Antwort A
Um diese Worte verständlich zu machen, müssen wir einige Punkte ins Auge fassen und beachten; 1. Christus ist das Haupt des Leibes, der Versammlung (Kol. 1,18); 2. wir sind Glieder Seines Leibes (1. Kor. 12,27; Eph. 5,30); 3. Gott hat den Leib zusammengefügt (1. Kor. 12,24b), d. h. wir sind mit Ihm einsgemacht durch Seinen Geist, nachdem Christus uns „durch das Blut an Seinem Kreuz versöhnt hat in dem Leibe Seines Fleisches durch den Tod” (Eph. 2,13-18; Kol. 1,22).
Der Weg des Herrn Jesu ging durch Leiden zur Herrlichkeit; davon gaben schon die Propheten Zeugnis durch den Geist, der in ihnen war, und suchten darüber nachzuforschen (1. Petr. 1,10.11). Er hat um unseretwillen im Fleisch gelitten (1. Petr. 3,18; 4,1). Wenn nun Christus als Haupt leidet, wird es uns wohl klar, dass wir als Glieder am Leibe mit Schmerzen haben, ja, wir sollen „allezeit das Sterben Jesu am Leibe umhertragen, auf dass auch das Leben Jesu an unserem Leibe offenbar werde” usw. (2. Kor. 4,10-12.) Es sollte uns eine Freude sein, für den HERRN und Seine Versammlung zu leiden. Wir können auch in der Hinsicht, was es heißt, teilhaftig Seiner Leiden zu sein, viel von den Aposteln lernen (s. z. B. Apg. 5,41 und 1. Petr. 4,13.14). So konnte auch Paulus hier in unserem Vers von Freude reden in den Leiden für die Versammlung. Denn wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, und wenn ein Glied sich freut, so auch alle Glieder (1. Kor. 12,26). Wir sehen Jesum mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt, nachdem Er gelitten hatte (Hebr. 2,9); wenn nun Christus als Haupt verherrlicht ist, so ist auch der ganze Leib mit verherrlicht. Aber wie der Anführer erst durch Leiden vollkommen gemacht ist, so werden wir, die Söhne, die Er zur Herrlichkeit gebracht hat, auch erst durch Leiden vollendet (Hebr. 2,10).
Hieraus können wir verstehen, welche Freude Paulus in den Leiden für die Kolosser hatte, indem er lebte nach seinen Worten (Gal. 6,2): „Einer trage des anderen Last!” Ist es schon in der Welt so, dass „geteilter Schmerz halber Schmerz, geteilte Freude doppelte Freude” ist, so ist das erst recht so in der Gemeinde Gottes, wenn wir füreinander leiden und einander Lasten tragen helfen; und ist unsere Stellung zueinander richtig, so freuen wir uns in diesen Leiden, ja, wir freuen uns in und mit Christo! - Dies wurde bei Paulus zur Tatsache. Er hatte Sorge getragen und Kampf gehabt um die Versammlung der Kolosser (2,1), aber als er gehört hatte von ihrem Glauben, ihrer Liebe und Hoffnung (1,4.5), und dass das Wort der Wahrheit fruchtbringend und wachsend unter ihnen war (V. 6), da konnte er von Freuden im Leiden für sie reden (nach unserem Verse); und darum fühlte er seine Verantwortung, für die Versammlung zu leiden, erst recht; er sagt: „ich will ergänzen in meinem Fleische”, d. h. solange ich noch in diesem Leibe, auf der Erde lebe, will ich mit Leib und Seele eintreten für die Versammlung, mich ihr zur Verfügung stellen. „Ich will ergänzen, was noch rückständig ist von den Drangsalen des Christus für Seinen Leib, das ist die Versammlung” - mit anderen Worten: ich will nachholen, was bisher versäumt ist an Leiden für die Versammlung. Und in diesen Leiden können auch wir Nachahmer des Apostels sein, denn geschenkt ist es uns in bezug auf Christus, nicht nur an Ihn zu glauben, sondern auch für Ihn zu leiden und denselben Kampf zu erdulden, den wir bei dem Apostel Paulus sehen (Phil. 1,29.30).
Möchten wir darin treu ausharren!
G. R.
Antwort B
Paulus hatte den Christus als Den kennen gelernt, der Frieden gemacht hat durch das Blut Seines Kreuzes (V. 20), und nun gab es für ihn keinen Ruhm und keinerlei Vorrechte mehr. Der gesetzesstolze Pharisäer musste das Gesetz, für das er geeifert hatte, unter dem Kreuze begraben. Die Gnade hatte die engen Grenzen des Judentums und der Messiashoffnung weit überschritten, und diese Gnade durfte Paulus als Apostel der Nationen verkündigen. In V. 23 nennt er sich einen Diener dieses Evangeliums. Diese Verkündigung brachte nun für den Apostel mancherlei Verfolgungen und Leiden mit sich, aber es war für ihn, der sich nun als Sklave Jesu Christi fühlte, eine Freude und ein besonderes Vorrecht, mitleiden zu dürfen für Christus und für die Versammlung. Er spricht also nicht von der Wirkung des Todes Jesu, sondern von der Liebe, welche ihn trieb, zu leiden. Hätte Paulus die Beschneidung gepredigt, so würde er nirgends bei den Juden Ärgernis erregt haben, aber als ein Diener am Evangelium, als Gebundener Jesu Christi, verkündigte er den gekreuzigten Christus, wofür er geschmäht und verfolgt wurde, und so durfte er praktisch an den Leiden seines HERRN teilnehmen, was auch in gleicher Weise in etwa für uns gilt. Es ist ein Stück Teilhaberschaft an den Leiden des HERRN. Paulus folgt nicht zitternd wie die Jünger in Mk. 10, nein, er begehrt zu leiden, um teilzuhaben an den Leiden des Christus, koste es, was es wolle. So war der Christus nicht nur der Gegenstand seines Herzens, sondern auch die Kraft, durch die er alles vermochte, auch zu leiden (Phil. 3, 7-11).
Ph. W.
Antwort C
In den vorhergehenden Versen spricht Paulus von dem „Haupte des Leibes”, mit dem 24. Vers beginnt er von „Seinem Leibe” zu reden.
Paulus empfing durch Offenbarung die göttlichen Gedanken über Seine Gemeinde- das wunderbare „Geheimnis”, dass die Gemeinde Sein Leib sei (Eph. 3).
Die Verkündigung und Offenbarung dieser Wahrheit trug Paulus viele Leiden ein in Verfolgung und Haß, die ihm speziell um der Offenbarung des „einen Leibes” willen wurden. (Besonders von den Juden.) Es waren Leiden, die eben deutlich dieses Gepräge trugen, dass er sie erlitt „für Seinen Leib”. Natürlich nicht sühnende Leiden, daran konnte Paulus nichts ergänzen, und daran war nichts rückständig. Aber die Offenbarung der Wahrheit Seines „Leibes” war noch rückständig, und somit waren auch die Leiden, die damit verbunden waren, gleichsam rückständig, und diese ergänzte Paulus in seinem Fleische. In dieser Hinsicht würdigte der HERR den Apostel Paulus, in seinem Fleische zu ergänzen, was von den Drangsalen noch rückständig war „für Seinen Leib.” In geringem Maße können auch wir heute (an dem Tage der Zerrissenheit und Spaltungen) in dem Eintreten für diese Wahrheit noch an solchen Leiden teilnehmen.
v. d. K.
Anmerkung des Herausgebers
Während die erste Antwort mehr die allgemeine Wahrheit betont, dass die Glieder des einen Leibes füreinander und um des Hauptes, des HERRN willen zu leiden haben, zeigen die beiden letzen Antworten mehr die besondere Art der Leiden, die Paulus in diesem Verse meint und der er sich mit Freuden unterzieht. Es sind Leiden, die als Folge der Offenbarung und Verkündigung des dem Paulus anvertrauten Geheimnisses von dem Leibe Christi zu erwarten waren, in dem Maße, wie die noch ausstehende („rückständige”) Verkündigung geschehen würde. Dies Geheimnis zu verkünden war die dem Paulus aufgetragene Vollendung des Wortes Gottes (V. 25). Es hing von Paulus ab, wieviel er von diesen rückständigen Leiden ergänzen würde, denn es hing von seiner das Wort Gottes vollendenden Verkündigung ab. Und da hätte er es sich leicht und bequem machen können. Er hätte die eifersüchtigen Juden nicht „vor den Kopf zu stoßen” brauchen, indem er immer wieder von dem Einverleiben der Nationen in diesen Leib geredet hätte (vergl. Eph. 3) usw. Aber wo wäre dann die Treue des Apostels geblieben? Ein Paulus konnte nicht um eines leidenlosen „Dienstes” willen seine Stellung, seinen Beruf - ja, mehr: seinen HERRN verleugnen, der ihn „herausgenommen hatte” (Apg. 26,17), um Ihm ein gebräuchliches Werkzeug zu sein! Paulus blieb seinem Auftrag treu und - brachte dieser Auftrag Leiden mit sich - gut, so war es etwas, was ihm Freude gab, wie ein rechter „Diener” (V. 25a) sich freut, an allem teilzuhaben, was sein Herr durchmacht und was die Sache seines Herrn angeht; und er war ein Diener Christi und der Versammlung!
Gewiß können wir - in kleinem Maßstab an diesen Leiden teilnehmen. Und möchten wir alle nur so gesinnt sein wie Paulus war! Aber wieviel Leidensscheu ist unter uns Gläubigen, nicht nur was das Leiden um des Zeugnisses willen von Christo angeht - und hierin wohl noch am wenigsten! - sondern vor allem um des Gegenstandes willen, den Paulus in unserem Verse meint: um des Geheimnisses willen des Leibes, der Versammlung. Wie vielen Gläubigen ist es durchaus genügend, ein Eigentum des HERRN, ein Kind Gottes zu sein, und die Tatsache des Einen Leibes, der Versammlung (der Gemeinde) und der Zugehörigkeit zu ihm, zu ihr, und die Verantwortung für die Verkündigung dieser Tatsache bleibt ihnen etwas Fremdes, Unbequemes, wohl oft gar Gleichgültiges. Und doch, geliebte Geschwister, diese Dinge und die noch rückständigen Leiden um dieser köstlichen Dinge und ihrer Verkündigung willen sind nichts Überflüssiges und Nebensächliches! Vielmehr machen wir, die wir sogar bisweilen mit Tränen (wie Timotheus, 2. Tim. 1,4) die Lehre von dem Leibe Christi zu vertreten haben, wirklich etwas auch von den Freuden durch, deren Paulus sich hier rühmt, wenngleich unser „Ergänzen” sehr kümmerlich ist und noch vieles „rückständig” bleibt. Wohl ist das Wort Gottes „vollendet” worden durch Paulus, darin ist ebensowenig wie bezüglich der Sühnung durch Christi Tod noch etwas zu ergänzen an Leiden dafür; aber die Verwirklichung dieses Wortes von dem Einen Leibe und der persönlichen Verantwortung dafür durch uns in dieser Welt ist eine Sache stets neuer Kämpfe (vergl. 2,1) und Leiden, und an diesen noch jetzt teilzuhaben ist unser Vorrecht und - wenn wir's nur erkennen - ein Teil unserer Freude hienieden, einer Freude und eines Vorrechts, dessen Genuß die Welt - wie damals das Judentum - nicht versteht und verlacht, dessen Ausübung in treuer Hingebung aber der HERR wertet nach Seinem eigenen Maßstab in Gerechtigkeit und Gnade an Seinem zukünftigen Tage (1. Kor. 3,9-15).