Eine jede nach ihrer Sprache

Wie stimmen zusammen 1. Mose 10,5 und 11,1-9, oder sollen die Stellen gar nicht zusammenstimmen, sondern sich gegenüberstehen? Es heißt doch zuerst „... eine jede nach ihrer Sprache ...“, und danach: „... hatte eine Sprache und einerlei Worte“? Wie ist diese Gegenüberstellung zu deuten?

Antwort

In Kapitel 10 wird uns berichtet, welche Geschlechter aus den drei Söhnen Noahs hervorgingen und wie diese Geschlechter sich über die Erde verteilten und ausbreiteten. Letzteres finden wir deutlich in den Versen 5.10-12.18.19.30-32. Überhaupt werden uns in diesem Kapitel diese Geschlechter, die Nachkommen Noahs, bereits als die verschiedenen Nationen in ihren Anfängen vorgeführt (70, vgl. 5. Mose 10,22 und 32,8), und V 25 wird uns gesagt, dass in den Tagen des Peleg (= „Teilung”) „die Erde verteilt” wurde, und V 32, dass „von diesen aus” - den vorher angeführten „Familien der Söhne Noahs” - nach der Flut sich „die Nationen auf der Erde verteilt” haben. Wenn wir dieses ins Auge fassen, erscheint es nicht nur vollkommen am Platze und im Einklange mit dem vor unser Auge Geführten, sondern sogar als die einzige zutreffende Feststellung, wenn in den Versen 5, 20 und 31 - in jedem dieser Verse für jede der drei Nachkommenslinien für sich - die Verschiedenheit in der Sprache, also die Sprachenmehrheit, erwähnt wird.

In Kapitel 11 hingegen werden uns Einzelheiten mitgeteilt, und es wird damit von einem Zeitpunkte ausgegangen, an welchem die „Verteilung der Erde” und die „Verteilung der Nationen auf der Erde” noch nicht stattgefunden hatte, sondern alle noch beisammen waren und noch eine Sprache und einerlei Worte hatten. Dieser Zustand und das, was zur Änderung desselben führte, wird in den Versen 1-9 des 11. Kapitels behandelt. Deshalb beginnt das Kapitel mit der Feststellung: „Und die ganze Erde hatte eine Sprache und einerlei Worte” (V. 1) und wird in V. 6 nochmals festgestellt: „Siehe, sie sind ein Volk und haben alle eine Sprache.” Und in den Versen 2-9 finden wir, warum und wie Jehova diesem Zustande ein Ende machte durch die Verwirrung der Sprache und die Zerstreuung über die ganze Erde (V. 7-9).
Aus Obigem ergibt sich klar, warum in Kapitel 10 von verschiedenen Sprachen die Rede ist und Kapitel 11,1 festgestellt ist, dass die „ganze Erde eine Sprache und einerlei Worte” hatte. Nun noch einige Hinweise.

Wie wir sagten, wird uns in Kapitel 10 ein Gesamtbericht gegeben, alle drei Nachkommenslinien betreffend und alle daraus hervorgegangenen Völker umfassend - daher verschiedene Sprachen, eine Mehrheit von Sprachen -, während uns in Kapitel 11 Einzelheiten berichtet werden. Nun ist es interessant, zu beachten, dass der Geist Gottes dann, nachdem Er in den Versen 1-9 uns die Aufhebung des ursprünglichen Zustandes als ein Volk mit einer Sprache berichtet hat, uns von V. 10 an nicht mehr mit der Gesamtheit von V. 1-9 und auch nicht mit den vielen Völkern von Kapitel 10 beschäftigt, sondern uns eine ganz bestimmte Geschlechtslinie zeigt, die Er sich aus den vielen auserwählt hat und aus welcher dann das Volk hervorging, das Er aus allen Völkern auserwählt hat als Sein Eigentumsvolk. Und wir glauben, dass hierin auch die Fortsetzung und Verwirklichung der Linie „eine Sprache und einerlei Worte” zu erblicken ist. „Ein Volk” und „eine Sprache und einerlei Worte” war Gottes Wille und Gedanke. Da durch den Hochmut des Menschen und sein damit verbundenes Wegwenden von Gott der Mensch in seiner Gesamtheit sich als unpassend erwies zur Verwirklichung des Willens und Gedankens Gottes, nahm Gott sich aus dieser Gesamtheit ein Volk heraus, um durch dieses Volk Seinen Willen und Gedanken zur Ausführung und Verwirklichung zu bringen. In Vollkommenheit wird Gottes Wille und Gedanke erst auf der neuen Erde seine Verwirklichung finden, wo es keine verschiedenen Völker und daher auch keine verschiedenen Sprachen geben wird, weil es keine Sünde und daher auch keine Zertrennung mehr geben wird, die immer nur eine Folge der Sünde ist. Und davon die geistliche Anwendung:

Auch in der Christenheit war es zu Anfang so, dass alle „ein Volk” waren, und dieses hatte „eine Sprache und einerlei Worte” (geistlich), aber es ist geistlich dasselbe geschehen, was einstens sittlich und äußerlich geschah und uns in 1. Mose 11,1-9 berichtet ist, und die Christenheit als großes Ganze ist ein „Babel” - „Verwirrung” - geworden. Gott hat aber eine besondere Linie wie in 1. Mose 11,10ff., Seine Erlösten und Geliebten, die Leben haben und in denen Sein Geist wohnt, Seine Auserwähnten, Sein Volk, das die „eine Sprache und einerlei Worte” - die Sprache Seines lebendigen, ewigen Wortes! - weiter kennt und spricht und in welchem Er Seinen Ratschluß und Seine Gedanken jetzt aufrecht erhält und schließlich zur Ausführung und Verwirklichung und Vollendung bringen wird. Doch wie in der Geschichte des irdischen Volkes Gottes die irdische Stadt und das irdische Reich Babel eine wichtige Rolle gespielt und sich stets als die große Feindin des Volkes Gottes gezeigt hat, genau so ist es in bezug auf das himmlische Volk Gottes und das geistliche „Babel”, das große System der bekennenden Christenheit. Es ist die Bedrückerin und Feindin des Volkes Gottes. So war es in der Vergangenheit und ist es in der Gegenwart, wie wir deutlich erkennen können und erfahren haben, und so wird es in der Zukunft sein, bis der HERR kommt und die Seinen von diesem Schauplatz wegnimmt und Er dann auch mit diesem geistlichen, religiösen „Babel” abrechnen und aufräumen wird (s. Offb. 17 und 18).

Wir sind überzeugt, Gott wird einst dieses alles wieder in Ordnung bringen, und es wird - auf der neuen Erde (Offb. 21,1) und in der Ewigkeit - wieder „eine Sprache und einerlei Worte” sein, zu Seiner Verherrlichung!
Gepriesen sei Er!
Th. K.

Anmerkung des Schriftleiters

Zu dieser überaus klaren Antwort nur noch eine Bemerkung!
Es könnte gefragt werden: Aber warum wird denn das, was in Kapitel 11,1-9 steht, nicht vor Kapitel 10 oder wenigstens vor 10,25 erzählt, da es doch zeitlich vorausgeht? Ginge es im Text auch voraus, so wäre doch kein Irrtum möglich?
Darauf möchte ich antworten: Wir Menschen sind oft sehr darauf aus, die richtige zeitliche Aufeinanderfolge von Ereignissen zu erkunden, gerade als ob von der richtigen chronologischen (zeitlichen) Ordnung die Zuverlässigkeit der ganzen Sachlage abhängig wäre. Dass dem nicht so ist, dafür ist gerade gegenwärtig in den „Handr.” die Auseinandersetzung unseres Mitarbeiters F. Kpp. über die Frage nach den verschiedenen Zeiten in den Ereignissen anläßlich der Auferstehung des HERRN ein Beweis. (Auch z. B. das Buch der Richter [vgl. Antw. A in Frage 8] und das L.ukas-Evangelium sind nicht in streng geschichtlicher Reihenfolge geordnet, sondern nach anderen Gesichtspunkten!) Ja, die Zuverlässigkeit mancher Geschichten hängt oft viel mehr als von genauen Daten von dem Verständnis der inneren Zusammenhänge ab. Wer z. B. sogenannte Evangelien-Harmonien braucht, um von der unbedingten Glaubwürdigkeit der neutestamentlichen Geschichten überzeugt zu werden, der stützt sich auf - an ihrem Platz nicht unwichtige - aber doch nur äußere Dinge und ist vielleicht noch nicht zum Wesen der Sache vorgedrungen. Doch das nur nebenbei!!

So haben wir, was unseren Gegenstand anbetrifft, in Kapitel 10 wohl die Dinge (Verteilung der Bevölkerung und der Sprachen über die Erde), die zeitlich erst nach dem Turmbau von Babel ihren Anfang nahmen, aber wir haben in diesem Kapitel 10 eine ganz nach äußeren, menschlichen Gesichtspunkten geordnete Darstellung dieser ernsten Tatsachen, während in Kapitel 11 uns die inneren Gründe der Zerstreuung, so wie Gott (Jehova) sie ansah, mitgeteilt werden. Das ist doch auch eine ganz naturgemäße Anordnung: erst der äußere natürliche Werdegang, das, was gleichsam der Mensch vor Augen sieht, dann die geistlich-sittliche Seite, wie Gott sieht und handelt! Man denke doch: In dem ganzen Kapitel 10 ist außer betr. Nimrods, was aber nicht direkt mit der Verteilung der Erde zu tun hat, der Name Jehova nicht zu finden, dagegen in 11,1-9 ist, nachdem zuerst das menschlich-moralische Wesen in dem Turmbau und seinem Zweck (V. 4!!) genannt ist, von V. 5-9 Jehova fünfmal genannt (auch bemerkenswert: fünfmal, da 5 in der Schrift die Zahl Christi ist!). Was geschieht von Gottes Seite, ist Gericht, aber ein Gericht noch in Gnade, um Schlimmeres zu verhüten, und in Apg. 2 triumphiert die Gnade, indem die Erlösungsbotschaft von den verschieden-sprachigen Zuhörern in je ihrer Sprache gehört wird: Die Gnade ist nicht an eine menschliche Sprache gebunden und spricht doch ihre eine Sprache!

Ich glaube mit obiger, die vorstehende schöne Antwort nur ergänzenden Bemerkung gezeigt zu haben, dass die Anordnung der Völker- und Sprachentafel (Kapitel 10) vor dem Turmbau zu Babel und seinen Folgen (Kapitel 11) - weit entfernt davon, irreführend zu sein, vielmehr höchst klärend wirkt, indem - wie so oft in göttlichen Dingen - zuerst das Menschlich-Natürliche zu seinem Recht kommt, während danach erst als Hauptpunkt die göttlich-geistliche Seite gezeigt wird, auf deren Verständnis es erst eigentlich ankommt. So einfach - scheinbar - nämlich doch Kapitel 10 verläuft, so tief sind die sittlichen Gründe von Kapitel 11,1-9 für diesen in seiner Auswirkung noch heute fortdauernden völker- und sprachgeschichtlichen Ablauf der menschlichen Entwicklung. Und erst durch die in der Schrift vorliegende, durch göttliche Inspiration („Einhauchung” nach 2. Tim. 3,16) dem Mose aufgetragene Einteilung und Anordnung ist es uns Gläubigen, die wir vermöge der Salbung „alles wissen” (1. Joh. 2,20) und „alles beurteilen” (1. Kor. 2,15), ermöglicht worden, die menschlich-natürliche und und die göttlich-geistliche Seite dieser Sache so klar zu unterscheiden.

Wohlgeläutert ist Dein Wort, und Dein Knecht hat es lieb! Die Summe Deines Wortes ist Wahrheit!” (Ps. 119,140.160)
F. K.


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 15 (1930)