Antwort
Die vorstehende Frage ist eine durchaus gerechtfertigte. Handelt es sich doch um ein Schreiben des HERRN, des vollkommenen Dieners Gottes, dessen Tun stets tieferen Sinn und Bedeutung haben muß.
Der Mittelpunkt in dem angeführten Abschnitt ist der HERR, und um Ihn ist eine Anzahl Menschen geschart, einmal eine Gruppe, die Schriftgelehrten und Pharisäer, und sodann ein Weib, eine Ehebrecherin, welche von ihnen in Seine Gegenwart gebracht wird, und zwar gewaltsam, also gegen ihren Willen. Einen ähnlichen Fall haben wir in Lk. 5,17, woselbst in bezug auf die dort anwesenden Pharisäer und Gesetzlehrer gesagt wird:
„Und des HERRN Kraft war da, um sie zu heilen.”
Dies muss auch die Grundlage sein zum Verständnis für unser zu besprechendes Wort. Des HERRN Kraft war stets da, um alle zu heilen. Auch für die Pharisäer und Schriftgelehrten war diese Kraft ausreichend, wie sie auch heute noch ausreichend ist. Hätten jene nur gewollt und wollten heute nur alle!
Die genannte Gruppe von Menschen hatte ein gewisses Beurteilungsvermögen über „gut” und „böse”. Ihr Fehler war dabei nur, dass sie bei ihrer Beurteilung einen falschen Maßstab anlegten, demgemäß das Endresultat falsch werden mußte. - Beweis: Richtig war, dass Mose in bezug auf den Ehebruch vom „Steinigen” gesprochen hatte, d. h. diese Sünde sollte den Tod nach Sich ziehen. Dies stand in der Schrift, und sie, die Schriftgelehrten, wußten davon. Es stand aber noch mehr in der Schrift, das doch natürlicherweise von den Schriftgelehrten auch gewußt werden mußte. So steht beispielsweise in Hes. 18,4 geschrieben:
„Siehe, alle Seelen sind Mein; wie die Seele des Vaters, so auch die Seele des Sohnes: sie sind Mein; die Seele, welche sündigt, die soll sterben.”
Das heißt: Gott erhebt auf alle Anspruch, auf den Vater und auf den Sohn, und die Seele, welche sündigt, die soll sterben. Demgemäß sollen nicht nur die Ehebrecher sterben, sondern alle Sünder sollten sterben. Die Schriftgelehrten hatten nun bei ihrer Beurteilung wohl die erste Schriftstelle vom Moses herangezogen, nicht aber die zweite vom Hesekiel, weshalb ihre Beurteilung eine falsche werden mußte.
Was tut nun der HERR? - Seine Art zu antworten und die Taktik in Seinem Benehmen ist stets überwältigend und zum Anbeten; so auch hier.
Er antwortet ihnen nicht!
Doch Er antwortet ihnen! - Seine Antwort ist eine solche ohne Worte. Sein Angesicht von ihnen abwendend, bückte Er Sich nieder und schrieb mit dem Finger auf die Erde. Durchaus mit Recht dürfen wir uns fragen: „Was mag wohl hier der Herr Jesus auf die Erde geschrieben haben?” Der Antwort auf diese Frage werden wir näher kommen, wenn wir uns der Tatsache erinnern, dass das ganze Reden, Schweigen und Handeln des HERRN mit der Schrift im Einklang stand.
Lesen wir nun eine Schriftstelle im Propheten Jeremia im 17. Kapitel, im 13. Verse:
„Und die von Mir weichen, werden in die Erde geschrieben werden; denn sie haben den Born lebendigen Wassers, Jehova, verlassen.”
Sie waren ja Schriftgelehrte und mußten als solche auch diese dritte Schriftstelle kennen. Jedenfalls waren sie aber in der inneren Verfassung, Ihn, den Born lebenden Wassers - in dessen Nähe sie gerade waren - zu verlassen. Dieserhalb wollte der HERR durch Sein Schreiben auf die Erde, in liebevoller Weise, sie mahnend und warnend an die Folgen solchen Handelns erinnern.
Eine Schrift in die Erde ist eine Schrift, die bald verwischt oder verweht wird, also wertlos ist, und steht im Gegensatz zu der Schrift, wie wir sie etwa in Lk. 10,20; Phil. 4,3; Off. 3,5 und Off. 13,8 angegeben finden. Die Erdenschriften und die Erdenbücher sind wertlos und stehen im Gegensatz zu der Schrift in dem Lebensbuch des Lammes oder zu den Sonderschriften wie in Maleachi 3,16, woselbst von einem göttlichen Gedenkbuch die Rede ist, in welchem die Namen einzelner besonders notiert und einschrieben waren.
Was machen nun die Pharisäer und Schriftgelehrten? Sie verstehen diese zarte und doch deutliche Sprache nicht und fahren fort, Ihn zu fragen. Daraufhin richtet sich der HERR auf und spricht nunmehr zu ihnen, und dies klar und deutlich:
„Wer von euch ohne Sünde ist, werfe zuerst den Stein auf sie!”
Das sollte heißen: „Es ist recht, was Mose sagte, wer ist aber zum Steinigen zuständig? Denn nach Hesekiel haben doch alle Sünder den Tod verdient.” - In zarter Rücksichtnahme und auch wohl im heiligen Ernst bückt sich darauf der HERR zum zweiten Male und schrieb wieder auf die Erde. Damit will Er sie nochmals warnen und wieder an Jer. 17,13 erinnern, jedenfalls ihnen nochmals Zeit zum Überlegen geben. Vergeblich! - Einer nach dem anderen ging hinaus, sie verschwanden, sie verließen Ihn, den Born lebendigen Wassers! -
In ihrer offensichtlichen Verlegenheit vergaßen sie das zu Anfang mitgebrachte Weib mitzunehmen. - Sie, das Weib, war nun frei, ihre Ankläger waren weg. Da der HERR immer noch zur Erde schaut, hatte sie die denkbar beste Gelegenheit, nunmehr auch zu verschwinden. Nein, das tut sie nich, sie bleibt. - Welch ein Augenblick, eine Sünderin, eine Ehebrecherin in Seiner heiligen Nähe! - Gewaltsam wurde sie zu Ihm geschleppt, freiwillig bleibt sie da, und in der weiteren kurzen, aber feierlichen Begebenheit kommt sie hin zum Born lebendigen Wassers, und damit war auch ihr Name in den Himmeln angeschrieben.
Schriftgelehrte und Erdenschrift, Ehebrecherin und Himmelsschrift, welch ein Unterschied!
W. W.
„Freuet euch, dass eure Namen in den Himmeln angeschrieben sind! Lk. 10,20b.