Antwort A
Es bleibt nichts „anderes” übrig als die Frage mit „ja” zu beantworten, denn der HERR sagt dem Gesetzesgelehrten, dem Fragesteller: „Tue dies, und du wirst leben.” Durch die Erfüllung des Gesetzes sollte er leben.
Logisch richtig ist es, wenn dann sofort die weitere Frage nach der Erklärung von Joh. 3,16 sich aufdrängt und vielleicht der Gedanke „Widerspruch” sich geltend machen will. -
Ein Widerspruch ist jedoch zwischen Lk. 10,28 und Joh. 3,16 und all den anderen Worten, die von dem alleinigen Heil und ewigen Leben durch den Glauben an Jesus Christus reden, tatsächlich nicht vorhanden, aus dem einfachen Grunde nicht, weil Keiner da ist, der das Gesetz erfüllt hat. Zu deutlich redet Röm. 3,10-13: „Da ist kein Gerechter, auch nicht einer, da ist keiner, der verständig sei; da ist keiner, der Gott suche. Alle sind abgewichen, sie sind allesamt untauglich geworden; da ist keiner, der Gutes tue, da ist auch nicht einer,” und V. 23: „Denn alle haben gesündigt und erreichen nicht die Herrlichkeit Gottes.”
Jeder Versuch, auch wenn er noch so aufrichtig geschieht, das Gesetz Gottes zu erfüllen, bringt die Wahrheit ans Licht, dass das „Tun” nicht ausreicht, dass aus Gesetzeswerken kein Fleisch vor Ihm gerechtfertigt werden kann; denn gerade durch Gesetz kommt Erkenntnis der Sünde (vergl. Röm. 3,20). Diese Wahrheit wird in herrlicher Weise in der alttestamentlichen Anordnung vom Versöhnungsgeld (2. Mose 30,11-16) uns vor die Augen gestellt.
Gott Selbst hielt da gleichsam die Waage; Er erlaubte es nicht, dass sich der Israelit selbst abschätzte, er konnte und durfte nicht nach eigenem Ermessen sagen: „Soundso viel ist genug.” Nein! Ein halber Seckel reinen Silbers, und zwar nach dem Gewicht des Heiligtums, das war Gottes Anordnung.
So fordert Gott heute nichts Geringeres und nichts anderes als das volle Gewicht des von Ihm bestimmten echten Lösegeldes, nämlich das Blut Jesu Christi von jeder Seele und für jede Seele. Er kann, was der Mensch etwa bestimmen und geben wollte, selbst wenn es das Beste wäre, nicht annehmen, weil es niemals an die Erfüllung des Gesetzes heranreicht. Es hätte nimmer das Gewicht des Heiligtums, es wäre unechtes Geld, eine falsche Münze, Schaum und Schlacken. Dies Blut und dies Blut allein ist der einzige vor Gott gültige Preis. Alles, was diesen Wert und Preis nicht erreicht, und jeder, der diesen echten Preis nicht bringt, bleibt unter dem Fluche; sein Urteil lautet wie das des babylonischen Königs Belsazar, das ihm der HERR mit Flammenschrift an die Wand setzen ließ: „Du bist gewogen und zu leicht erfunden!”
Dieses Versöhnungsgeld ward zu gleicher Höhe von dem Armen wie von dem Reichen und umgekehrt erhoben. Der Reiche, der leicht mehr als einen halben Seckel, der zehn, zwanzig und darüber hätte geben können, durfte doch nicht einen halben Gera mehr, der Arme aber auch nicht einen halben weniger darlegen. Hier standen sie alle ohne Ausnahme auf derselben Stufe vor Gott.
So ist es in bezug auf unsere Erlösung; ob arm oder reich, gelehrt oder ungelehrt, jung oder alt, moralisch oder unmoralisch, ein nach unserer Schätzung großer oder kleiner Sünder, alles ist hier vollkommen gleich. Alle stehen auf derselben Plattform und tragen den einen gemeinsamen Namen: Sünder. Darum kennt Gott auch keinen anderen Preis für jeden unter ihnen an als den, der Sünder frei macht: „Sie werden umsonst gerechtfertigt durch Seine Gnade durch die Erlösung, die in Christo Jesu ist” (Röm. 3,24). Der Mann mit dem guten Willen und die Frau mit dem zarten und weichen Herzen, auf welches sie sich vielleicht etwas zugute tut, brauchen ebensogut das Blut Christi als Lösegeld wie der Dieb und Mörder, wenn sie gerettet werden wollen; gerade so wie jenes elende Frauenzimmer mit ihrem geschminkten Angesicht und ihrer frechen Stirn, wie jene Person, von der vielleicht jüngst beim Vorübergehen gesagt wurde: „Armes, verlorenes Wesen!” Der eine und selbe Preis ist nötig für die einen wie für die anderen; hier ist kein Unterschied, kein Unterschied, kein Ansehen der Person!
Und doch, wenn ein solcher gemacht werden soll, ist ein Unterschied zu finden, wie ihn aber der Mensch nicht erwartet. Hören wir den Unterschied, wie ihn der HERR hervorhebt vor den Hohenpriestern und Ältesten des Volkes Israel, wenn Er ihnen sagte: „Wahrlich, Ich sage euch, dass die Zöllner und Huren euch voraugehen in das Reich Gottes” (Mt. 21,31). Warum das? Weil sie eher ihren verlorenen Zustand einsehen und deshalb eher nach dem einen allein gültigen Preis, nach dem Blute Christi greifen mögen.
An dem Mörder am Kreuz und dem reichen Jüngling mag dieser Unterschied gesehen werden. Der erstere hat nichts getan in bezug auf das Erfüllen des Gesetzes, sein Leben war ein verfehltes, er war ein Abschaum der Menschheit, ein Ausgestoßener und Verworfener, der sich aber in seiner Not an den Erlöser klammert und gerettet wird. Der letztere hatte getan und wollte tun, er kam mit seinem Tun soweit, dass er ein angesehener und geehrter Mann war, der eine unbescholtene Jugend hinter sich hatte, nichtsdestoweniger bleibt er dem Reiche Gottes fern und geht traurig davon.
W. W.
Antwort B
Es ist gänzlich ausgeschlossen, dass es neben dem Joh. 3,16 geschilderten Wege noch einen zweiten Weg zum ewigen Leben gibt - für den Sünder. Dagegen sprechen deutlich Stellen wie Röm. 3,20; Gal. 2,16.21; 3,11, und besonders 3,21.22: „Wenn ein Gesetz gegeben worden wäre, das lebendig zu machen vermöchte, dann wäre wirklich die Gerechtigkeit aus Gesetz. Die Schrift aber hat alles unter die Sünde eingeschlossen, auf dass die Verheißung auf Grund des Glaubens an Jesum Christum den Glaubenden zuteil werde.”
Lk. 10,28 kann nur richtig verstanden werden, wenn man die Voraussetzung dieser Antwort in den Versen 25-27 beachtet.
Der Vers 25 genannte Fragesteller war ein Gesetzgelehrter, ein Mann, der auf dem Wege der Gesetzeserfüllung gerecht zu werden versuchte, um auf diese Weise ewiges Leben zu erlangen. Bei ihm handelte es sich um ein „Erwerben”, um ein „Verdienen”.
Nun ist ja klar, dass das Gesetz, das heilig und vollkommen ist, wohl als Führer zum ewigen Leben dienen könnte, wenn es andersgeartete Menschen vor sich hätte, nämlich nicht gefallene und unter der Herrschaft der Sünde lebende, die höchstens dem Gesetz zustimmen können, aber keine Kraft haben, seinen Forderungen wirklich nachzukommen. Das gilt von allen Menschen ohne irgendeine Ausnahme (Röm. 3,19).
Darum bestimmte Gott einen anderen Weg. Er tat, was dem Gesetz unmöglich war, indem Er Seinen Sohn für die Sünde sandte (Röm. 8,1), auf dass alle, die an Ihn glauben, nicht verloren werden, sondern ewiges Leben haben (Joh. 3,16). Wer den Sohn hat, hat das Leben; wer den Sohn Gottes nicht hat, hat das Leben nicht (1. Joh. 5,12).
Der Sohn gibt ewiges Leben (Joh. 17,2). „Das ist aber das ewige Leben, dass sie Dich, den allein wahren Gott, und den Du gesandt hast, Jesum Christum, erkennen.” Zu dieser Erkenntnis wollte Christus alle Menschen, auch den fragenden Gesetzgelehrten führen.
Um die Notwendigkeit der Sendung des Sohnes und der Erlösung durch Sein Blut und die freie Begnadigung des Sünders (ohne des Gesetzes Werke) zu erkennen, ist es aber zunächst unerläßlich, die eigene Unzulänglichkeit und Unfähigkeit, durch das Gesetz gerecht und lebendig zu werden, zu sehen. Wer für seine eigene Sündhaftigkeit und Machtlosigkeit keinen Blick hat, dem wird auch das Verständnis für den einzigen Weg zum Leben, nämlich den durch Glauben an den Sohn Gottes, verschlossen bleiben.
Jesus wollte dem Gesetzgelehrten zu dieser Erkenntnis verhelfen. Es ist aber schwer, selbstgerechte und von der eigenen Tüchtigkeit und Kraft überzeugte Menschen zur Sündenerkenntnis und zur Überzeugung der eigenen Ohnmacht zu bringen.
Ein Mensch, der es wirklich aufrichtig versucht, das Gesetz in allen seinen Forderungen genau zu erfüllen, wird zwar bald zur Erkenntnis der Sünde kommen, aber das taten die Pharisäer und Gesetzeslehrer zur Zeit Jesu im allgemeinen nicht. Sie verstanden nicht den Geist des Gesetzes, der die selbstlose Liebe fordert, sondern hielten sich an die äußeren Vorschriften, die sie durch zahllose menschliche Zusätze vermehrt hatten. Solchen Menschen kann man nur raten: „Tue das, was das Gesetz fordert; versuche es einmal ehrlich, Gott zu lieben mit deinem ganzen Herzen und mit deiner ganzen Seele und mit deiner ganzen Kraft und mit deinem ganzen Verstande und deinen Nächsten genau so wie dich selbst.” Ein ehrlicher Versuch wird dann bald zu der Überzeugung führen: es ist unmöglich.
Diese Absicht hatte der HERR auch mit dem Gesetzgelehrten. Darum erzählt Er ihm auch die Geschichte von dem unter die Mörder gefallenen Juden, an dem Priester und Levit vorübergingen, dessen sich aber der Samariter erbarmte. Sie sollte dem Gesetzgelehrten zur Selbstprüfung und Beschämung dienen. Sie sollte auch dazu dienen, die Selbsterkenntnis und das Erlösungsbedürfnis zu wecken.
Ob der Gesetzgelehrte den Rat: „Tue das! Tue desgleichen!” ernstlich befolgte, wird uns nicht berichtet. Wenn es geschah, so kam er gewiß bald zu Jesu zurück mit dem Geständnis: HERR, ich habe es versucht, ich kann es nicht. Und der HERR wird Sich ihm dann geoffenbart haben als Der, der die Mühseligen und Beladenen annimmt, um ihnen Ruhe und ewiges Leben zu geben. Wäre der Fragesteller gleich in dieser inneren Verfassung gekommen, so hätte der HERR sogleich die frohe Botschaft der Gnade verkünden können wie bei der Sünderin (Lk. 7,36ff.), bei Zachäus (Lk. 19) und in anderen Fällen; Er hätte dann das Gesetz nicht erwähnt.
Da der Gesetzgelehrte aber nicht als hilfsbedürftiger Sünder kam, sondern um den HERRN zu versuchen, so wollte der HERR diesem Manne, der auf dem Wege des „Tuns” (V. 25) ewiges Leben suchte, durch Seinen Rat: „Tue das!”, zu der Erfahrung bringen, die Paulus Röm. 7,10ff. beschreibt: Das Gesetz, zum Leben gegeben, erweist sich dem gefallenen Menschen zum Tode. So erfüllt es aber doch den Zweck, Erkenntnis der Sünde, Überzeugung von dem geistlichen Todeszustand zu wirken und den Menschen dahin zu bringen, das ewige Leben als Gabe Gottes, als ein freies Gnadengeschenk im Glauben anzunehmen.
J. W.