Der wird auch die Werke tun, die Ich tue

Wie ist Joh. 14,12 zu verstehen: „Der wird auch die Werke tun, die Ich tue, und wird größere denn diese tun“? Was für Werke sind damit gemeint?

Antwort A

Die Begründung dieses Ausspruches „denn Ich gehe zum Vater” kann uns wohl auf die Spur helfen (vergl. Joh. 20,17). Solange Jesus als der Sohn Gottes in Knechtsgestalt war, hat Er Sich Selbst entäußert (Phil. 2,6-8). Er hatte ein bestimmtes Werk zu vollenden, aber darüber hinaus ging Er nicht (vergl. Mt. 15,24; 10,6). Sein Arbeitsgebiet wie auch Seine Arbeit war vom Vater genau begrenzt, darüber hinaus konnte Jesus nichts tun und tat auch nichts ohne bestimmte Weisung von oben. Das Weizenkorn konnte erst nach dem Ersterben Frucht bringen, und vorher blieb es allein (Joh. 12,23.24). Somit waren dem HERRN Werke, wie sie nach Pfingsten geschahen, in Massenbekehrungen und Bekehrungen unter allen nichtjüdischen Völkern versagt. Dem Glaubenden hat Er aber zugesagt, dass ihm alle Dinge möglich sein (Mk. 9,23; 11,23.24) und Ströme lebendigen Wassers von seinem Leibe fließen werden (Joh. 7,38).

Der Herr Jesus sagt damit durchaus nicht, dass ein Gläubiger über Ihm stehe und mehr sei als Er; dagegen spricht Mt. 10,24.25; Lk. 6,40; Joh. 13,16; 15,20; Mt. 28,18 und viele Stellen mehr; im Gegenteil, Seine Jünger konnten damals manches nicht, was Jesus konnte (z. B. den mondsüchtigen Sohn gesund machen, Mt. 17,19.20), um ihres Unglaubens willen; sie konnten auch nicht mit Ihm in der Stunde der Finsternis wachen und beten (Mt. 26,40-45) noch mit Ihm leiden (Mt. 26,56; Mk. 14,66-72). Es fehlte ihnen der Glaube noch und der Heilige Geist (Joh. 7,39). So konnte der Herr Jesus Seinen Jüngern noch nicht einmal alles sagen, was Er ihnen sagen wollte, sie konnten es nicht ertragen (Joh. 16,12), der Heilige Geist musste es tun.

Somit sind die Werke, welche der Heilige Geist nach der Ausgießung des Heiligen Geistes in und durch die Gläubigen wirkt und tut, in mancher Hinsicht größer, weil sie nicht mehr örtlich begrenzt sind und weil der Heilige Geist die Vollendung der Gemeinde Christi auszuführen hat, nachdem das volle Heil durch Jesu Tod und Auferstehung bestätigt war. Jesus hat Tausende gelehrt und wunderbar gespeist, aber in seiner 3½jährigen Tätigkeit nur einige schwache Jünger gehabt, die in schwerer Anfechtung nicht standhielten. Am großen Pfingstfest zu Jerusalem aber bekehrten sich auf eine Predigt 3000 Seelen, und der Apostel Paulus hat eine Menge heidenchristliche Gemeinden gegründet, deren Mitglieder den Raub ihrer Güter mit Freuden erduldet haben und ihr Leben nicht geliebt haben bis in den Tod. Solche Werke waren Jesu, dem Sohn Gottes, im Stande Seiner Erniedrigung versagt.
F. Th. H.

Anmerkung des Schriftleiters

Die Schwierigkeiten dieser Stelle kommen wohl daher, weil entweder der genaue Wortlaut oder der Zusammenhang der ganzen Stelle (wie schon Antwort A, die einzige eingegangene, besagt) nicht genügend beachtet wird.

Was den ersteren betrifft, so darf man nicht herauslesen: „größere Werke als Ich”, sondern „größere als diese”. Der HERR tut doch sowieso alle Werke, auch die, welche als Vermittler Seiner Macht hienieden wir jetzt ausüben dürfen wie vordem Seine Apostel; getrennt von ihm könnten wir nichts tun (Joh. 15,5)! Ohne Seinen Geist wären wir unfähig, auch nur etwas zu tun, was Wert in Seinen Augen hätte; die besten Fleischeswerke sind wertlos für Gott; wie sollten wir auch „nur” solche, wie Er sie tat, geschweige denn „größere als diese” tun können, wenn nicht in Seiner Kraft! (Phil. 4,13!) Aber das sagt Er uns: „größere als diese”. Nun zeigt sich auch im täglichen Leben die wahre Größe etwa einer Sache nicht zuerst in ihrem äußeren Umfang und dem Aufsehen, das sie im ersten Augenblick erregt, sondern in der Bedeutung, die sie in sich trägt und die sich vielleicht erst später geltend macht, dann aber in einem zuerst kaum geahnten Umfange. Und in diesem Sinne sind die Werke, welche die Seinen in Fortführung Seines angefangenen Werkes hienieden tun durften und dürfen, größer als die Werke, die Er (wie obige Antwort sagt) in Seinen auf Israel beschränkten Grenzen zu tun hatte. Was für ein gewaltiges Werk z. B. war das der Gründung der Gemeinde am Pfingsttage - die Gewaltigkeit aber zeigt sich vor allem in ihrer Ausdehnung, zuerst Israel betr. - vergleichbar den Werken, die Er tat und die die Seinen auch tun sollen! -, aber weitergehend bis in unser Jahrhundert und unser Land und bis an die Enden der Erde, während zugleich die Bedeutung der Gemeinde weit über den Erdkreis hinausreicht (vergl. z. B. Eph. 3,8-10!) und die Ewigkeit mit umfaßt. - Zu den „größeren Werken” gehört z. B. auch Apg. 5,12ff. und 8,26-40 sowie die Taten von Apg. 16, aber nicht minder die ernsten Taten in Apg. 5,1-11 und 1. Kor. 5! Durch ihre Bedeutung werden dieselben so groß. Unter diesem Gesichtspunkt gesehen, wird uns noch manches apostolisches Werk, aber auch manches der späteren Zeit, als ein „größeres Werk” denn die, so der HERR hienieden tat, anmuten, denken wir nur an die zuerst so schwach und armselig scheinenden, aber so unendliche Zukunftsbedeutung in sich bergenden Anfangsunternehmungen der neuzeitlichen Heidenmissionen!

Das zweite, was das Verständnis dieser Stelle so erschwert, ist die Außerachtlassung des Zusammenhangs, worauf Antwort A ja schon eingeht. Es handelt sich um das, was die Seinen tun würden und könnten, wenn Er nach Erringung des Sieges von Golgatha zum Vater gegangen sein würde. Dann wollte Er ihre Gebete in Seinem Namen - ein Beten, das erst möglich war nach Seinem Weggang und „größe” ist als das „Vaterunser”, so schön dies an seinem Platze auch ist - erhören; dann wollte Er ihnen „den Geist der Wahrheit” senden, von dem z. B. Joh. 16,7-14 handelt und der sie zu Zeugen Christi machen würde (Joh. 15,26.27; Apg. 1,8 u. a.). Dann, erst dann - aber dann auch bestimmt sind sie, und wir Gläubigen von heute auch, befähigt, „größere Werke als diese” zutun, ja, Werke zu Seiner bleibenden Ehre und in Seinem kostbaren Namen. Wie wuderbar ist dieses! Welcher Herrlichkeit sind wir doch gewürdigt! Er gebe uns Gnade in und zu Seinem Ewigkeitsdienst! (2. Kor. 9,8; Eph. 2,10!)


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 8 (1921/22)