Nein, wer also urteilt, betrachtet das praktische, tatsächliche Leben höchst einseitig. Freilich, mit dem, was die Welt "Kampf ums Dasein" im Grund meint, Kampf um den Platz an der Sonne, um Besserstellungs-, Preis- und Lohnkämpfe und dergleichen, welche vielfach mit gewalttätigem Druck und Benachteiligung und Verdrängung anderer verbunden sind, mit solchem sollten Kinder Gottes nichts zu tun haben. Aber etwas anderes ist es mit der Arbeit für das Lebensnotwendige. Dies weist uns Gottes Wort als unsere Pflicht an; es geht da ja nicht um das eigene Ich, sondern um unsere Pflichten gegenüber unseren Angehörigen. Nur der, welcher direkt in den Dienst des Herrn selbst berufen ist, hat das Recht, von diesem Dienst zu leben, d.h. von den von ihm Bedienten das Nötige für seine Bedürfnisse zu erwarten; vgl. 1. Korinther 9, wo Paulus sich darüber ausspricht. Aber gerade dort, wie in Apostelgeschichte. 20,33-35 und 2. Thessalonicher 3, zeigt er, wie er aus guten Gründen auf dieses Recht verzichtet und vorgezogen habe, das Nötige für sich und seine Begleiter durch seiner Hände Arbeit zu erlangen. Und in 1. Timotheus 3,8 sagt er: "Wenn jemand für die seinen und besonders für die Hausgenossen nicht sorgt, so hat er den Glauben verleugnet und ist schlechter als ein Ungläubiger".
Was nun die Stelle in Matthäus 6 anbelangt, müssen wir doch zwischen Sorgen und Sorgen unterscheiden, zwischen Sorge als pflichtige Fürsorge und Umsicht einerseits und Sorgen als Kümmern, Befürchten, Zagen andererseits. Das kann nicht so verstanden sein, dass wir die Fürsorge, die das Wort also an anderen Stellen als unsere Pflicht darstellt, nun auf den Herrn abwerfen dürfen. Unsere moralische Pflicht haben wir selbst zu erfüllen, soweit es in unseren Kräften steht. Aber was diese Kräfte übersteigt, oder wo wir keinen Rat wissen oder keinen Ausweg sehen, oder Nöten gegenüberstehen, vor denen wir ohnmächtig sind, das alles dürfen und sollen wir ruhig dem Herrn im einfältigen Glauben anbefehlen: Er wird in irgendeiner Weise eingreifen und helfen.
In Bezug auf das "Gewinn machen" können wir auch nicht so einseitig denken, auch da gibt es Unterschiede. Freilich, Gewinne, die unmoralisch genannt werden müssen, wie z.B. Spekulationsgewinne, Lotterien usw. sind für Gläubige nicht statthaft, weil sie ohne Ausnahme Verluste anderer bedeuten, ebenso übersetzte Konjunkturgewinne. Aber etwas anderes ist doch die meist kleine Gewinnmarge im Handel; diese bedeutet doch vor allem die Deckung der eigenen, meist erheblichen Handlungskosten und der eigenen Lebensbedürfnisse, und dazu sind in der heutigen Geschäftsordnung die Preise vorbedingt durch den Konkurrenzkampf, Konjunktur, staatliche Eingriffe usw. Und Gewinne ohne Arbeit sind dies auch nicht, denn auch das Handeln erfordert viel geistige Tatkraft und bringt körperliche Ermüdung mit sich.
In Bezug auf das Zinsenbeziehen müssen wir jeden einzelnen Fall für sich betrachten. Für wie viele, die arbeitslos geworden sind, oder alters- oder krankheitshalber nicht mehr arbeiten können, sind einige Zinsen von großer Hilfe.