Das Tausendjährige Reich - Micha 4,5

Wenn sich Micha 4,5 auf das Tausendjährige Reich bezieht, wie kann es dann von den Völkern heißen, dass „jedes im Namen seines Gottes wandeln wird“?

Antwort

Das erste, was zur Klärung der Frage getan werden kann, ist wohl, dass außer der Elberfelder andere Übersetzungen zu Rate gezogen werden. Wir sehen die Lutherische nach. Ältere Ausgaben haben wie die Elberfelder die Zukunftsform „jedes Volk wird wandeln ... wir werden wandeln”. Neuere, im Auftrage der Deutschen Evangelischen Kirchen-Konferenz durchgesehene, haben die Gegenwartsform „wandelt, wandeln”. Das wäre einfach, spräche von der Zeit der Propheten. Fremdsprachige Übersetzungen sind ebenfalls unter sich verschieden. Von vier voneinander unabhängigen französischen Übersetzungen sagen zwei „wird wandeln ... werden wandeln”; zwei „ein jedes Volk wandelt ... wir werden wandeln”. Das wäre ein Ausweg, weil das erste Satzglied sich so nicht auf das Reich zu beziehen brauchte, auf welches das zweite Satzglied offenbar hinweist, weil dabei steht „für immer und ewig”. Die englische Bibel hat „wird wandeln ... werden wandeln” und weist auf Jer. 2,11 und Sach 10,12 hin, welche Stellen man nachschlagen wolle.

Von den mannigfachen Erklärungen der Stelle seien zwei hergesetzt. Delitsch‘ Prachtbibel, Leipzig 1862: „Diese Worte sind verschieden aufgefaßt worden, indem man den ersten Satz entweder tadelnd (während die Heiden ihren Götzen dienen, dient Israel dem wahren Gott) oder anerkennend genommen hat (während die Heiden ihren „Göttern”, d. h. den von Gott über sie gesetzten Engeln oder Geisterfürsten, dienen und über diesem Dienste der Geschöpfe des Schöpfers vergessen, dient das Bundesvolk dem einigen, wahren Gott allein und unmittelbar).” Ist diese Erklärung annehmbar?

Scofields englische Referenz Bible: „Buchstäblich: Alle Völker wandeln jetzt in dem Namen ihres Gottes, werden aber für immer in dem Namen Jehovas unseres Gottes wandeln.” - Das lässt sich hören. Aber

wenn wir uns zum hebräischen Text wenden, so stimmt das nicht. „Jetzt” steht nicht drin; das „wir”, das Scofield wegläßt, steht aber drin. Es sei auch gleich festgestellt, dass die Form des Zeitworts „wandeln” für die Völker und für Israel dieselbe ist, so dass von Rechts wegen nicht in dem einen Falle die Gegenwartsform und in dem anderen die Zukunftsform gebraucht werden darf.
Aufschluß können wir nur im hebräischen Text finden.

1. Der ganze Abschnitt Kap. 4,1-8 untersteht dem Eingangswort: „Und es wird geschehen am Ende der Tage.” Wie vor Jahren in einer Antwort erwähnt, ist dies eine feststehende Formel des Alten Testaments, um den Endabschnitt des Verlaufs der Geschichte Israels zu bezeichnen; zum erstenmal gebraucht im Segen Jakobs. Absichtlich ist damit keine genaue Abgrenzung festgelegt; es ist „der hintere Teil” der Tage. Vieles hat darin Platz: die Tage der Propheten, die Tage des Messias in seinem ersten und zweiten Kommen und die erste Zeit des Reiches. Durch letzteren Hinweis ist angedeutet, dass das Reich da sein kann, ohne dass Jehova, der Gott Israels, schon von allen Völkern gekannt ist.

2. Der Hebräer denkt und spricht nicht in unserem Sinne nach Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, sondern einfach nach dem Begriff: entweder ist eine Sache, ein Geschehen, eine Handlung zum Abschluß gekommen oder sie ist noch im Fluß des Geschehens. Er kann dabei sowohl an Zurückliegendes wie an Vorliegendes wie an in noch ferner Zeit Liegendes denken. Die Gliederung, die wir durch drei Vergangenheitsformen, eine Gegenwartsform und zwei Zukunftsformen in die Darstellung bringen, bewirkt er durch abwechslungsweisen Gebrauch seiner beiden Begriffe. Vers 1 z. B.: der Prophet macht durch prophetische Schau die Feststellung: „Es ist geworden im hinteren Teil der Tage”. Nun wechselt er mit dem Begriff und gibt eine Schilderung von dem, was er als geworden einführen will: „Der Berg Jehovas ist ein festgestellter auf dem Haupt der Berge, und ein erhabenerer als die Hügel ist er.” Ob und wie lange das dauert, kommt nicht in Frage. Denn schon steht etwas weiteres vor ihm, das er durch erneuten Wechsel des Begriffs als Gewordenes, Abgeschlossenes aufzeigt: „geströmt zu ihm sind viele Völker, gegangen sind mächtige Nationen, und haben gesagt: ...” Ehe er fortfährt, wechselt er wieder den Begriff und schildert, weil doch wiedergegeben werden soll, was sie unter sich sagten, ehe das Strömen, Gehen verwirklicht worden war: „Kommt, und wir steigen hinan ... er belehrt uns ... und wir wandeln ... von Zion geht aus.” So geht es abwechslungsweis weiter.

3. Zu Vers 4 gelangt, finden wir an dessen Ende das Vorangegangene begründet durch die Feststellung, und das unter dem Begriff von etwas Abgeschlossenem: „der Mund Jehovas hat geredet”. Das nie Dagewesene, überwältigend Große, dass die Völker und Nationen, die bisher von Israel als Jehova nicht kennende gesehen worden waren, Ihn nun doch suchen und kennenlernen, lässt im fünften Verse den Propheten als Vertreter des Jehova fürchtenden Teiles Israels Veranlassung nehmen, das bisherige gegenseitige Verhältnis festzustellen. Es ist ihm noch zu neu, zu unfaßlich. Daher das begründende „Denn”, das immer die Bedeutung hat: „zugrunde liegt”. Es könnte auch mit „freilich” wiedergegeben werden. „Freilich wandeln und werden noch wandeln alle Völker, ein jedes im Namen seines Gottes; wir aber wandeln und werden wandeln im Namen Jehovas unseres Gottes für immer und ewig.” Er hat nämlich schon wieder den Begriff gewechselt, spricht nicht als von etwas zum Abschluß Gekommenen, sondern schildert. „Wie lange.” Bis wann? Hört's einmal auf in bezug auf die Völker? Das kommt gar nicht in Frage, für das treue Israel gibt es kein Aufhören; das sagt der Nachsatz. Und dass es für die Völker und Nationen eine Änderung gibt, hat er ja bereits gesagt. Vergleiche mit seinen Worten in Vers 2 Sach. 8,20-23! Wenn wir noch an andere Worte der Schrift denken, etwa an „die Erde wird voll sein der Erkenntnis Jehovas, wie die Wasser den Meeresgrund bedecken”; „Er wird der Gott der ganzen Erde genannt werden”; „Mir wird jedes Knie sich beugen”; „es essen und fallen nieder alle Fetten der Erde; vor Ihm werden sich beugen alle, die in den Staub hinabfahren ...” (Ps. 22,29), und vorher Vers 27: „Es werden eingedenk werden und zu Jehova umkehren alle Enden der Erde; und vor Dir werden niederfallen alle Geschlechter der Nationen”, so steht es vollends außer Zweifel, dass die Völker nicht mehr ein jedes seinen eigenen Gott haben und demselben nachwandeln werden. Darum ist die einzig mögliche Erklärung die: so wie es zur Zeit des Propheten eine vorhandene Tatsache war, so wie sie weiterhin da war und da sein wird, so wird es in der Übergangszeit zum Reich und noch nach Beginn der Königsherrschaft Christi Völker ohne wahre Gotteskenntnis geben. Auf welchen Zeitpunkt ist übrigens der Beginn der Königsherrschaft Christi oder Gottes festzusetzen? In Off. 19 steht, dass er sie angetreten hat vor der Hochzeit des Lammes, vor seinem Auszug aus dem Himmel, um gegen die versammelten Nationen zu Felde zu ziehen. Und nach diesem, wenn das gesammelte Volk schon in Sicherheit im Lande wohnt, existiert noch der Gog von Hes. 38 und 39 im äußersten Norden als gegen Palästina heranziehender Feind. Und Jes. 66,19 offenbart uns: „Und Ich werde ein Wunderzeichen an ihnen tun, und werde von ihnen Entronnene an die Nationen senden, nach Tarsis, Pul und Lud, die den Bogen spannen, nach Tubal und Jawan, nach den fernen Inseln, die von Mir nicht gehört und Meine Herrlichkeit nicht gesehen haben; und sie werden Meine Herrlichkeit unter den Nationen verkündigen.” Bleibt da nicht Zeit und Raum genug, dass es so sein kann, wie vorgetragen? Sein kann und sein wird „im hinteren Teil der Tage”? Denn wenn alles in diesem vierten und in dem folgenden fünften Kapitel auf Zukünftiges hin geht, so ist es nicht angängig, den Ausspruch vom Wandeln der Völker aus der Zeitfolge herauszunehmen, um ihn nur auf die Zeit des Propheten Bezug haben zu lassen. Es ist sehr schön z. B., wie Prof. Dr. Menge übersetzt: „Denn alle Völker wandeln, ein jedes in dem Namen seines Gottes, so wollen denn wir wandeln in dem Namen des HERRN, unseres Gottes, immer und ewiglich.” Aber entspricht das dem Zusammenhang? Ist für den Leser damit der Stein des Anstoßes aus dem Wege geräumt, der ihn dadurch in Verlegenheit bringt, dass von den Völkern unerwartet das Gegenteil gesagt wird von dem, was er soeben über sie vernahm? Und auch schließt das folgende „an jenem Tage” gleich wieder die Zukunft an.

Es muss dabei bleiben; die Zukunft ist von der Zeit des Propheten nicht zu trennen. Das Ausgesagte ist als in der Gegenwart und in der Zukunft andauernd zu werten; nur ob und wenn für die Völker eine Änderung eintritt, ist hier außer Betracht zu lassen. Man fühlt es ja: „wir” ist ihm das zu Unterstreichende.
Sollte jemand stutzig werden an dem „alle Völker”, weil er es nicht vereinbar hält mit der Verbreitung der Kenntnis Gottes in allen fünf Erdteilen heutzutage, so bedenke er, dass es viele, viele Völkerschaften gibt und bis zum Wiederkommen des HERRN geben wird, die in den unerforschten Gebieten aller Erdteile leben. Ferner: Nach der Entrückung der Gemeinde und des Mit-ihr-weggehens des Heiligen Geistes von der Erde, wo Satan freie Bahn haben wird, die Menschen zu allem möglichen zu verführen, wird Götzen- und Teufelsdienst Trumpf sein bei der Gesamtheit der Menschenkinder; ausgenommen werden nur sein der Überrest aus den Juden und den zehn Stämmen und Gewisse aus den Nationen. Siehe Jes. 8,19-22; 60,2a; Off. 9,20; Mt. 25,31-46.

Dies in Betracht gezogen, wird gesagt werden dürfen: die Zukunftsform „wird wandeln ... werden wandeln” ist der Gegenwartsform vorzuziehen, um dem wahren Sinn des Ausspruchs gerecht zu werden; und: es genügt nicht, ein gewiegter Philologe (Sprachenkundiger) zu sein, um die Bibel zu übersetzen, sondern es gehört daneben eine gründliche Kenntnis der Gedanken und des Ratschlusses Gottes dazu!
F. Kpp.


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 19 (1934)