Antwort A
Es gibt verschiedene Gründe, die den HERRN veranlassen, Maria zu sagen, Ihn nicht anzurühren. Ein Hauptgrund ist der, dass sie lernen sollte, den HERRN nicht mehr in dem Zustand und in den Lebensbedingungen zu besitzen, wie sie Ihn kannte vor Seinem Tode und Seiner Auferstehung. Er war jetzt nicht mehr diesseits, sondern jenseits des Todes. Darum konnte der HERR, obwohl Er in ihrer Mitte war, sagen: „Als Ich noch bei euch war.” (Lk. 24,44.) Maria musste dies lernen, so schmerzlich es für sie sein mochte. Sie nannte Ihn nicht nur: Rabbuni! das heißt Lehrer, und war auch nicht nur bereit zu lernen, sondern lernte tatsächlich, wie es aus ihrem Verhalten hervorgeht. Lernen auch wir so schnell von Ihm, auch dann, wenn wir Seine Anweisungen nicht immer gleich verstehen? Lernen wir, indem wir tun, was Er sagt?
Dass Frauen Ihn in Mt. 28,9 anrühren und der HERR es ihnen gewährt, ändert nichts an obiger Auffassung. Nur nach Matthäus lässt Er Sich anfassen, weil der HERR uns dort als Messias, welcher einst leiblich unter Seinem Volke sein wird, vorgestellt ist. Dies ist auch der Grund, dass uns in Matthäus keine Himmelfahrt berichtet wird, weil Er als Messias mit Seinem Volke auf Erden betrachtet wird. (Vergl. Mt. 28,20b.) Hier wird uns wieder einmal klar gezeigt, wie wichtig es doch ist, die Hauptlehre eines jeden Buches der Bibel zu verstehen. Dies bringt uns zu einem anderen Grunde, warum der HERR Sich nach dem Johannes-Evangelium nicht anrühren läßt. Maria sollte in die neue Stellung oder Haushaltung, die durch Seinen Tod, Seine Auferstehung und Himmelfahrt eingeleitet wurde, eingeführt werden, Christus nicht leiblich, sondern im Geiste zu besitzen. Nicht mehr durch Schauen (d. h. den HERRN sehend) zu wandeln, sondern durch Glauben. (Vergl. Joh. 20,29b.) Maria ist im gewissen Sinne die Vertreterin des gläubigen jüdischen Überrestes am Anfang dieses Zeitalters, wie Thomas es ist nach Abschluß desselben. Sie musste lernen, dass die Segnungen des Christentums in dem auferstandenen und verherrlichten Christus „über” und „außerhalb” der jüdischen Haushaltung zu haben sind, darum auch die kostbare Botschaft an Seine Brüder durch Maria, welche die unlösbaren Lebensbeziehungen dieses einzigartigen Verhältnisses zu unserem Gott und Vater durch den Herrn Jesum kennzeichnete. Die zwei wunderbaren Gebete des Apostels Paulus in Eph. Kap. 1 u. 3 sind auf diese Offenbarung gegründet.
Wir haben in Joh. 20 die Berührungspunkte dreier Zeitalter vorgebildet. Vers 11-18: das Zeitalter des Gesetzes mit Maria, der Vertreterin des gläubigen Überrestes, der in die Haushaltung des Glaubens, der Gnade und des Geistes eingeführt wird. Vers 19-23: unser gegenwärtiges Zeitalter, charakterisiert durch die Gemeinde mit dem Lichte der Gegenwart des HERRN in ihrer Mitte (Vers 19; Kap. 12,36) und darum gekennzeichnet durch Seine Liebe (Kap. 13,1), durch Seinen Frieden (Vers 19; Kap. 14,27), durch Seine Freude (Vers 20; Kap. 15,11), durch Seinen Geist (Vers 22; Kap. 16,7) und durch Seine Heiligkeit (Vers 23; Kap. 17,17; Psalm 93,5). Vers 24-29: Thomas, ein Bild von dem zukünftigen Überrest, der an den Segnungen des Tages der Gnade, dieses gegenwärtigen Zeitalters, nicht teilnimmt, wie auch Thomas nicht teilnahm an den Segnungen der ersten Begegnung am Auferstehungstage. Hier wird nun das Zeitalter der Wiederherstellung aller Dinge vorgebildet. (Vergl. Sach. 12,10-14 u. Apg. 3,21.) Um das Gemälde zu vervollständigen, möchte ich noch erwähnen, dass uns in Kap. 21,1-14 die Segnungen des Tausendjährigen Reiches vorgebildet werden.
K. O. St.
Anmerkung des Schriftleiters von Teil I
Paulus sagt 2. Kor. 5,16: „Daher kennen wir von nun an niemanden nach dem Fleische; wenn wir aber auch Christum nach dem Fleische gekannt haben, so kennen wir Ihn doch jetzt nicht mehr also.” Dieses „Jetzt nicht mehr” musste Maria lernen - und wie gern lernte sie von ihrem „Rabbuni”, ihrem Meister! Ist Er auch der unsere? Ungeteilten Herzens hing sie am HERRN, darum lernte sie bereitwillig und - wurde gebraucht in Seinem Dienst! Welche Lektion für uns!
„Jetzt nicht mehr” ein irdisches Verwandtschaftsverhältnis, Maria, jetzt ein höheres, ein neuer Stand des HERRN, und darum ein neuer Stand der Seinen und ihrer Beziehungen zu Ihm! Der Weg zum Vater, zu unserem Vater, weil Er Sein Vater, zu unserem Gott, weil Er Sein Gott, wird erschlossen, wir werden „zu Gott gebracht”, zu „Söhnen” gemacht! Welch neuartiges, herrliches Verhältnis, nicht zu vergleichen mit den irdischen Segnungen Israels, so kostbar diese auch waren in ihrem Rahmen, ehe das Neue kam, das „vor den Zeitaltern verborgen war, in Christo aber kundgemacht” ist. Und dies neue Verhältnis begann mit Seiner Auffahrt! Jetzt gibt's ein neues Anrühren Seiner Person, nicht mehr im Fleische, sondern im Geiste, eine neue Gemeinschaft mit Ihm, nicht mehr mittels irdischer Vermittlung, durch die Hände, sondern mittels geistiger, aber darum nicht weniger innigen, sondern viel innigerer, weil ewiger, unvergänglicher Verbindung - nämlich vermittels des Geistes Seines Sohnes, den Gott in unser Herz gegeben hat (Gal. 4,6). Nun ist „unsere Gemeinschaft mit dem Vater und Seinem Sohne” (1. Joh. 1,4). Das musste der Maria, so innig sie ihren Meister, der ihr ein und alles war, auch liebte, noch verborgen sein, und blieb ihr auch bei dem Worte „Rühre Mich nicht an” zunächst noch verborgen - aber am Pfingsttage, da hat sie jene Worte verstanden, da erfuhr sie die Bedeutung und Erfüllung. Und wir, denen jene Worte mit gesagt sind, gleichsam als Zeichen, von dem Joh. 20,31 gilt, wir genießen gleichfalls diese neuartigen Gemeinschafts- und Verwandtschaftsbeziehungen, in die Er uns nach Seiner Auffahrt gebracht hat, wenn anders wir Christi Geist haben, und „wer Christi Geist nicht hat, ist nicht Sein” (Röm. 8,9).
Warum aber haben so viele Gläubige so wenig Erfahrung davon? Warum leben so viele ein Gesetzesleben ohne Freude, ohne Kraft? Viele wegen mangelhafter, gesetzlicher Belehrung; viele aber auch, weil sie nicht „durch den Geist wandeln” (Gal. 5,25), d. h. in praktischer Verbindung mit dem HERRN und im Glaubensgehorsam gegen Ihn und Sein Wort stehen und bleiben, den Geist fortgesetzt betrüben und nicht immer in Selbstgericht und Bekennen vor Ihm nach 1. Joh. 1,9 zur Wiederherstellung gelangen. Wie ernst ist das!
Der HERR lasse auch uns allen obige kostbare Antwort und diese Bemerkungen in Gnaden dazu dienen, uns in die Wahrheit hineinzuführen; Er mache aus uns „Täter Seines Wortes” (Jak. 1,22) und lehre uns wandeln im täglichen Genusse der Segnungen des gegenwärtigen Zeitalters, „damit unsere Freude völlig sei”!