Antwort A
Ein sorgfältiger Vergleich von 1. Joh. 3,9 mit Kapitel 2,1 wird zum Verständnis dieser Stelle beitragen. In Kap. 2,1 gebraucht der Apostel die „Aorist”-Zeitform des Zeitwortes, wodurch eine einzelne,bestimmte Handlung bezeichnet wird; in Kap. 3,9 gebraucht er die „Präsent”-Zeitform, welche eine Fortdauer, ein Fortfahrenin der Sünde ausdrückt.
Nachden feierlichen Worten des ersten Kapitels sagt er:„Meine Kinder, ich schreibe euch dieses, auf dass ihr nicht sündiget, und wenn jemand gesündigt hat - wir haben einen Sachwalter bei dem Vater.” Das Ziel seines Schreibens ist, dass sie nicht sündigen; doch wenn jemand sollte überwältigt worden sein, so will er diesen auf die Vorsorge, die Gott in Seiner Güte für einen solchen getroffen hat, hinweisen, damit er nicht verzweifle, sondern Vergebung erlange und zum Sieg über die Sünde geführt werde.
In Kap. 3 zeigt der Apostel zwei Menschenklassen: die, die Gerechtigkeit tun, und die, die Sünde tun. Bei der einen Klasse ist die Gerechtigkeit, bei der anderen die Sünde der herrschende Grundsatz in ihrem Leben. Er stellt fest, daß, obgleich die Möglichkeit da ist, dass der aus Gott Geborene in eine Sünde fallen kann, derselbe aber nicht in der Sünde verharren kann. Ein Schaf mag in den Schmutz fallen; aber es ringt, herauszukommen, und ist nicht zufrieden, darin zu sein, während die Sau, selbst wenn sie gewaschen war, sich darin mit Behagen wälzt.
Manche legen diese Stelle dahin aus, dass der Apostel meint, dass die neue Natur nicht sündigt, aber der Apostel gebraucht die Worte im 10. Vers: „Hieran sind offenbar die Kinder Gottes und die Kinder des Teufels.” Es sind Personen, von denen er spricht, und nicht Naturen (wie in Röm. 7), und der Gegensatz wird gezogen zwischen denen, die die Gerechtigkeit tun, und denen, die die Sünde tun. In Kap. 5,18 finden wir denselben Gegensatz. Er spricht in Vers 16 von der Möglichkeit, dass ein „Bruder” sündigt „eine Sünde nicht zum Tode”, und dann zeigt er: der aus Gott Geborene sündigt nicht - das Charakteristische des aus-Gott-geboren-Seins ist Gerechtigkeit (2,29) und nicht Sünde. Der Böse, in dem die ganze Welt liegt (5,18.19), hat keine Rechte über den aus Gott Geborenen; er ist in der Hand Christi und Gottes (Joh. 10,28.29), und keine andere Hand kann ihn antasten. Luther drückte sich so aus, dass ein Kind Gottes in dem Kampfe wohl täglich Wunden empfängt, aber niemals seine Waffen wegwirft oder Frieden mit dem Todfeinde macht.
Ein besseres Verständnis dieses Briefes würde manchen bewahren vor den falschen Gedanken der Sündlosigkeit und uns anreizen, in größerer Wachsamkeit den Pfad der Gerechtigkeit zu wandeln und so den Beweis zu geben von unserer Gemeinschaft mit Ihm, der „geoffenbart worden ist, auf dass Er unsere Sünden wegnehme” und „auf dass Er die Werke des Teufels vernichte” (1. Joh. 3,5.8).
W. H. B., frei übers. von v. d. K.
Antwort B
Diese Schriftstelle ist für manchen eine Schwierigkeit, und andere sind durch das Nichtverstehen derselben entmutigt worden. Den einen scheint sie in Widerspruch mit Kap. 1,8-10 zu stehen, und den anderen scheint sie auf einen solchen hohen moralischen und geistlichen Stand hinzuweisen, den zu erreichen sie mutlos aufgeben. Diese Stelle zeigt den großen Charakterzug im Leben des aus Gott Geborenen. Der aus Gott Geborene ist heilig. Er haßt die Sünde. Nimm z. B. die zehn Sünden in 1. Kor. 6,9.10 und denke dir, eine aus Gott geborene Person würde ersucht, diese zu begehen; wird sie sich nicht mit Abscheu von solchen Ansinnen wegwenden? Sie kann nicht diese Dinge tun. Jede Fiber der neuen Natur sträubt sich gegen solches Ansinnen. „Nein, nein, niemals!” ist die Antwort. So begegnete Joseph der Versuchung, und so haben Millionen verweigert, sich wieder in dem Schmutz zu wälzen, von dem sie gewaschen sind. Sie sagten in Wahrheit: Ich kann Spott tragen, ich kann aus eurer Genossenschaft gestoßen werden, ich kann gequält werden nach Leib und Seele, ich kann in Gefängnis und Tod gehen, aber ich kann nicht sündigen wider Christus. - Ja, Tausende haben so gelitten. Diese Stelle zeigt die Wirkung der neuen Geburt, den Instinkt und das Wesen des aus Gott Geborenen.
Aber wie, möchte man fragen, kann man diese Stelle mit 1. Joh. 1,8.10 und anderen Stellen vereinigen, in welchen Gläubige unter der Schuld selbst schwerer Sünden gesehen werden? Die Antwort ist, dass dieses Ausnahmen sind, die die Regel beweisen. Zu allen Zeiten und bei den Besten wurden Fehler und Sünden offenbar, aber dies ändert nicht die Tatsache des Wesens der neuen Lebensnatur.
G. F. T., frei übers. von v. d. K.
Antwort C
Die neue Natur 1. Joh. 3,9 ist die von Gott empfangene, dem Gläubigen mitgeteilte, die durch den Heiligen Geist in uns wirkt. Dieser neue Lebensgrundsatz kann sich nicht mit dem alten vereinigen noch vermischen, weil er diesem gänzlich entgegengesetzt ist. So wie sich Öl mit Wasser nicht vereinigt, so kann sich das, was aus Gott geboren ist, nicht vereinigen noch vermischen mit dem, was aus dem Fleische geboren ist.
G. K., frei übers. von v. d. K.
Der Schlüssel zum Verständnis dieser Verse liegt in dem Worte: „aus Gott geboren”. Der Apostel sieht die Kinder Gottes nur unter diesem einen Blick. Er berührt nicht das Fleisch, welches wir noch an uns tragen. Er spricht von dem Gläubigen als von Gott gezeugt und deshalb eine Natur habend, die nicht sündigen kann. Er sieht den Gläubigen nur von diesem einen Gesichtspunkte aus. Alles weitere, dass wir, solange wir hienieden sind, das Fleisch mit der Sünde haben, dass wir der beständigen Wachsamkeit bedürfen, das Gesetz in unseren Gliedern unter dem Tode Christi zu halten, damit es nicht wieder zur Herrschaft kommt, ist in dieser Stelle für den Augenblick ganz beiseite gelassen. Er zeigt einfach die Natur, das Lebensprinzip (Grundsatz) derer, die aus Gott geboren sind: sie können nicht sündigen. Wie in der ganzen Schöpfung jedes Wesen gemäß seiner Natur sich bewegt und tut, so auch der aus Gott Geborene; er „tut nicht Sünde”, es ist gegen seine Natur; er kann nicht sündigen, weil er aus Gott geboren ist. Es ist unnatürlich, zu sündigen; es ist eine Verleugnung seiner Natur. Hieraus folgt nicht, dass wir stets beharrlich nach der Natur wandeln, leider nicht! Aber der Maßstab, die Wahrheit bleibt bestehen. Wenn ein Kind Gottes durch Unwachsamkeit fällt, so verleugnet es sein „aus-Gott-geboren-Sein”. Es erlaubt der alten Natur wieder, zu leben, die in dem Tode Christi ihr Urteil gefunden hat und kein Recht mehr hat, zu leben.
Die Gläubigen werden gewarnt (V. 7) vor Verführern, die in Anmaßung auftreten. Sie sollten auf die Wirkungen und Äußerungen der Natur achten, ob diese aus dem Teufel oder aus Gott waren.
Der Liebe des Vaters gemäß sollen wir Gottes Kinder heißen, und im Kinde muss die Natur des Vaters gesehen werden. Obgleich noch nicht der Tag der Offenbarung der Sohne Gottes gekommen ist, so sind die Kinder Gottes doch jetzt schon offenbar, sie tragen jetzt die Züge ihres Vaters: Gerechtigkeit und Liebe (V. 10). Sie wandeln in Pfaden der Gerechtigkeit und lieben die Brüder.
Dagegen tragen die nicht aus Gott Geborenen die Natur, die sie von dem empfingen, der durch Satan fiel. Diese Natur offenbart sich in Eigenwillen und in Gott-nicht-Unterworfensein. Ein Mensch, dessen Weg durch die Adamsnatur gekennzeichnet ist, zeigt, dass er Gott nicht gesehen noch erkannt hat.
v. d. K.
Anmerkung des Herausgebers
Der Hauptzweck dieser Stelle (V. 1-15) ist der, den großen, unüberbrückbaren Gegensatz festzustellen, der sich zwischen dem Leben aus Gott (Gerechtigkeit und Liebe) und dem Leben aus dem Teufel (Gesetzlosigkeit und Haß) befindet. Der ganze erste Johannesbrief behandelt das Leben, wie wir es im Sohne haben, und wie es praktisch sich äußert in der Gemeinschaft mit dem Vater und dem Sohne (Kap. 1,1-4). In der Zeit, als dieser Brief geschrieben wurde, traten manche Irrlehrer aus, die auf ihre tiefere Erkenntnis pochten; denen gegenüber musste den gefährdeten Kindern Gottes gezeigt werden, was „von Anfang” war (V. 1). Im 3. Kap. nun zeigt der Apostel, was es heißt, ein Kind Gottes zu sein: es schließt in sich, Dem, der von Anfang war (vergl. Ev. Joh. 1) ähnlich zu werden, und das heißt, schon jetzt dem Grundsatz nach Ihm ähnlich sein! Dies beweist sich in dem Leben, das in ihnen wohnt, in der Kraft des Lebens, das sie unauflöslich mit Ihm verbunden hat. Ihnen gegenüber steht die andere Macht, auch in gewissem Sinne „von Anfang” (V. 8): der Teufel, der auch seine Gefolgschaft, seine Kinder hat - Menschen, in denen nicht der Same (das „Wort Gottes”, durch das sie gezeugt sind von oben, vgl. 1. Petr. 1,23) wohnt. Der Unterschied dieser beiden Menschenklassen äußert sich ebenso unzweideutig in dem Gang ihres Lebens wie in seinem Ursprung. Der Ursprung der einen ist der Teufel, der da sündigt von Anfang, und darum ist ihr Lebensgang die Sünde im Sinne von Gesetzlosigkeit (V. 4) oder ein Leben ohne Gott; der Ursprung der anderen ist Gott (in Christo), und darum ist ihr Lebensgang durch Gerechtigkeit gekennzeichnet, die Kraft ihres Lebens ist Gott, sie wollen für Ihn da sein, und sie sind praktisch durch Glauben - wenn auch in Schwachheit - für Ihn da: Gott erkennt die Seinen an, auch die Schwächsten der Seinen, wenn sie nur wirklich Sein sind, d. h. wenn sie aus dem Wort gezeugt, von oben geboren sind. Aus Gott geboren sein heißt Gerechtigkeit tun; ein Kind des Teufels sein heißt Sünde tun. Dieses, d. h. sich in der Sünde betätigen, sein Leben darin haben - ganz abgesehen davon, ob ein Ungläubiger in Einzelfällen oft sündigt oder nicht -, das kann keiner, der aus Gott geboren ist, er kann nicht sündigen in diesem Sinne. Unser grundsätzliches Leben ist Gerechtigkeit, denn Christus ist für uns das Leben (Phil. 1,21), und „Er ist uns gemacht zur Gerechtigkeit” (1. Kor. 1,30), und Er ist auch das Wort (der Same), das in uns bleibt; darum können wir grundsätzlich nicht sündigen. Welch ein Unterschied zwischen uns und denen, die noch als Kinder der Welt und des Teufels dahingehen! Möchten wir diesen grundsätzlichen Gegensatz recht verstehen und dazu dann Kraft und Gnade nehmen und haben, um dieser Stellung gemäß hienieden zu wandeln, indem wir bleiben in Ihm (V. 6)!