Darf die Gemeinde Sünder dem Satan überliefern?

Darf die Gemeinde auf Grund der Stelle 1. Kor. 5,5 offenbare Sünder dem Satan überliefern?

Antwort A

Was sagt Gottes Wort über diesen Gegenstand? Außer der in der Frage genannten Schriftstelle lesen wir von der gleichen Sache in 1. Tim. 1,20: „... unter welchen Hymenäus ist und Alexander, die ich dem Satan überliefert habe, auf dass sie durch Zucht unterwiesen würden, nicht zu lästern.” Kein anderer Apostel als Paulus schreibt von solchem „dem Satan Überliefern”, und nirgends finden wir eine Anweisung an die Gläubigen, bezw. an die Gemeinde oder an irgend eine Versammlung, dass sie in der bezeichneten Weise Zucht üben solle, auch in 1. Kor. 5,3-5 nicht. Dort sagt der Apostel: „Denn ich ... habe schon als gegenwärtig geurteilt, den, der dieses also verübt hat, ... dem Satan zu überliefern ...”, nur stellt er hier die Ausübung dieser ihm als Apostel zustehenden Gewalt als dem Geiste nach in der Gegenwart der Versammlung zu Korinth und in Gemeinschaft mit ihr geschehen dar, weil es sich um einen Fall handelte, in welchem diese Versammlung hätte handeln sollen; er macht sich dieserhalb in der Sache eins mit ihr. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass er - nicht die Versammlung - diese besondere Zucht über den Schuldigen verhängt; den Korinthern aber sagt er: „Tut den Bösen von euch selbst hinaus.” (V. 13.)

Das war die Zucht, welche sie auszuüben hatten. Die Macht, einen Menschen „dem Satan zu überliefern” zur Züchtigung (die jedenfalls in einer Krankheit des Leibes bestand, s. auch Hiob 2,6.7), war eine vom HERRN dem Apostel Paulus (nicht der Gemeinde) verliehene besondere Gewalt, die sich offenbar nicht hierauf beschränkte und die er auch an anderer Stelle erwähnt (s. 1. Kor. 4,21; 2. Kor. 10,8; 13,10).

Gewiß soll die Gemeinde auch Zucht üben, wenn ein Fall vorliegt, der solche erfordert. Auch hierfür enthält Gottes Wort die genaueren Anweisungen, wenn wir sie nur verstehen, und gerade 1. Kor. 5 enthält ein Beispiel und die bestimmte Weisung für die an einem Orte zusammenkommenden Gläubigen als Gesamtheit, wie sie mit einem „,Bösen” handeln sollen. Andere, ebenfalls zu diesem Gegenstand gehörende, aber mehr für das persönliche Verhalten des Einzelnen gegebene Anweisungen haben wir in Mt. 18,15-18; Röm. 16,17; 2. Thess. 3,6-15; Tit. 3,10.11. Wie gesegnet würde es sein, wenn die hierin uns gegebenen göttlichen Anweisungen von uns allen mehr verstanden und sorgfältiger beachtet würden! Dann würde der innere Zustand mancher „Versammlung” ein besserer und das Zeugnis der Welt gegenüber ein wirksameres sein und dem Schuldigen gewiß in manchem Falle geholfen werden, in welchem letzteres eben dadurch verhindert wird, dass andere in ihrem Verhalten dem Schuldigen gegenüber sich nicht nach den klaren und bestimmten Weisungen des Wortes Gottes richten. Der HERR wolle Gnade schenken, dass wir auch hierin gehorsamer und treuer werden!
Th. K.

Antwort B

Jede Schriftstelle muss im Zusammenhang betrachtet werden. Es handelt sich hier um einen Mann, der nicht im Augenblick der Unwachsamkeit, vom Feinde übermannt, fiel, sondern der in der Sünde verharrte und lebte. Wie ernst ist es doch: so tief kann ein Kind Gottes fallen! in eine Sünde, die selbst das Natürliche abstreift! Und wie verhielt sich die Gemeinde diesem gegenüber? Über allem Neid und Streit in ihrer Mitte und in ihrem Aufgeblasensein hatten sie das Bewußtsein ihrer Verantwortlichkeit verloren und vergessen, dass sie Gottes Versammlung waren und der Heilige Geist in ihnen wohnte. Der Apostel klagt, dass sie nicht einmal Leid getragen hätten, um einen solchen aus ihrer Mitte zu entfernen. (V. 2.)

Zwar abwesend, aber in der Treue zu seinem HERRN, tritt er auf und ruft die Gemeinde zusammen. Er beschließt, in der Stunde, wenn sie und er (im Geiste) versammelt sind, den Betreffenden „dem Satan zu übergeben usw.” (V. 5.) Es ist seine Handlung (die er aber nicht ohne die versammelte Gemeinde tun will) und ohne Zweifel eine apostolische Handlung nach der Macht, die der HERR ihm, aber nicht uns, gegeben.

An diesen Fall anknüpfend folgen nun Belehrungen, die von höchster Wichtigkeit, aber in unseren Tagen leider fast vergessen sind. Es ist köstlich zu sehen, wie er sie belehrt. Er führt sie hinauf auf die Höhe, was sie in ihrer Verbindung mit Christo sind: „ihr seid ungesäuert”! Wie konnte dann Sauerteig in ihrer Mitte sein! Mußte ein solches Wort nicht die Scham hervorrufen? Sie, die sich für klug hielten (3,18; 4,10), fragt er: „Wisset ihr nicht, dass ein wenig Sauerteig die ganze Masse durchsäuert?” Sie waren ungesäuert, denn „Christus, unser Passah, ist geschlachtet”. Von der Stunde an, wenn das Passah geschlachtet war, durfte in der Mitte des Volkes Gottes kein Sauerteig gefunden werden. Konnten Passah und Sauerteig zusammen sein? Wer mit Sauerteig in Verbindung stand, „es isset”, dessen Seele sollte ausgerottet werden (2. Mo. 12,15.19). Israels Passah ist nur ein Schatten von „unserem Passah, Christus”. Wenn Gott schon bei dem Schalten ein solches Hinaustun forderte, wievielmehr bei unserem Passah! Waren sie nicht Gottes Gemeinde, wie Israel Gottes Volk war? Wie konnten sie dann Sauerteig in ihrer Mitte dulden?! Das Volk Israel musste in Übereinstimmung mit dem Passah sein, und wir müssen in Übereinstimmung mit unserem Passah sein. Wir können nicht Festfeier halten mit dem Sauerteig in unserer Mitte, es wäre eine Verleugnung des Passah - eine Verleugnung des Todes Christi - ein Vereinen von Passah und Sauerteig, auf welches Gott den Fluch gelegt hat. Entspricht die Gemeinde dieser ihrer Verantwortlichkeit nicht, so gibt sie ihren Charakter als Gottes Gemeinde, in deren Mitte Christus ist, der mit Sauerteig nicht verbunden sein kann, auf.

Der Heilige Geist sagt der Gemeinde und allen, die an jedem Orte den Namen des Herrn Jesu anrufen (1.Kor. 1,2): „Tuet den Bösen von euch selbst - aus eurer Mitte - hinaus” (5,2 und 13). Es ist nicht das Hinaustun eines von einem Fehltritt Übereilten oder eines im Augenblick der Unwachsamkeit gefallenen (für alle diese Fälle gibt uns das Wort Anweisungen), sondern das Hinaustun des „Bösen”, der diesen Charakter eines „Bösen” durch das Verharren und Leben in der Sünde trägt. Zucht ist eine ungemein schmerzliche Sache, die nur unter Leidtragen und Demütigung der Versammlung geschieht. Da gibt es keine Rücksichtnahme. David wollte von Absalom das Gericht abwenden, aber Gott handelte über David hinweg, und auch David musste ernten, was er säte. Sind wir nicht treu, der HERR ist treu, Er kann Sich nicht verleugnen noch in Seinem Charakter verändern.

Der Apostel konnte dem Satan überliefern zum Verderben des Fleisches usw., wir haben hinauszutun, weil wir den Namen des HERRN anrufen und diesen nicht mit geduldeter Sünde in unserer Mitte verbinden können. Wenn wir treu sind, so wird das in Vers 2 Gesagte stattfinden: wir werden leidtragen und, wenn alle Bemühungen der Liebe und des Zurechthelfens vergeblich sind, den Bösen hinaustun. Es ist ein Akt der Treue gegen den HERRN und Seinen Namen, der im Bewußtsein der eigenen Schwachheit und des eigenen Fehlens in der Furcht des HERRN geschieht. Es ist nicht ein dem Satan Überliefern zum Verderben, sondern vielmehr ein Hinaustun aus der Mitte und ein Niederlegen der ganzen Sache vor den HERRN, dass Er jetzt weiter mit einem solchen handle, nachdem alle Bemühungen des Zurechtbringens von unserer Seite vergeblich waren. Es ist möglich, dass in solchen Fällen der HERR dem Satan Raum gibt, einen solchen anzutasten. Es ist furchtbar, in Satans Hand um der Sünde willen zu kommen; es ist etwas anderes, wenn man um der Bewahrung willen Satans Faust fühlt (2. Kor. 12,7-9)!

Als Gott David dreierlei vorlegte (2. Sam. 24,12-14), da wünschte er die Züchtigung durch „Jehovas Hand” zu empfangen, und er flehte: „In die Hand der Menschen lass mich nicht fallen”, aber in Satans Hand zu fallen und unter der Züchtigung durch Satan lernen zu müssen ist eine schmerzliche Schule. Hier in der Fleischessünde (1. Kor. 5) wurde dem Mörder und Verderber Raum gegeben, das Fleisch zu verderben. In einem anderen Falle wurden einige dem Satan preisgegeben, um durch Zucht unterwiesen zu werden, nicht zu lästern (1. Tim. 1,20): Gottes Zucht durch Satans Hand vermag in ihrer Furchtbarkeit und Pein, auch Lästerzungen stumm zu machen und Lasterleben aufhören zu lassen. Möchten wir uns von Seinen Augen leiten lassen, dass Er nicht genötigt sei, uns Zaum und Zügel anzulegen (Ps. 32,8.9), dass wir nicht gerettet werden „wie durch Feuer”, „sondern vollen Lohn empfangen” (1. Kor. 3,15; 2. Joh. 8).
v. d. K.

Anmerkung des Herausgebers

Wir sind dem HERRN dankbar für diese ebenso klaren wie tiefernsten Belehrungen und Ermahnungen; möchten sie uns allen einen wirklichen Dienst tun!
Zur Sache noch ein Wort: Sicherlich ist in der Tat des Paulus etwas durchaus Einzigartiges, Apostolisches zu sehen, das in dem ganzen Umfang seiner Bedeutung der Gemeinde nicht zukommt! Das wollen wir festhalten! Aber in gewisser Weise übergibt die Gemeinde durch Hinaustun eines aus ihrer Mitte diesen auch dem Satan, besser gesagt: dem Machtbereich Satans. Die Welt außerhalb der Versammlung ist Satans Machtgebiet, Ein unter Zucht stehendes, ausgeschlossenes Kind Gottes hat nicht mehr Teil an den Zusammenkünften der „Hausgenossen Gottes” und darum nicht an deren Segnungen, es muss vielmehr in einer gottfeindlichen Luft leben, ganz besonders ausgesetzt allen Streichen seitens derer, die in Satans Gefolgschaft bewußt oder unbewußt sich befinden! Wie ernst ist auch schon ein solcher Ausschluß, dieses letzte Mittel zum Zurechtbringen eines in der Sünde Verharrenden, „der Bruder genannt wird” (V. 11). Und wenn dies auch nicht an jene Handlungsweise des Apostels heranreicht, so ist es doch immerhin ernst genug, um uns zu warnen vor übereilten Schritten in dieser Hinsicht. Doch lasst uns auch nicht vergessen, dass der HERR unter gegebenen Umständen einen solchen Schritt von uns erwartet!


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 1 (1913)