Gelten die Worte Hesekiel 28,11-19 nur dem König von Tyrus?

Gelten die Worte Hesekiel 28,11-19 nur dem König von Tyrus?

Antwort A

Im ersten Teil des Kapitels (V. 1-10) wird uns das Gericht über den Fürsten von Tyrus verkündigt. Es handelt sich offensichtlich um einen Menschen, den damaligen Fürsten. Dies geht klar aus Vers 2 und 9 hervor, wo ihm ausdrücklich bedeutet wird: „- der du doch ein Mensch bist.” Dieser Mensch aber hatte sich in seinem Herzen erhoben (V. 5) und hegte einen Sinn wie eines Gottes Sinn (V. 2 und 6), ja, ging in seiner Vermessenheit so weit, zu sagen: „Ich bin Gott!” (V. 9.) Dafür kündet Gott ihm Sein Gericht an: Er soll durch Mörderhand eines qualvollen Todes sterben (V. 7, 8, 9, 10). Jehova hat geredet (V. 10), und sicher ist Sein Wort buchstäblich erfüllt worden.

Die Gestalt dieses Fürsten von Tyrus in seinem Hochmut und in seiner Vermessenheit, sich Gott zu nennen, erinnert unwillkürlich an den, der zuerst diese vermessene Sünde beging und dann den von Gott gut geschaffenen Menschen auf gleiche Bahnen führte.

Und mir scheint, als wolle Gott uns im zweiten Teil von Hes. 28 (V. 11-19) etwas über die Vorgeschichte und den Sündenfall des großen Verführers mitteilen. Es ist nämlich auffallend, dass in diesem zweiten Abschnitt der König von Tyrus mit Ausdrücken bezeichnet wird, die zu denen des vorigen Abschnitts in geradem Gegensatz stehen. Während der Geist vorhin den König von Tyrus in nicht zu verkennender Klarheit immer und immer wieder daran erinnert, dass er doch nur ein Mensch sei, nennt er ihn jetzt das Bild der Vollendung, voll von Weisheit und vollkommen an Schönheit, nennt ihn einen schirmenden, gesalbten Cherub, „den Gott dazu gemacht hat” und der auf Gottes heiligem Berge war (V. 14). Offenbar beziehen sich diese Stellen in erster Linie auf Satan, denn in ihrer wörtlichen Andeutung können sie auf einen Menschen nicht angewandt werden. (Vielleicht erhalten wir hier einen Einblick in den Zeitraum zwischen 1. Mose 1, V. 1 und V. 2. In Verbindung hiermit möchte ich auch Jes. 45,18 anziehen.) Sodann erhellt auch aus V. 15 und 16 unseres Kapitels deutlich, dass wir es hier nicht mit einem schwachen, unvollkommenen Menschen zu tun haben, sondern mit einem hohen, mächtigen Engelfürsten, welcher, durch Hochmut verblendet, sich aus der Abhängigkeit von seinem Schöpfer befreien wollte und dadurch fiel.
H. Hck.

Antwort B

In Hes. 26-28 bemerken wir eine gewisse Reihenfolge: 1. Tyrus, 2. der Fürst von Tyrus, 3. der König von Tyrus. - Der „König” ist die alles bewegende Kraft in Tyrus. Was er ist, wird im Fürsten - und vom Fürsten aus im Volk gesehen. Auflehnung und Feindschaft wider Gott, Hochmut und Selbstverherrlichung ist der hervortretende Grundzug bei allen dreien. (Kap. 26,2: „... wider Jerusalem”; 27,3: „Ich bin vollkommen”; 28,2: „Ich bin Gott”; 28,17: „Dein Herz erhob sich”.) Das ist Tyrus, und das ist die Welt. Aber hinter Tyrus und dem Fürsten von Tyrus steht einer, und das ist der König von Tyrus (Satan).

Wir lernen aus dem Worte, dass Satan, um seine gottfeindlichen Pläne auszuführen, sich so mit einzelnen Menschen und Völkern verbindet und sie so als seine Werkzeuge benutzt, dass ihr Wirken tatsächlich Satans Wirken ist. Es wird uns z. B. von Pergamus (Off. 2,13) gesagt, dass er dort seinen Thron aufgerichtet habe. Wer ein wenig in die sieben Sendschreiben eingeführt ist, weiß, dass es sich dort um das Verderben der Gemeinde Gottes durch ihre Verbindung mit der Welt handelt. Das war ein Angriff auf die Gemeinde von gewaltiger Bedeutung. Gott sagt uns, dass zu dieser Zeit Satan selbst seinen Herrschersitz in Pergamus aufgeschlagen hatte. Er selbst leitete das Tun der Menschen und stand dahinter, um die aus der Welt „heraus Berufene” Gemeinde wieder zur Welt zurückzuführen. - Weiter lernen wir aus der Schrift, dass es in der Engelwelt (sowohl der heiligen wie auch der gefallenen) Engelfürsten gibt, und dass solche Engelfürsten in geheimnisvolle Beziehungen und Verbindungen mit Völkern der Erde treten, und zwar derart, dass Gott sie in Seinem Wort als Fürsten gewisser Völker bezeichnen kann. (S. Dan. 10,13.20 u. 21 und 12,1, wo der Engelfürst von Persien den Boten Gottes an Daniel aufhält, bis ihm Michael, der Fürst des Volkes Israel, zu Hilfe kommt; s. auch Eph. 6,12; Jud. 9; Off.

12,7.) Und in dieser Beziehung, glaube ich, lernen wir hier den obersten Fürsten der Engelwelt als den „König von Tyrus” kennen.
Nachdem der Prophet das Wort Jehovas über Tyrus ausgerichtet hat, wendet er sich in Kap. 28,1-10 an den Fürsten von Tyrus. Dieser Fürst ist kein Engel, sondern ein Mensch (V. 2), der sich aber als „ein Gott” huldigen ließ. Die Beschreibung des Fürsten ist derart, dass man es förmlich fühlt: hier ist der Widerschein eines anderen Wesens. Dieses Wesen ist der Engelfürst, der uns dann in V. 11-19 gezeigt wird, und der in Wirklichkeit der Beherrscher - der König von Tyrus war. Menschlich gesehen war der Herrscher der Fürst von Tyrus, aber göttlich gesehen war es ein höheres Wesen. Zwischen beiden (dem „Fürsten” und dem „König”) zeigt uns der Abschnitt eine solche geistige Verschmelzung und Vereinigung, wie wir sie an einem späteren Tage in dem Antichristen und dem Satan wiederfinden.
In den Versen 11-19 kommen wir zu dem „König von Tyrus” und lernen, dass er, obwohl er ein Geschöpf war, doch kein Mensch, sondern ein Cherub war. Die Beschreibung gibt uns ein Bild von der Hoheit dieses vielleicht herrlichsten aller geschaffenen Wesen. Vollendung, Weisheit, Schönheit (V. 12) kennzeichneten es, nicht aber Allmacht und Allwissenheit. In Vers 16-19 haben wir den Sündenfall des „Königs” und das Gericht. - Alles dieses zeigt uns, dass die allgemeine Annahme, hier die Geschichte des Satan zu haben, wohl die rechte ist. Seine Machtwirkungen unter den Völkern sind gewaltig, und die Zahl der ihm gehorchenden Dämonen ist groß. (In dem armen gebundenen Gadarener [Mk. 5] war eine Legion.) Wir spüren sein - des Mörders und Lügners - Wirken in der Gegenwart ganz besonders. Gelobt sei Gott, dass wir Gläubigen aus seiner Macht gerettet sind!
v. d. K.

Anmerkung des Herausgebers

Die sogenannte Theosophie, die ein Vordasein der Menschen lehrt (vergl. Frage 8, Band II, 1914!), hat sich auch dieses Kapitels bemächtigt, um ihre grundstürzenden Irrlehren zu stützen, aber sie zeigt damit nur aufs neue, wie man jeden Wind philosophischer Lehre mit der Bibel beweisen zu können sich Mühe gibt. Welche „Ehre” tun diese armen Ungläubigen doch der Bibel an, dass sie diese als Helferin für ihre satanischen Systeme anrufen! Wir aber tun gut, wenn wir uns auf solcherlei menschliche Erfindungen gar nicht einlassen, sondern die Schrift sich selbst durch die Schrift auslegen lassen. Wir sagen dies in brüderlicher Liebe dem teuren Einsender vorliegender Frage, der zu derselben veranlasst war durch schwierige Aussprachen mit, wie er schreibt, Gläubigen, die von der Irrlehre der Theosophie angesteckt waren. Wir Gläubigen aber haben nicht die Aufgabe, törichte und ungereimte Streitfragen zu besprechen, sondern wir sollen sie „abweisen” (2. Tim. 2,23); wer sich diesem Grundsatz nicht fügt und sich nicht in Ruhe belehren lassen will, mit dem haben wir nicht zu streiten, und wir brechen die Gespräche ab - vielleicht wird Gott einen Weg finden, um solchen irrenden Gläubigen noch zurechtzuhelfen. Mit Ungläubigen über derlei philosophische Gedanken zu streiten ist erst recht nicht unsere Aufgabe; möchten wir diesbezüglich gewurzelt sein in 2. Kor. 10,3-5 in Verbindung mit 1. Kor. 1,18-31!

Obigen umfassenden Antworten brauchen wir nichts hinzuzufügen. Wir glauben, dass sie dem, der den Grundsatz: Schrift wird durch Schrift ausgelegt anerkennt, und der ein wenig die bilderreiche Sprache insonderheit des Propheten Hesekiel kennt, viel Licht geben werden über den Satan und seine Geschichte, die da endet mit den Worten: „und bist dahin auf ewig” (V. 19).

Nur noch eine besondere Bemerkung: Mit welch erhabenen Worten redet Gott von der einstigen Herrlichkeit und dem Fall von Tyrus sowie dem Fürsten und dem König von Tyrus, worunter wir den Satan sehen! Welch ein Klagelied Gottes über Tyrus, ja über Satan selbst! Möchten wir Christen daraus lernen, auch denen, die etwa unsere (ungläubigen) Feinde sind oder unsere Gegner in irgend einer Hinsicht, gegenüber groß und gerecht zu denken und sie nie in den Schmutz zu ziehen. Gott geht mit Seinen Feinden um ihrer Würde und Hoheit gemäß. Auch wir sollten so handeln! lasst uns auch hierin nicht der Welt gleichen, die so leicht den Feind verlästert und mit Schmutz bewirft. Und diese Mahnung sprechen wir auch aus im Hinblick auf die politischen Feinde unseres geliebten, uns von Gott geschenkten Vaterlandes. Gott klagt über die, die sich gegen Ihn aufgelehnt haben, und ihr Verderben - auch Stellen wie Ps. 2,4 oder Spr. 1,26, die von einem heiligen Zorneslachen reden, zeigen, dass Gottes Beurteilungsweise sich in ihrem tiefsten Wesen, Grund und Zweck von der der Menschen sehr unterscheidet -; der Engel Michael fällte kein lästerndes Urteil über Satan (Jud. 9), der HERR hat ein vielfaches „Wehe” über Seine Feinde, gelegentlich auch einen heiligen Zorn, wie auch Paulus Gal. 1,8.9 - und auch am rechten Platz vergebende Worte -, aber keine Lästerung, keinen Hohn, nicht einmal Ironie. Gott wird allen gerecht in Seiner Beurteilung und im Gericht! Möchten auch wir Gläubigen, durch Gnade unterwiesen, gerecht denken und handeln lernen denen gegenüber, die uns persönlich feindlich sind, sowie in angemessener Weise übertragen auch bei größeren Verhältnissen! In allen Angelegenheiten heißt es für uns: „Seid nicht gleichförmig dieser Welt!” (Röm. 12,2.)


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 3 (1915)