Blut aller Propheten

Wie ist die Stelle Luk. 11,50-51 zu verstehen, d. h. wie kann das Blut aller Propheten, welches von Grundlegung der Welt an vergossen wurde, also auch, wie V. 51 steht, das Blut Abels, von diesem Geschlecht, womit doch wohl nur Israel gemeint sein kann, gefordert werden?

Antwort A

Wir stimmen mit dem Fragesteller darin überein, dass mit „diesem Geschlecht” nur Israel bzw. nur das Volk der Juden gemeint sein kann. Das ist unwillkürlich das Empfinden, wenn man die Verse im Zusammenhang mit dem Vorhergesagten und Nachfolgenden liest, und steht im Einklang mit anderen Schriftstellen, wo von „diesem Geschlecht” gesprochen wird und offensichtlich immer Israel bzw. das Volk der Juden gemeint ist (Mt. 11,16; 12,39.41.42.46; 23,36; 24,34; Mk. 3,12.38; 13,30; Lk. 7,31; 11,29-32; 17,25; 21,32). In diesen Stellen - ob die Aufzählung vollständig ist, weiß der Schreiber mangels einer zuverlässigen Konkordanz nicht - ist es immer der Herr Jesus, der den Ausdruck „dieses Geschlecht” gebraucht, indem Er zu den Juden von ihnen selbst oder zu Seinen Jüngern über das Volk der Juden redet. Dass nicht das zu jener Zeit gerade lebende Menschengeschlecht im allgemeinen, sondern das Geschlecht der Juden ohne Rücksicht auf Zeit in seinem Fortbestand bis zur Zeit der Erfüllung der Worte des Herrn Jesus gemeint ist, zeigt besonders Mt. 23,36 in Verbindung mit den folgenden Versen 37-39, wo der Herr Jesus, im Geiste vor Sich sehend, was über „dieses Geschlecht” kommen sollte, über Jerusalem klagt und Jerusalem mit „diesem Geschlecht” von V. 36 eins macht, und Mt. 24,34 (auch Lk. 21,32), wo der Herr Jesus, nachdem Er vorher von den „Zeichen Seiner Ankunft und der Vollendung des Zeitalters” und von der „großen Drangsal” und Seiner Ankunft „mit Macht und Herrlichkeit” gesprochen und in V. 32 auf den Feigenbaum, der im Worte Gottes ein Bild von Israel ist, hingewiesen hat, sagt, dass „dieses Geschlecht” nicht vergehen werde, bis alles dieses von Ihm Angekündigte, auch heute noch in der Zukunft liegende, geschehen sein wird. Dass dieses auch wirklich geschehen wird, sehen wir deutlich selbst an dem Volk der Juden. Andere Volker, die später erschienen sind, sind längst untergegangen, wieder verschwunden, die Juden aber sind trotz aller Verfolgungen, wie kein anderes Volk solche erlitten hat, und trotz ihrer Zerstreuung ünter alle Völker über die ganze Erde hinheute noch vorhanden als ein Volk, das sich von allen anderen Volkern klar unterscheidet, und Gott wird dieses Volk auch weiter erhalten und jedes Wort erfüllen, das Er über dieses Volk gesprochen hat. Das ist „dieses Geschlecht” und zwar, wie schon gesagt, ohne Rücksichtauf Zeit: Nicht nur die Juden der Zeit, als der Herr Jesus auf der Erde war und diese Worte redete, und auch nicht nur die Juden, die dann da sein werden, wenn der Herr Jesus am Ende der großen Drangsal wiederkommen wird, sind mit „diesem Geschlecht” gemeint, sondern diese Bezeichnung schließt die ganze Zeit seines Bestehens - Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bis zum Ende - ein und meint alle, die zu „diesem Geschlecht” gehörten, gehören und gehören werden.

Nun kommen wir zu der eigentlichen Frage: Wie kann das Blut aller Propheten, auch das Abels, von Israel bzw. den Juden gefordert werden? Sie haben doch nicht das Blut Abels vergossen? Nein, und auch nicht einer ihrer Voreltern, denn sie stammten nicht von Kain ab, der Abel erschlug, sondern von Seth. Es kann also bei dem, was der Herr Jesus Lk. 11,50.51 gesagt hat, nicht auf die Abstammung ankommen. Wenn es auf diese ankäme, würden die Juden mit dem Blute Abels nichts zu tun haben. Demnach muss es etwas anderes sein, und zwar ist es offenbar der Herzenszustand, der in Frage kommt. Israel, das seiner Erwählung, Berufung und Stellung nach hätte Gott unter den Völkern bekannt machen sollen, hatte nicht nur darin gänzlich gefehlt und hatte nicht nur dasselbe Böse getan, was die anderen Völker taten, sondern es hatte Schlimmeres getan - es hatte die zu ihm gesandten Propheten, die Boten und Zeugen Gottes, verworfen und getötet. Der erste dieser Zeugen Gottes war Abel. Wenn Israel auch zu Abels Zeit noch nicht war und Abels Blut durch die Hand Kains vergossen wurde, war es vor Gott doch so, dass sie, die die Aussprüche Gottes, die Heilige Schrift besaßen, durch die auch Abel zu ihnen redete, mit der Verwerfung und Tötung der nach ihm zu ihnen gesandten Propheten auch Abels Botschaft und Zeugnis und Abel selbst verwarfen und damit seine Tötung guthießen und dadurch sich seiner Tötung selbst schuldig machten (genau so, wie heute jeder, der den Herrn Jesus nicht annimmt, sich Seiner Verwerfung und Tötung mitschuldig macht). In diesem Sinne war und ist „dieses Geschlecht”, das Volk der Juden, des Blutes aller Propheten von dem Blute Abels bis zu dem Blute Zacharias' schuldig. So war der Herzenszustand der Juden, „dieses Geschlechts”, damals, als der Herr Jesus zu ihnen redete, wie die Verse 47-49 zeigen, und ist er es heute und wird er es sein, bis der Herr Jesus wieder auf diese Erde kommt.
Zum Verständnis der abgefragten Schriftstelle ist es auch noch wichtig, klarzustellen, was darunter zu verstehen ist, dass das Blut aller Propheten von diesem Geschlecht „gefordert” wird. In der Parallelstelle Mt. 23 sagt der Herr Jesus: „... damit über euch komme alles gerechte Blut ...”; „... dieses alles wird über dieses Geschlecht kommen” (V. 35.36). Es handelt sich hier nicht um das Gericht vor dem „großen weißen Thron”, vor welchem einst jeder, der nicht geglaubt hat, gerichtet werden wird „nach dem, was in den Büchern geschrieben war, nach ihren Werken” (Off. 20,11.12), und auch nicht um das Gericht der Lebendigen vor dem „Thron der Herrlichkeit” (Mt. 25,31-46), sondern um die Wege Gottes mit diesem Volke in Seiner Regierung (in Seinem Walten), wie wir es sehen in der Zerstörung Jerusalems durch Titus im Jahre 70, der Zerstreuung der Juden unter alle Völker und den vielen und schweren Verfolgungen und Drangsalen, die die Juden im Laufe der Zeit zu erdulden gehabt haben und auch weiter werden zu erdulden halben, und schließlich ganz besonders in der noch zukünftigen „großen Drangsal”, von der wir Dan. 9,26.27; Mt. 24,10-24 und an anderen Stellen der Schrift lesen. So sehen wir schon in der Vergangenheit die Erfüllung des Wortes des Herrn Jesus, dass „das Blut aller Propheten” von Abel an „von diesem Geschlecht gefordert” wird und „alles gerechte Blut über dieses Geschlecht kommt” - wir denken dabei auch an den Ausspruch des Volkes bei der Verurteilung des Herrn Jesus: „Sein Blut komme über uns und über unsere Kinder” (Mt. 27,25) -, und wissen, dass dieses Wort des Herrn Jesus sich noch weiter in der Zukunft und in vollem Maße in der „großen Drangsal” erfüllen wird. Was der Herr Jesus Mt. 23,35.36 und Lk. 11,50.51 angekündigt hat, ist ein Verfahren Gottes mit „diesem Geschlecht”, dem Volk der Juden als Gesamtheit hier auf der Erde und ist, wie schon gesagt, nicht zu verwechseln mit der Schuldfrage des einzelnen Menschen Gott gegenüber, die ihre Erledigung für alle, die nicht geglaubt haben, ganz am Ende der Zeit vor dem „großen weißen Throne” finden wird. Dort wird für die Ermordung Abels Kain als der Schuldige stehen und gerichtet werden.
Th. K.

Anmerkung des Schriftleiters

Diese wahrhaft gottgeschenkte Antwort bedarf keiner sachlichen Hinzufügung meinerseits. Möge aber solche klare Beantwortung der schwierigen Frage alle aufmerksamen Leser mit Dank gegen Gott erfüllen.

In dem Vergleich, den der Verfasser in Abs. 2 zieht zwischen der Verwerfung des Herrn Jesus seitens der heutigen Menschheit und der des Zeugnisses der Propheten (und somit auch Abels) damals, sagt er, dass Abel durch die Aussprüche Gottes auch zu ihnen, d. h. zu Israel, redete. Ja, so ist es - und darum ist besagter Vergleich so sehr ernst, berechtigt und überzeugend! -, aber Abel „redet heute noch”, auch zu uns! Wodurch? Durch seinen Glauben und sein Opfer aus Glauben, offenbart uns die Schrift in Hebr. 11,4. lasst uns also von Abel lernen, was Gott wohlgefällig ist, hat uns doch dahingehend die ganze Geschichte Abels viel zu sagen! (Vielleicht gibt Gott Gnade, darüber in diesem Jahrbuch noch einiges zu schreiben!)
F. K.

Wir wandeln durch Glauben, nicht durch Schauen.” (2. Kor. 5,7)
Ohne Glauben ist es unmöglich, Gott wohlzugefallen!” (Hebr.11,6)


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 15 (1930)