch gewaltige Geistesbewegungen; V. 7-9 die heutige Zeit des Offenbarwerdens der bloßen Bekenner und wahrer Kinder Gottes; V. 10 Sein Kommen.

Ja, Sein Kommen steht bevor. Es ist das nächste, was sich erfüllen wird. Er gebe uns Gnade, zu warten auf Ihn, um bald bei Ihm zu sein und Ihn zu sehen, wie Er ist! Amen.
K. O. St.


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 12 (1927)