Darf ein Christ Gelübde ablegen?

Darf ein Christ Gelübde, etwa ein solches, nicht zu rauchen, ablegen? Wie hat sich ein Christ, der ganz auf neutestamentlichem Boden stehen will, gegenüber früher in Unwissenheit abgelegten Gelübden zu verhalten (z. B. zum Konfirmationsgelübde; vergl. Ps. 15,4 und Pred. 5,1-5). Gibt es Worte, die ihn von solchen Gelübden entbinden? - Und was bedeutet für uns das Nasiräergelübde nach 4. Mose 6? (vergl. zu der ganzen Frage z. B. 5. Mose 23,21-23; 1. Sam. 1,11 und Apg. 21,23ff. usw.).

Antwort

Die Frage, ob ein Christ dies oder jenes tun darf oder nicht - besser, ob die fragliche Sache dem Wesen und der Stellung und Berufung eines Christen entspricht und unserem Gott und Vater wohlgefällt oder nicht -, können wir nur auf Grund des Neuen Testamentes beantworten. Nur da finden wir das Christentum, „das Bild der Lehre, welchem wir übergeben worden sind”. Deshalb wendet sich vor allem unser Auge dorthin, und wir fragen: Finden wir diese Sache im Neuen Testament? Was sagt dasselbe darüber? So ist es auch mit der Frage betreffs der „Gelübde”. Und das Ergebnis ist, dass wir Gelübde nur zweimal in der Apostelgeschichte erwähnt finden (18,18; 21,23), im übrigen aber diese Sache dem Neuen Testament völlig fremd ist. Letzteres allein genügt, um zu zeigen, dass Gelübde nicht zum Christentum gehören, weil alles, was zum Christentum gehört, im Neuen Testament reichlich betont wird. Und das Nichtdazugehören verstehen wir ohne weiteres, wenn wir das wahre Wesen des „Gelübdes” ins Auge fassen, nämlich, dass es die Übernahme einer Verpflichtung Gott gegenüber ist, an deren Erfüllung der Gelobende gebunden ist, dass also der Gelobende sich damit ein Gesetz auflegt. Das zeigt uns am besten das Alte Testament, wo soviel von Gelübden geredet ist. Dort finden wir, dass das Gesetz Gelübde nicht forderte - es war eine freiwillige Sache -, dass es aber genaue Bestimmungen über die Gelübde enthielt, an die der Gelobende gebunden war (3. Mose 27; 4. Mose 6; 29,39; 5. Mose 12,11.17.26), und dass es die genaue und pünktliche Erfüllung der Gelübde forderte, da sonst Sünde an dem Gelobenden sein werde (4. Mose 30,1-17; 5. Mose 23,21-23). Deshalb lesen wir auch vielfach vom Bezahlen der Gelübde (Hiob 22,27; Ps. 22,25; 50,14; 61,8; 66,13; 76,11; 116,14; Pred. 5,4; Jona 2,10; Neh. 1,15b) und die Ermahnung, nicht leichtsinnig zu geloben, sondern lieber nicht zu geloben, als zu geloben und nicht zu bezahlen (5. Mose 23,22; Spr. 20,25; Pred. 5,5). Das Ganze zeigt uns, dass das Gelübde einen völlig gesetzlichen Charakter trägt. Es ist der natürliche Mensch, der etwas tun oder Gott etwas darbringen will in menschlicher Energie, der immer ein Gesetz braucht, aber nicht der Geist Gottes, der nie auf diesem Wege Sein Ziel mit uns zu erreichen sucht, sondern bemüht ist, Christus uns größer zu machen, unsere Augen mehr für Seine Herrlichkeit zu öffnen, damit wir „mit aufgedecktem Angesicht Seine Herrlichkeit anschauen und verwandelt werden nach demselben Bilde von Herrlichkeit zu Herrlichkeit, als durch den HERRN, den Geist” (2. Kor. 3,18). Das ist der Weg, auf dem der Heilige Geist uns zu wirklicher Heiligung führt, uns wirklich freimacht.

Aber, sagt ein anderer, wenn ich nun aus Dank gegen Gott ein Gelübde tue, einen gewissen Geldbetrag oder Gegenstand oder vielleicht fortlaufend einen gewissen Teil meines Einkommens für das Werk des HERRN zu geben, oder dergleichen - ist ein solches Gelübde nicht richtig? Nein! denn das Wesen der Sache bleibt dasselbe. Wenn dein Herz bewegt ist, ein solches Opfer des Dankes zu bringen, ist das gut; aber warum nun ein Gelübde und dir dadurch ein Gesetz auferlegt, um deinem Vorsatz treu zu bleiben? Ist es nicht viel besser, auch hierin auf den HERRN zu blicken im Bewußtsein unserer Schwachheit, aber im Vertrauen auf Seine Kraft, auf Seine Gnade und Treue? Dann wirst du genau so treu das tun, was du dir vorgesetzt hast - durch Seine Gnade-, und es bleibt eine freiwillige Sache deines Herzens, „nicht als aus Zwang”. Ist es nicht so? (S. 2. Kor. 8,1-15; 9,1-11.)

Wie verhält es sich denn dann mit den Gelübden in Apg. 18,18 und 21,23.24?<Über letztere Stelle vergl. „Handr.” Jahrb. 4, Frage 28. (F. K., Schriftl.)> - Diese beiden Stellen ändern keineswegs etwas an dem Vorhergesagten. In der Apostelgeschichte wird uns die erste Zeit der Versammlung Christi und damit gleichsam der Übergang von der jüdischen zur christlichen Haushaltung gezeigt. Wir sagen Übergang, weil nicht sofort der ganze Unterschied so klar zutage trat, wie er sich später, nach Offenbarung der ganzen christlichen Wahrheit bildete, und dies hatte seinen Grund eben darin, dass diese Wahrheit nicht gleich von Anfang an in ihrer ganzen Fülle geoffenbart war, sondern erst nach und nach geoffenbart wurde. So kam es, dass die Gläubigen anfänglich täglich im Tempel verharrten (2,46), Petrus erst durch ein besonderes Gesicht von Gott belehrt werden mußte, dass er die Satzung, die einem Juden verbot, Umgang und Gemeinschaft mit einem Nichtjuden zu haben, durchbrechen musste und keinen Menschen gemein oder unrein heißen sollte (10,9-16.28) und selbst zu der Zeit des Kap. 21 noch die Gläubigen aus den Juden zu Jerusalem „Eiferer für das Gesetz” waren und an den jüdischen Gebräuchen hingen und festhielten. Solche Gläubige aus den Juden waren auch die vier Männer in Kap. 21,23, so dass es leicht zu verstehen ist, wenn sie ein Gelübde auf sich hatten. Wie es kam, dass auch Paulus, der die Unterschiede so klar kannte und die Wahrheit so treu vertrat, ein Gelübde hatte (18,18) und sich bei seinem letzten Besuch in Jerusalem dem Verlangen des Jakobus und der Ältesten im Jerusalem fügte (21,20-26), wissen wir nicht und mag hier unerörtert bleiben, aber was für unsere Frage von Bedeutung ist, ist dies: Auch Paulus war ein Jude und handelte in dieser Sache als solcher nach dem Gesetz, Letzteres ist in V. 24 wörtlich hervorgehoben: „... und alle werden erkennen, dass ... du selbst auch in der Beobachtung des Gesetzes wandelst”. Wir sehen also, dass es sich bei diesen Gelübden um eine rein jüdische Sache, nach dem Gesetz, handelte, die die Gläubigen aus den Nationen gar nicht betraf. Dies wird in V. 25 ausdrücklich festgestellt: „Was aber die Gläubigen aus den Nationen betrifft, so haben wir geschrieben und verfügt, dass sie nichts dergleichen halten sollten ...” Das genügt wohl vollständig zur Klarstellung dieses Punktes.

Das Wort in Ps. 15,4: „hat er zum Schaden geschworen, so ändert er es nicht”, zeigt die gottwohlgefällige Lauterkeit, Wahrheits- und Gerechtigkeitsliebe, Geradheit und Treue dieses Herzens; er bleibt bei seinem Schwur, der Wahrheit gemäß, auch wenn er dadurch Schaden erleidet! Möchten wir und alle Kinder Gottes stets in dieser Lauterkeit und Treue vorangehen! Auf Gelübde beziehen sich diese Worte nicht. Was die in Unwissenheit abgelegten Gelübde betrifft, so wäre wohl auch ohne ein besonderes Schriftwort die Lösung der Schwierigkeit einfach. Kann es je Gottes Wille sein, dass eins Seiner Kinder in etwas Falschem bleibt? Wenn es sich um offenbare Sünde handelte, würde jeder sagen: Nein. Jeder würde zugeben, dass selbst ein Eid niemand vor Gott berechtigen und verpflichten würde, in Sünde zu verharren, sondern dass es das einzig Richtige sein würde, von der Sünde abzustehen, auch wenn der Eid dadurch gebrochen wird (vgl. Mk. 6,26! D. Schriftl.). Wieso aber sollte es anders sein, wenn es sich um irgend etwas anderes, Falsches handelt? Alles, was mit dem Worte Gottes nicht im Einklang ist, ist falsch; Gott will aber, dass wir in Seinem Lichte seien und wandeln und dass wir uns reinigen von allem, was nicht in Seinem Lichte bestehen kann. Lesen wir hierzu einmal 2. Kor. 6,14-18, wo es unter anderem heißt: „Welche Genossenschaft hat Gerechtigkeit und Gesetzlosigkeit? oder welche Gemeinschaft Licht mit Finsternis? und welche Übereinstimmung Christus mit Belial? oder welches Teil ein Gläubiger mit einem Ungläubigen? und welchen Zusammenhang der Tempel Gottes mit Götzenbildern?” (V. 14b-16a), und V. 17: „Darum gehet aus aus ihrer Mitte und sondert euch ab, spricht der HERR, und rühret Unreines nicht an” usw., und 2. Tim. 2,19b: „Jeder, der den Namen des HERRN nennt, stehe ab von der Ungerechtigkeit”. Sollte das nicht für jedes Kind Gottes gelten, auch für solche, die sich durch ein in Unwissenheit abgelegtes Gelübde an ungöttliche Dinge gebunden fühlen? Sollte ein solches Gelübde trotzdem Geltung behalten und ein Kind Gottes vor Gott berechtigen und verpflichten, mit ungöttlichen Dingen verbunden zu bleiben? Nein! Solche Gelübde verlieren ihre Gültigkeit für ein Kind Gottes von dem Augenblick an, wo es göttliches Licht über diese Dinge bekommt. Dazu noch ein alttestamentliches Bild aus 4. Mose 30. Als prophetisches Bild bezieht sich dieses Kapitel wohl auf den Herrn Jesus und Sein irdisches Volk Israel, worauf einzugehen wir wegen Mangel an Raum hier unterlassen müssen, aber zunächst hatte es für das Volk Israel eine sehr praktische Bedeutung, indem es die Fälle regelte, in denen ein Weib von einem Gelübde oder Verbindnis befreit werden konnte. Das Weib ist hier ein Bild der Schwachheit, wie oft im Worte Gottes. Sie war sich der Bedeutung der Sache nicht bewußt, aber ihr Vater bezw. ihr Ehemann hatte das notwendige Verständnis und richtige Urteil darüber und durfte das Gelübde oder Verbindnis aufheben, wenn er es hörte bezw. davon Kenntnis erlangte und es ihm nicht gut erschien. Solange der Vater, oder der Ehemann, nichts davon wußte, galt das Gelübde oder Verbindnis als in Unwissenheit getan; aber der Augenblick, wo er davon Kenntnis erhielt, hob diesen Zustand auf - nun war über die Sache die richtige Erkenntnis vorhanden, und so konnte und musste das Gelübde oder Verbindnis aufgehoben werden, wenn die Sache in den Augen des Vaters bezw. des Ehemannes nicht gut war. Genau so ist es auch mit dem Kinde Gottes, das in Unwissenheit ein Gelübde getan hat und später göttliches Licht darüber empfängt und nun erst die Sache richtig zu beurteilen vermag. Also kein Kind Gottes soll sich durch irgendein „Gelübde”, das in Unwissenheit getan worden ist, weiter gebunden fühlen, nachdem es durch die Gnade Gottes erkannt hat, dass die Sache nicht nach Seinem Worte und Seinen Gedanken ist (wie z. B. die schriftwidrige sogenannte „Konfirmation”!).

Nun zum Schluß noch einiges über das Nasirgelübde nach 4. Mose 6 und die geistliche Bedeutung der Gelübde im Alten Testament überhaupt. Das erste und kostbarste ist, dass das Nasirgelübde und alle anderen im Alten Testament uns vorgeführten Gelübde in der Person des Herrn Jesus und durch Ihn ihre göttlich vollkommene Erfüllung gefunden haben. Er nahm in wunderbarer Gnade alle Gelübde und Verbindnisse, alles, was der Mensch Gott schuldete, auf Sich und bezahlte alles, als Er hienieden war (s. Ps. 22,25), und Er war der wahre Nasir Gottes. Er tat und war dies aber nicht in äußerlicher Form, sondern geistlich. Die äußeren Formen sind alle ein Beweis der menschlichen Unvollkommenheit; der HERR bedurfte ihrer nicht. Er brauchte keine Gelübde zu tun und hat keine getan (und wir brauchen auch keine zu tun, obwohl wir noch in unserer Unvollkommenheit hier sind, weil wir neue Menschen in Christo sind und Sein Geist in uns wohnt); Er brauchte nicht die äußeren Zeichen und Beobachtungen des Nasirtums - wir wissen, dass Er z. B. Wein getrunken hat (Mt. 11,19) -, aber Er war in göttlicher Vollkommenheit Gott geweiht und für Gott abgesondert. Und auch wir sollen den geistlichen Sinn dieser Dinge erkennen und verwirklichen. Auch unser Leben soll ein gottgeweihtes sein in wahrer Absonderung für Ihn - wahre Nachahmer des HERRN durch Seine Gnade!

Auf einen in den Gelübden zum Ausdruck kommenden, noch nicht erwähnten Zug möchte ich im Blick auf das eben Gesagte an Hand der im Alten Testament uns gezeigten direkten Beispiele von Gelübden noch hinweisen. Wir finden in 1. Mose 28,20-22 das Gelübde von Jakob, in 4. Mose 21,1.2 ein Gelübde des Volkes Israel, in Richter 11,30.31 das Gelübde von Jephtha (vergl. Jahrb. 2, Frage 23! F. K.) und in 1. Sam. 1,11 das Gelübde der Hanna. Jedes von diesen hat seine eigenen Züge, und vieles ließe sich über sie sagen, was wir uns aber hier versagen müssen. Es gibt aber auch gemeinsame Züge, und einer davon ist der, dass bei allen das, was gelobt wurde, für den Gelobenden ein Opfer war und dass dieses Opfer ein Ausdruck des Dankes sein sollte für das, was der Gelobende von Gott erhoffte oder erflehte. Es war also ein Dankopfer. Dieser Charakter des Gelübdes tritt uns auch an anderen Stellen, besonders in den Psalmen, entgegen und sollte auch unser Leben praktisch mehr kennzeichnen. Der HERR schenke uns auch hierzu Gnade!
Th. K.


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 10 (1925)