Antwort A
Das kleine Horn in Daniel 7 und des in Daniel 8 werden zwei verschiedene Persönlichkeiten sein. Um über beide Verständnis zu erlangen, ist es nötig, kurz auf den Inhalt von Kap. 7 und 8 einzugehen.
In Kap. 7-12 erzählt der Prophet die vier Gesichte, die er gesehen hat, während er bis zum 6. Kap. die Träume der babylonischen Könige und deren Zeitgeschichte mitteilt.
In Kap. 7 beschreibt der Prophet das erste Gesicht über die vier Tiere, die aus dem Meere heraufsteigen und die dem Traum Nebukadnezars in Kap. 2 entsprechen. Daniel sieht wie Nebukadnezar vier Weltreiche: das babylonische, das medopersische, das griechische und das römische Reich. Diese vier Universalreiche werden die Menschheitsgeschichte ausfüllen, bis der Messias kommt (Dan. 7,27). Das vierte Tier, das das römische Reich versinnbildlicht, ist schrecklich, furchtbar und sehr stark und war verschieden von allen Tieren. Das römische Reich wird am Ende der Tage wieder erstehen und in furchtbarer Weise die Welt beherrschen. In den Ereignissen der gegenwärtigen Zeit müssen wir einen Übergang auf diese Endzeit des römischen Reiches erkennen.
Das vierte Tier hatte zehn Hörner. Das römische Reich wird in seiner letzten Epoche zehn Königreiche hervorbringen, von denen drei durch einen anderen nach ihnen aufstehenden König erniedrigt werden. Dieser König ist das kleine Horn in Kap. 7,8. Er wird Worte reden gegen den Höchsten und die Heiligen der höchsten Örter vernichten; und „er wird darauf sinnen, Zeiten und Gesetz zu ändern”. Aber seine Herrschaft wird durch den Sohn des Menschen weggenommen werden. Jener König entspricht dem Tier in Offenbarung 13,1, das aus dem Meere aufsteigt. Es hat zehn Hörner und sieben Köpfe. Er ist der letzte Großkönig des römischen Reiches, das Haupt der Weltmacht am Ende der Zeit, die letzte Macht des Bösen, die ohne Zweifel mit dem Antichristen, dem zweiten Tiere in Offenbarung 13, Vers 11, das aus der Erde aufsteigt, in Verbindung sein wird.
Das Gesicht im achten Kapitel gibt in den zwei Bildern vom Widder und Ziegenbock eine nähere Beschreibung der zweiten und dritten Weltmacht von Kap. 7, die hier mit einem Pardel und einem Bären verglichen wird. Der Widder mit seinen zwei Hörnern ist ein Bild des medopersischen Reiches, während der Ziegenbock, der vom Westen her mit großer Schnelligkeit über die ganze Erde kommt, das griechische Reich versinnbildlicht. Der Ziegenbock hatte ein großes Horn (Vers 8), das bald zerbrach und an dessen Stelle vier ansehnliche Hörner wuchsen. Alexander der Große starb in jungen Jahren, und in seine Herrschaft teilten sich hauptsächlich vier seiner ehemaligen Feldherren. Aus einem dieser vier Hörner kam nun ein kleines Horn hervor, das ausnehmend groß wurde gegen Süden, Osten und die Zierde (Palästina). „Und es wurde groß bis zum Heere des Himmels, und es warf von dem Heere und von den Sternen zur Erde nieder und zertrat sie” (Vers 10). Aus dieser Schilderung geht nun klar hervor, dass es nicht das kleine Horn des vierten Reiches ist - nicht der letzte König des römischen Reiches -, vielmehr ein hervorragender Nachfolger Alexanders des Großen, des Hauptes des dritten Weltreiches. Allgemein nehmen die Ausleger des Propheten Daniel an, dass die Prophezeiung dieses kleinen Hornes seine vorläufige Erfüllung in Antiochus IV Epiphanes, einem Nachfolger des Seleucus, gefunden hat. Er wird „ein König sein frechen Angesichts und der Ränke kundig” (Vers 23). Er schafft das Opfer ab und handelt nach Gutdünken; aber er wird „ohne Menschenhand zerschmettert werden - er wird ein plötzliches Ende nehmen”. Das Buch der Makkabäer erzählt uns von den furchtbaren Gerichten, die durch diesen König über die Juden kamen. Er war aber nur ein Vorläufer eines Königs, der am Ende der Weltzeit für die Juden große Gerichte und Heimsuchungen mit sich bringen wird. Er ist der „König des Nordens” oder der Assyrer (Dan. 11 und Jes. 10).
Unterschieden von diesen beiden Persönlichkeiten - dem Repräsentanten des römischen Reiches und dem König des Nordens - ist der Antichrist, der am Ende der Tage aus den Juden hervorgehen wird. Wir finden, wie schon oben angegeben, seine Beschreibung in Offenbarung 13,11-18; es ist das Tier, das aus der Erde aufsteigen wird (siehe auch Dan. 11,36-39!).
C. S.
Antwort B
Man könnte auf den ersten Augenblick wohl der Meinung sein, dass das kleine Horn von Daniel 8 dasselbe wie von Daniel 7 sei, doch ist dies bei tieferem Forschen ausgeschlossen. Das kleine Horn in Kap. 7 wird uns in Verbindung mit dem römischen Weltreich gezeigt, und zwar in seiner zukünftigen Gestalt (vergl. Dan. 7,7-11 mit Off. 18,1-8; 17,12-14; 19,20). Hingegen das kleine Horn in Kap. 8 in Verbindung mit dem griechischen oder mazedonischen Weltreich bezw. mit dessen Ausläufern (vergl. Dan. 8,8-12.21-26). Das erste Horn befindet sich imWesten: Europa; das zweite im Osten: Asien. Wir möchten gleich vorausschicken, dass bei den zwei Hörnern (das sind machtvolle politische, zum Teil auch religiöse Persönlichkeiten) keineswegs der Antichrist inFrage kommt, der bekanntlich in Daniel, Kap. 11,36-39 zum ersten Male genannt wird und unter „dem König” zu verstehen ist. Den Grund, warum der Antichrist oder falsche Messias nicht so häufig erwähnt wird, glauben wir darin zu sehen, weil Daniel vorwiegend das Werden, die sittlichen, religiösen Zustände und das Ende der vier Weltreiche uns vorstellt und ihre Beziehungen und ihr Verhalten dem auserwählten Volke (Juden) gegenüber. Die vier Weltreiche sowie auch das Reich des Nordens (Assyrien) und das Reich des Südens (Ägypten) waren mehr oder weniger die äußeren Feinde der Juden und werden es zum Teil (das römischs Weltreich, das Reich des Nordens und das des Südens) in der Zukunft wieder sein. Diedrei letztgenannten Reiche werden, ja müssen, nach dem Worte Gottes wieder erstehen und, wie es den Anschein hat, in größerem (wenn auch nicht direkt geographisch, so doch politisch) und mächtigerem Umfange als vordem. In den letzten Kapiteln Daniels beschäftigt sich der Geist Gottes mit dem religiösen Zustand der Juden sowie mit dem Glauben des Überrestes dieses Volkes und stellt inÜbereinstimmung mit dem Aufrollen des inneren Zustandes dieses Volkes und des treuen Überrestes auch den inneren Feind der Gläubigen, den Antichristen, denfalschen König, dar. Der falsche Messias muss zweifellos ein Jude sein, und zwar von königlichem Geschlechte (vergl. Dan. 11,37), der aber alles, was seine Väter (Juden) geglaubt und gehofft haben, über Bord wirft, indem er sich zum Messias erhebt. - Unter dem kleinen Horn in Kap. 7 verstehen wir das Haupt des wieder erwachenden römischen Weltreiches. Das kleine Horn, der zukünftige römische Kaiser, erhebt sich, wiees scheint, aus ganz unscheinbaren Anfängen (wie einst Napoleon) zum Beherrscher des Tieres. Der „Kaiser” vertritt, ja verkörpert das Tier. Was für eine Ausgeburt der Tiefe und der Finsternis (vergl. Off. 13,2b; 17,8) muss das Haupt dieses Reiches sein! Der Geist Gottes kann sich bei der Beschreibung des Charakters dieses Reiches nicht einmal eines Tieres aus der Raubtierwelt bedienen, wie er es bei den ersten drei Tieren mit einigen Hinzufügungen getan hat, sondern gebraucht Worte, die dahin gedeutet werden können, dass es seinesgleichen nie gegeben hat noch geben wird (vergl. Dan. 7,7b.23). Ein Ungeheuer von einem Raubtier, ein Weltreich, dessen Schrecklichkeit, Furchtbarkeit, Grausamkeit und Gottlosigkeit alles, was die Geschichte der Reiche und sogar dieser gegenwärtigen furchtbaren Zeit weit hinter sich läßt. Das ist der Ausblick, den uns die Heilige Schrift gibt; ein grauenhafterer Fernblick könnte uns gar nicht gewährt werden. Doch wir Gläubigen blicken nicht nur über diese heutige „böse Zeit” mit ihren Bergen von Sorgen, sondern auch über die heute noch zukünftigen schauerlichen Ereignisse hinauf und hinan zu Ihm, der da thront über den gewaltigen Wogen des ausgewählten Völkermeeres (Ps. 93,2-4) und dessen Licht und Liebe bald diese Erde erfüllen wird mit Seinem Glanze und Seiner Herrlichkeit. Harren wir auf Ihn, der uns jetzt schon mit Seinem Lichte und Seiner Liebe erfüllt, bis wir Ihn sehen von Angesicht zu Angesicht bei Seinem Kommen!
K. O. St.