Antwort
Die in der Frage erwähnten Gegensätze kommen erst von V. 13 an in Betracht, weil das in V. 12 in manchen Übersetzungen (z. B. Elberf.) mit „Kinder”, in manchen (z. B. Luther; Wiese) mit „Kindlein” übersetzte Wort im Grundtext ein anderes, in einem anderen Sinne gebrauchtes Wort ist, als das in V. 13 im Gegensatz zu „Väter” und „Jünglinge” gebrauchte, mit „Kindlein” übersetzte Wort. Die Worte „Kinder” und „Kindlein” kommen in diesem Briefe zusammen 14mal vor, und zwar im Grundtext in drei verschiedenen Worten. Als erstes finden wir Kap. 2,1 (und dann noch 2,12.28; 3,7.18; 4,4; 5,21; zusammen 7mal) das mit „Kinder” bzw. „Kindlein” übersetzte Wort (teknia). Dasselbe kommt im ganzen Neuen Testament überhaupt nur 9mal vor (außer hier noch Joh. 13,33 und Gal. 4,19) und bedeutet „kleine Kinder”, „Kindlein”, gleichsam als Kosename, wie jemand zu anderen, ihm Lieben, sagt: „Liebe Kinder ...”, und wird von dem Apostel immer als Anrede an die Empfänger des Briefes gebraucht in dem Sinne, dass es sein Verhältnis väterlicher Liebe zu ihnen ausdrücken und zugleich sie an ihr Noch-nicht-vollkommen-Sein und die Notwendigkeit ihres Heranwachsens und Lernens erinnern soll. Es richtet sich also stets an alle Gläubigen. Als zweites finden wir in Kap. 2,13 und 18 (nur in diesen beiden Versen) das ebenfalls mit „Kindlein” übersetzte Wort (paidia). Dieses aber hebt mehr den Zustand des Kleinseins, der Einfalt und des Angewiesenseins auf den Beistand anderer hervor (wie z. B. Mt. 18,2-5; 19,13.14), bedeutet also hier den Anfangszustand im Glaubensleben im Gegensatz zu anderen, im Glaubensleben Vorangeschrittenen. Und als drittes erscheint noch in Kap. 3,1 (und 3,2; 3,10 [zweimal]; 5,2; zusammen 5mal) das mit „Kinder” übersetzte Wort (tekna). Dieses weist auf die Abstammung hin: „Kinder Gottes”; „Kinder des Teufels” (u. a. siehe Mt. 2,18; 22,24; Joh. 1,12; 8,39). Diese Unterschiede zu beachten ist wichtig für die rechte Einteilung und Auslegung des uns vorliegenden Schriftabschnittes. Ihre Nichtbeachtung bringt Wirrwarr. Aus obigem ersehen wir, dass „Kinder” bzw. „Kindlein” V. 12 alle betrifft: An sie alle schreibt der Apostel, weil ihnen allen „die Sünden vergeben sind um Seines Namens willen”. Darin gab und gibt es keinen Unterschied. Aber es gab und gibt einen Unterschied in dem geistlichen Wachstum, in der geistlichen Erfahrung und Reife im Glaubensleben, und im Blick auf diesen Unterschied teilt nun (V. 13-27) der Apostel die in V. 12 Angeredeten in drei Klassen ein - in „Väter”, „Jünglinge” und „Kindlein”, und sagt V. 13 erst jeder dieser drei Klassen, warum er ihnen schreibt. „Ich schreibe euch ...”; das ist im Blick auf das, was sie kennzeichnet. Und dann V. 14a,14b und 21 sagt er wiederum jeder dieser drei Klassen, warum er ihnen geschrieben hat. „Ich habe euch geschrieben ...”; d. i. gleichsam zur Begründung und Vertiefung des V. 13 über sie Gesagten.
Die Gegensätze zwischen den drei Klassen sind in den von dem Apostel gebrauchten Bezeichnungen „Väter”, „Jünglinge” und „Kindlein” und dem jeder dieser drei Klassen Gesagten leicht zu erkennen: Väter haben Kenntnis und Erfahrung gesammelt und sind gereift; Jünglinge sind im Wachstum vorangeschritten und sind stark und kampffreudig; Kindlein aber haben den Lebensweg erst begonnen und sind noch klein, schwach und hilfsbedürftig, unwissend und unerfahren. Geradeso ist es im Glaubensleben, und dementsprechend kennzeichnet der Apostel die drei Klassen in ihrer Verschiedenheit (V. 13), und belehrt und ermuntert er sie ihrem Zustand und Bedürfnis entsprechend. (V. 14-27)
Zu den „Vätern” bedarf es, ihrer Reife entsprechend, nur weniger Worte: Sie haben „Den erkannt, der von Anfang ist”, d. i. Christum, in der Herrlichkeit Seiner Person, was Er war als Mensch hienieden und was Er ist als der verherrlichte Mensch droben. Das schließt alles Erkennen in sich. Das setzt den alten Menschen beiseite und Ihn an dessen Stelle. Dieses ist eine Erfahrung, die ein Kind Gottes je mehr machen darf, je länger es auf dem Wege des Glaubens vorangeht. Je älter wir werden im Glaubensleben, desto mehr erkennen wir Ihn, wie ganz und völlig Er unseren Platz einnahm hienieden Gott gegenüber und was Er für uns ist droben, und in dem Maße wird Er uns herrlicher und gewinnt Er Gestalt in uns und unserem Leben! Darum finden wir in V. 14a nur nochmals den Hinweis auf das, was sie, die „Väter”, kennzeichnet, aber keine besondere Belehrung und Ermahnung.
Die „Jünglinge” sind noch nicht dahin gelangt, aber sie sind in einem gesunden Wachstum im Glaubensleben stark geworden, indem sie in ihrem Herzen und Leben dem Worte Gottes den rechten Platz eingeräumt haben, und haben so „den Bösen überwunden”. Sie kämpfen „den guten Kampf des Glaubens” (1.Tim. 6,12) siegreich in Seiner Kraft. Aber auch gerade sie, als in diesem Kampfe stehend, sind mehr als die erfahrenen „Väter” und die noch nicht in den Kampf eingetretenen „Kindlein” der Gefahr ausgesetzt, von der Welt und ihren Dingen angezogen und dadurch kampfunfähig gemacht zu werden. Darum die Belehrung und Ermahnung: „Liebet nicht die Welt, noch was in der Welt ist” usw. (V. 15-17)
Die „Kindlein” wieder sind in einer anderen Gefahr: verführt zu werden durch „Antichristen” (V. 18), falsche Lehrer, die deshalb den unerfahrenen „Kindlein” so gefährlich waren und sind, weil sie den Schein zu erwecken suchten und suchen, als ob sie „von uns” wären. (V. 19) Im Blick hierauf belehrt und warnt sie der Apostel. Und: Obwohl sie noch „Kindlein” waren, hatten sie doch „die Salbung von dem Heiligen”, den Heiligen Geist, und damit war ihnen die ganze Wahrheit erschlossen; sie brauchten nur sich von Ihm belehren zu lassen; dann würden sie in Ihm bleiben. (V. 20-27)
Alles in dem betrachteten Abschnitt Gesagte gilt auch heute noch genau so wie damals, als der Brief geschrieben wurde. Auch heute noch gibt es „Väter”, „Jünglinge” und „Kindlein”. Die „Väter” haben alles das erfahren, was von den „Jünglingen” und „Kindlein” gesagt ist, und beachten und verwirklichen das, was diesen zur Belehrung und Ermahnung gesagt ist, und dasselbe gilt bezüglich der „Jünglinge” im Blick auf das von und zu den „Kindlein” Gesagte. Alle aber - „Väter”, „Jünglinge” und „Kindlein” - sind die „Kinder” bzw. „Kindlein”, an die der Apostel sich vor V. 13 und nach V. 27 des Kap. 2 wendet.
Theodor Küttner.