Das Meer gab die Toten, die in ihm waren

Was bedeutet in Offenb. 20,13: „Das Meer gab die Toten, die in ihm waren; und der Tod und der Hades gaben die Toten, die in ihnen waren“; d. h. besonders der Tod?

Antwort

Die Frage würde wohl besser so formuliert werden: „Warum wird nicht einfach nur der Tod genannt, weil das allumfassend und genügend wäre; warum noch der Hades? und warum, wenn nun doch einmal mehr als der Tod genannt werden soll, nicht in erster Linie die Erde, da in ihrem Schoße nach unserem Dafürhalten mehr Menschen begraben sind, als im Meer ertrunken?

Hierauf ist zu sagen: Die Schwierigkeit entsteht dadurch, dass die in den Versen 11-15 mitgeteilten Einzelheiten als zeitlich aufeinanderfolgend gelesen werden. So ist es aber nicht, sondern wie folgt: Die Verse 11 und 12 führen summarisch die Gerichtsverhandlung vor: den Thron, den Richter, die Delinquenten. Vers 13 ist nicht eine Fortsetzung, sondern eine Einführung von interessierenden Nebenumständen. Vers 14 ist der summarische Abschluß der Gerichtsverhandlung; Vers 15 wiederum ein erläuternder Umstand dazu, bedingt durch den zweimal getanen Ausspruch: „Die Toten wurden gerichtet nach ihren Werken” und durch die Nennung des „Buches des Lebens”.

Es sei darauf hingewiesen, dass sich in der Schrift durchgängig der Grundsatz findet: Eine Darlegung, kurz oder lang, wird bis zu ihrem Schlußpunkt vorgeführt; hernach wird auf Einzelnes oder Erläuterndes zurückgegriffen. So geben z. B. die ersten Verse von Kapitel 21 die andere, glückliche Seite des ewigen Zustandes; das Folgende von V. 9 an geht wieder zurück auf das himmlische Jerusalem des Tausendjahrreiches. Oder: In Kap. 11,15-18 geht die Darlegung bis zu dem, was unser Kap. 20,13 enthält, und dann geht Kap. 11,19 bis Kap. 20,10 auf vorher Geschehendes zurück (Kap. 11,18: „... ist gekommen ... die Zeit der Toten, um gerichtet zu werden” = Kap. 20,13: „... die Toten ... wurden gerichtet ...”).

Es würde wohl nicht als Fälschung des Textes angesehen werden können, wenn des Verständnisses halber übersetzt würde: „Auch das Meer hatte die Toten in ihm gegeben; und der Tod und der Hades hatten die Toten in ihnen gegeben.” In V. 11 steht ja, dass die Toten schon stehen vor dem Thron, indem die Erde, also mit ihr das Meer, entflieht oder entflohen ist.

Dass beim Hergeben der Toten die Erde nicht genannt ist, scheint auf Selbstverständlichkeit zu beruhen und erinnert an die Worte des HERRN in Joh. 5,28: „Alle, die in den Gräbern sind ...”: keine Andeutung auf Tote im Meere oder durch Feuer verzehrte, was beides auf Gerettete und Verlorene zutrifft; auch sonst nichts diesbezügliches in der Schrift; und doch wird Sein Machtwort beide Kategorien erreichen, so gut wie die „in den Gräbern”.

Das Meer gab seine Toten” steht für sich da; etliche Übersetzer bezeichnen das durch einen dahinter gesetzten Strichpunkt. Es würde einfach bedeuten: das geheimnisvollste, unbekannteste Gebiet der materiellen Welt gibt die Toten heraus. Dass das Meer in bezug auf das Hergeben der Toten nicht auf ein und dieselbe Linie mit Tod und Hades zu setzen ist, ergibt sich daraus, dass nachher, wenn von Tod und Hades gesagt wird, sie würden in den Feuersee geworfen, das Meer nicht dabei genannt wird.

Bleibt als Kernpunkt bezüglich des Hergebens der Toten der Tod und der Hades. Es ist nicht angebracht, in der Frage dem Tod eine Vorzugsstellung zu geben. Tod und Hades sind einander entsprechende Zustände, personifiziert in denen, die sich in dem einen und zugleich in dem anderen befinden. „Tod” ist der Zustand, der sich auf den Leib bezieht, den die Seele verlassen hat. Scheol (hebräisch) oder Hades (griechisch) hat Bezug auf die Seele als ihrer Behausung, des Leibes entbehrend. Der Begriff ist überaus unbestimmt und könnte am besten erklärt werden durch: unsichtbarer Bereich der abgeschiedenen Seelen. Es ist kein abgegrenzter Ort, sondern ein Zustand; daher bezeichnet der Ausdruck auch die in diesem Zustand sich Befindenden: Off. 6,8; Jes. 14,91-11. - Off. 6,8 zeigt deutlich, wie der Tod durch die Lande zieht, d. h. einfach, wie es weiter heißt, dass die Leiber durchs Schwert, durch Hunger, durch Tod = Pest in Hes. 14,21 und durch wilde Tiere zu Leichnamen werden; es folgt mit der Hades, d. h. so viele umgekommen sind, sind, nun leiblos, der Seele nach in den Bereich der Unsichtbarkeit übergegangen. V. 15 in Jes. 14 erklärt die Verfänglichkeit, Scheol oder Hades als umgrenzte Örtlichkeit zu betrachten: die Verbindung mit Grube oder Grab, in die der Leib kommt, gibt Anlass dazu.

Durch seine Verführungskunst hat der Satan den Zustand „Tod” in die Welt hereingebracht; er hat dessen Macht (Hebr. 2,14). Dieser Zustand ist der letzte Feind, der weggetan werden wird (1. Kor. 15,26). Nach dem schon Ausgeführten wird der nebenher laufende andere Zustand „Hades” eben damit auch weggetan, hört auf zu existieren. Insofern der Hades automatisch aufhört zu bestehen, wenn der Tod nicht mehr ist, könnte dem Tod eigentlich zuerkannt werden, dass er den Vorantritt habe in der Aufzählung.

Der HERR, der „tot ward und lebendig ist”, hat nun die Schlüssel des Todes und des Hades, d. h. hat die Gewalt, diese Zustände aufzuheben, aus ihnen herauszuführen (Off. 1,18). Nachdem Satan in den Feuersee geworfen ist, säumt der HERR nicht, es dadurch abschließend zu tun (wie Er es anfänglich schon tausend Jahre vorher an den Gläubigen und für sie getan hatte), dass Er die Letzten, die noch darin sind, zur Wiedervereinigung von Leib und Seele daraus herausruft. Wie natürlich schließt sich hieran an: sie geben die Aufgerufenen heraus und hören also damit auf zu existieren, anders, als nur noch in diesen Unglücklichen, die in den Feuersee geworfen werden und in ihrem früheren Zustande jene (Tod und Hades) darstellten, so dass es so ausgedrückt wird: die Zustände selber werden in den Feuersee geworfen. Es ist die Analogie (Ähnlichkeit) von dem über Off. 6,8 und Jes. 14,15 Gesagten: der Ausdruck bezeichnet auch die in dem betreffenden Zustand Befindlichen.

Ein ernster, geistreicher und gläubiger Ausleger gibt, unter Vorbehalt, in längeren Ausführungen der Vermutung Ausdruck, dass das Meer identisch sein könnte mit dem „Abgrund”, von dem mehrmals in der Schrift die Rede ist, in den Satan gebunden geworfen wird (Off. 20,3), in den die Dämonen nicht fahren wollten (Lk.8,31); oder dass der Abgrund mit dem Meer verschlossen sein könnte. Ferner, dass die Dämonen, die nach Hesiod „die Geister von Menschen aus dem goldenen Zeitalter sind”, möglicherweise die Geister derjenigen seien, die die Erde vor dem Verderben, das im zweiten Verse der Bibel beschrieben wird, im Fleische bewohnten und die zur Zeit jener großen Zerstörung von Gott entkörpert und noch in der Macht des Führers belassen wurden, in dessen Sünde sie willigten und dessen Schicksal sie zuletzt teilen sollen. Er führt die Schwierigkeit des Verstehens von Off. 20,13 an, die dadurch entstehe, dass nichts davon gehört werde, dass die Erde ihre weit zahlreicheren Toten hergebe, wohl aber, dass das Meer geheimnisvoll mit dem Tod und der Totenwelt zusammengebracht und in einer Liste von Orten aufgeführt werde, die nicht mit den Überresten materieller Gestalten, sondern mit entkörperten Geistern angefüllt seien. Wenn aber das Meer das Gefängnis der Dämonen sei, so könnten wir verstehen, warum es das erste ist, was seine Toten hergibt. Ein jeder werde in seiner eigenen Ordnung gerichtet werden, und darum hatten diese voradamitischen Wesen einen schreckensvollen Vorrang vor den Gefangenen des Todes und des Hades, deren zahllose Zellen vielleicht ausschließlich mit Verbrechern unserer jetzigen Welt angefüllt seien.

Das wäre eine außerordentlich interessante Lösung, wenn nicht entgegenstünde: a) dass Tod und Hades eben nicht aus zahllosen Zellen bestehende Örtlichkeiten sind; b) dass der Verfasser nicht bemerkt, dass V. 13 keine Fortsetzung, sondern die Einführung interessierender Nebenumstände ist, und c) dass nach dem Wortlaut der Schrift (1. Kor. 15,45) Adam der erste Mensch war; also abgewiesen werden muß, dass in die Katastrophe, deren Ergebnis 1. Mo. 1,2 war, Menschen oder Wesen wie wir verwickelt waren, so plausibel und bestechend die hier nicht näher aufgeführten Ausführungen des Verfassers auch sind. Auch das wäre noch zu erwähnen, daß, wenn das Meer den Abgrund, das Gefängnis verschlösse, es dann nicht heißen würde: die Toten, die in ihm, dem Meere, sondern „die unter ihm” sind.
F. Kpp.

Anmerkung

Die Ausführungen des vorletzten Absatzes, dessen wirklich sehr geistvoller, gläubiger Verfasser, G. H. P. (der z. B. viel Wichtiges und vielleicht Unübertreffliches über den Ursprung des Spiritismus und dessen furchtbare Bedeutung und über viele andere Dinge geschrieben hat), auch mir nicht unbekannt ist, habe ich nur deshalb aufgenommen, weil diese Philosophie - wie ich sie nicht anders nennen kann - nachher durch den Verfasser obiger Antwort kräftig widerlegt wird. Aus Lk. 8,31 zu folgern, dass die Dämonen „möglicherweise” die Geister derjenigen seien, welche die Erde vor dem Verderben von 1. Mo. 1,2 im Fleische bewohnten - 1. Kor. 15,39 etwa „Fleisch der Geister”?! - ist m. E. eine abgeschmackte, weil biblisch völlig unmögliche Anschauung. Man möchte sich wundern, wie jener begabte Schreiber zu solchen Schriftwidrigkeiten kommt. - Aber m. E. muss er dazu kommen! Er verfällt jain einen schweren Fehler: Er will die heidnischen Vorstellungen von Göttern und Dämonen, wie sie die von ihm ausgiebig zitierten heidnischen Philosophen Plato und der Dichter Hesiod (vgl. oben ein Wort!) bringen, als der biblischen Lehre von Dämonen etwa in ähnlicher Weise analog (entsprechend) gelten lassen, wie die philosophisch-theologische „vergleichende Religionswissenschaft” von heute die sogenannten „Wahrheitsmomente” der verschiedenen heidnischen und christlichen „Religionen” dem biblischen Christentum als sozusagen ebenbürtig an die Seite stellt - d.h. ohne bedenken zu wollen, dass letzteres einzigartig, weil göttlich geoffenbart ist. Wie anders verfährt der die heidnischen Lehren wie kaum ein anderer kennende, so hoch gebildete Paulus! (Vgl. z. B. 1. Kor. 8 u. 10,19-21! [worüber übrigens der Verfasser an anderer Stelle - den Spiritismus betreffend - auch sehr klar schreibt].) Welche Offenbarungen gibt uns Gott durch den Apostel, welche auch schon vorher der HERR Selbst, über die geheimnisvolle Dämonenwelt! Müssen wir da auf weltliche, heidnische Schriftsteller zurückgreifen, um für die Lehren der Schrift Analogien und Grundlagen zu finden oder um die Offenbarungen Gottes damit zu stützen? Das führt sicher zu nichts Gutem. - Man verweise jetzt nicht auf Stellen wie die schon genannte von 1. Kor. 10,19-21, denn gerade in dieser Stelle korrigiert und durchstreicht Paulus ja die heidnischen Anschauungen geradezu durch die ihm gegebenen Offenbarungen. Und wenn man die Stelle Apg. 17,23 u. 28 anführt, so vergesse man nicht, dass Paulus dort zu Unbekehrten spricht und darum anknüpft an das ihnen Bekannte, also an das vorhandene (wie die Schrift es so oft tut); aber nicht etwa sieht er die heidnischen Vorstellungen, in denen er, der Kenner göttlicher Geheimnisse, Reste der Uroffenbarung Gottes findet, als Grundlage für seine Offenbarung der Wahrheit an. Anknüpfungspunkte bei Heiden zu suchen heißt für Paulus, „allen alles zu werden, um etliche zu gewinnen” (1. Kor. 9,22), nicht aber nimmt er diese Dinge als Stützen für die ihm anvertraute Offenbarung. Deren bedarf das Evangelium wahrlich nicht! Deren bedürfen auch wir Schriftgläubige nicht!
Somit kann ich in von jenem gelehrten Verfasser angeführten Mutmaßungen nur Philosophie sehen, vor der zu warnen ich für meine Pflicht halte und über deren klare, wenn auch kurze Widerlegung in der obigen Antwort ich mich sehr freue und mancher Leser hoffentlich mit mir.

Sehet zu, dass nicht jemand sei, der euch als Beute wegführe durch die Philosophie und eitlen Betrug, nach den Überlieferungen der Menschen, nach den Elementen der Welt, und nicht nach Christo!” (Kol. 2,8.)
(Der Schriftl. F. K.)


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 10 (1925)