Antwort A
Um diese Worte zu verstehen, müssen wir das ganze Kapitel betrachten, dessen Grundgedanke die Aufzählung der Großtaten Gottes ist, die Er auf den Glauben der Seinen hin bewirken konnte. Die, welche „durch Glauben” Zeugnis erlangten, waren Menschen nach 2. Chr. 16,9, deren Herz ungeteilt auf Jehova gerichtet war. Nur nach solchen sucht Gott, nur an solchen kann Er Sich mächtig erweisen. Es ist eine sehr ernste Frage an uns: ist unser Herz wirtlich so „ungeteilt” auf Ihn gerichtet? Können wir lebendiges Zeugnis erlangen durch unseren Glauben?
Nach 11,32 fehlt es dem Apostel an Zeit, alle Wundertaten Gottes einzeln aufzuzählen, darum gibt er von Vers 32-40 einen kurzen Überblick; denn die Erde ist zu voll der Güte des HERRN (Ps. 33,5; 119,64), und der Taten Gottes sind zu viel, um sie der Reihe nach anzuführen (vergl. Ps. 40,5 und Hiob 5,9; 9,10). - In Vers 35 denkt der Apostel zunächst an bestimmte Glaubenstaten; so z. B. finden wir die Weiber, die ihre Toten wiederbekamen in 1. Kön. 17,17-24 und 2. Kön. 4,29-37. - Der Psalmist klagt, dass sie die Leichname Seiner Knechte den Vögeln zu fressen geben (79,2.3; 94, 5. 6); wir denken hier auch an die Leiden des Jeremia (Kap. 37), an die drei Männer im Feuerofen (Dan. 3), an den Zeugentod Eleasars, der uns in den Apokryphen (vergl. Lutherbibel) im 2. Buch der Makkabäer Kap. 6 berichtet ist. Diese waren solche, denen eine Befreiung oder Erlösung angeboten wurde. Es war aber nur eine zeitliche Erlösung, eine zeitliche Befreiung, die in Wirklichkeit keine ist, denn eine uns von der Welt angebotene Befreiung ist nichts im Vergleich zur ewigen Erlösung, die Gott uns anbietet in Seinem Sohn. Der HERR sei gepriesen dafür, dass wir diese „eine ewige Erlösung” (Hebr. 9,12) annehmen durften! Das Wort sagt uns: „Wer sein Leben findet” (d.i. das ewige!), „wird es verlieren” (d. i. das irdische!); „und wer sein Leben verliert” (d. i. dies bischen irdische Leben, um der Ehre und des Namens des HERRN willen!), „der wird es finden” (d. i. das ewige Leben!), vergl. Mt. 10,39; Mk. 8,35; Joh. 12,25; Lk. 17,33! Diese Worte sind in den obigen Versen, nach deren Bedeutung gefragt wird, besonders bestätigt. Für die Freiheit hat Christus uns freigemacht (Gal. 5,1); aber wenn wir nicht feststehen, im Falle schwere Glaubensproben an uns herantreten, so bietet uns der Satan seine scheinbare Freiheit an, die nach Gottes Wort ein Joch der Knechtschaft ist (Gal. 5,1.2; 4.5). Möchten wir uns nicht von ihm verführen lassen!
Die alttestamentlichen Glaubenshelden wünschten nach Vers 35 eine „bessere Auferstehung” zu erlangen. Für diese bessere Auferstehung haben wir klare Beweise in Dan. 12,2; Joh. 5,29; Off. 20,5.6; 1. Kor. 15,22.23; 1. Thess. 4,16-18; jenen Gläubigen gilt in gewisser Weise auch Jes. 26,19.20, obwohl es sich hier wohl zunächst um die Wiederherstellung Israels als Volksganzem handelt (vergl. „G. H.” lll [1915], Frage 35! Der Herausgeber).
Die Verheißung, von der in Vers 39 steht, ist Christus, der durch Moses und alle Propheten zuvor verkündigt worden war. Sie konnten Ihn aber noch nicht empfangen noch die Herrlichkeit, die mit Ihm in Verbindung ist, weil damals „die Zeit noch nicht erfüllt war”. Sie sahen aber diese Verheißung und „begrüßten sie von ferne, und sie bekannten, dass sie Fremdlinge und ohne Bürgerrecht waren” (11,13). Aber wir, die Gläubigen des Neuen Bundes, sind nicht mehr Fremdlinge und ohne Bürgerrecht, sondern wir sind Mitbürger der Heiligen und Hausgenossen Gottes (Eph. 2,19-22) und nach Hebr. 12,22-24 sind wir gekommen zum Berge Zion und zur Stadt des lebendigen Gottes, dem himmlischen Jerusalem. Das ist etwas von dem „Besseren”, das uns verheißen ist und das wir als Glaubensbesitz schon jetzt haben, während sie nur danach „trachteten” (V. 16). Wenn wir aber tatsächlich in die Herrlichkeit eingehen, so werden auch jene vollkommen gemacht werden „nicht ohne uns”, d. h. nicht ohne die neutestamentliche Gemeinde des HERRN. Aber wenn wir bei der ersten Auferstehung - der „besseren” - auferweckt und verwandelt werden, dann werden auch jene Zeugen des Glaubens, die von Gott ein Zeugnis erlangt haben, mitauferweckt und vollendet in Herrlichkeit. Dann ist Hebr. 11,40 vollendet.
G. R.
Antwort B
Unser Abschnitt führt uns hinein in die Bedrängnisse des christlichen Glaubens. In Kapitel 10,38 sagt der Schreiber, dass der Gerechte aus Glauben leben wird, und in Kapitel 11 wird uns die Tätigkeit dieses Glaubens beschrieben. Wir werden durch das Beispiel der Alten ermuntert, hinzuschauen auf das Endziel. In all den einzelnen Beispielen tritt der Charakter der Helden des Glaubens zutage; sie lebten durch Glauben, ohne die Erfüllung der Verheißung zu erlangen, auch genossen sie nicht die Vorrechte, welche wir als Gläubige besitzen. Vom 32. Vers ab werden Einzelheiten nicht mehr erwähnt, der Geist spricht mehr im allgemeinen von Beispielen der Energie des Glaubens und des Ausharrens. Der in Frage stehende Vers 35 weist uns auf ein solches Ausharren im Glauben hin. Wenn wir dort lesen: „Weiber erhielten ihre Toten wieder durch Auferstehung,” dann dürfen wir an 1. Kön. 17,17-24 denken, wo Elias bei der Witwe zu Zarpath wohnte und durch Gottes Gnade den gestorbenen Knaben in das Leben zurückrufen durfte. - An Verhöhnung und Geißelung fehlte es bei vielen nicht, denken wir nur z. B. an die Makkabäerzeit! Die grauenvolle Todesart des Zersägens bezieht sich jedenfalls auf Jesaja, der nach der Überlieferung unter Manasse dieses Todes gestorben sein soll. Wenn wir so alles zusammenfassen, sehen wir, wie dieser Pfad der Gläubigen voll von Verfolgung, Not und Tod war (vergl. z. B. auch 1. Kön. 19,10). So kam der Glaube auf mannigfaltige Weise zum Ausdruck und verbreitete seine Lichtstrahlen unter schwerer Verfolgung in einer dunklen Zeit. Der Ruhm dieser Gläubigen war bei Gott, und die Welt war ihrer nicht wert. Obwohl sie ausharrten, hatten sie in keiner Weise die Erfüllung der Verheißung erlangt, sie mußten, wie die Hebräer in unserem Briefe, durch Glauben leben. So z. B. Abraham und viele andere warteten auf eine Herrlichkeit, die ihnen Gott nicht ohne uns geben wollte. Für uns als die Gläubigen des Neuen Bundes hatte Er etwas Besserem aufbewahrt (V. 40)! Einst außerhalb, jetzt innerhalb des Vorhangs, jetzt Zutritt zum Allerheiligsten! Wir dürfen jetzt mit Freimütigkeit kommen, denn wir gehören dem Himmel an, dort ist unser Bürgerrecht. Abraham durchzog die Erde mit himmlischem Sinn, indem er eine Stadt erwartete. Wir besitzen den geöffneten Himmel, in dem Christus für uns ist. Wir dürfen bekennen, dass wir mit Ihm dort vereinigt sind (Eph. 1,3.4). So hat der Sohn durch Sein Opfer die, die sich heiligen lassen, zum Ziele gebracht, Er hat uns vollkommen gemacht (Hebr. 10,14); das ist das Bessere, und das Endziel wird sein: Wir werden alle vollkommen gemacht, d. h. miteinander verherrlicht werden in der Auferstehung.
Ph. W.
Anmerkung des Herausgebers
Dieses „Vollkommengemachtwerden” liegt auch für uns, die wir diese Worte lesen, noch in der herrlichen Zukunft. Auch wir schauen es nur durch Glauben. Aber wie unendlich viel größer und kostbarer ist das Glaubensgut, dazu wir gelangt sind gegenüber dem, das jene alttestamentlichen Helden des Glaubens besaßen. Ja, wahrlich, „bessere” Verheißung ist uns zuteil geworden! Darüber noch einige Worte! Die „bessere” Auferstehung weist hin auf die „erste Auferstehung”, die eine bessere ist als jene, in welcher „Weiber ihre Toten wiedererhielten” (V. 35), und auch eine „bessere” als jene Auferstehung des Volkes, von der die Propheten weissagten. - Gott wollte noch Herrlicheres, Besseres offenbaren, darum konnten jene trotz ihres Glaubens noch nicht die volle Erfüllung der Verheißungen erlangen; sie mußten vielmehr auf „uns” warten; doch kommen wir ihnen auch nicht zuvor! Es ist ja auch nicht unser Verdienst, dass Gott für uns „Besseres” vorgesehen hat, es liegt allein in Seinem herrlichen Willen begründet. Was das „Bessere” ist, zeigt neben anderen Briefen der Schrift ganz besonders der Hebräerbrief: den Gläubigen aus dem Judentum wird ihre neue Stellung vor Augen gestellt. Das „Bessere” war jetzt da, und das „für uns” zeigte ihnen, dass sie nichts mehr mit dem Alten, dem Judentum zu tun hatten, sondern zu einer ungleich besseren Segensstellung - zur Einheit mit Christo - gekommen waren. Welche Ermutigung lag und liegt in dem Hinweis auf den Glauben der Gläubigen des Alten Testaments in ihrer irdischen Berufung für die Empfänger des Briefes und für uns, die mit „Besserem” gesegnet sind, treu zu sein im Festhalten der „himmlischen Berufung” (3,1). Und wie beschämen uns doch oft jene Gläubigen, deren Glaubensblick nicht in jene Herrlichkeiten gehen konnte wie der unsrige, deren Glauben nicht solche unendlichen Gebiete göttlicher Gnadenverheißungen erschlossen waren, ja, die nicht einmal, wie wir, täglich hinzutreten konnten in das Heiligtum, das Allerheiligste, das für uns durch Zerreißen des Vorhangs frei geworden ist, die nicht täglich und stündlich vertreten wurden bei Gott durch den Hohenpriester wie wir (Hebr. 7,25 u. a.) usw., usw. Ja, wie beschämen sie uns durch ihren mannhaften Glauben, durch ihr rückhaltloses Eintreten für die Wahrheit Gottes in jeder Hinsicht (vergl. z. B. 11,23ff.!), durch ihr treues Zeugnis für Gott! Die gedrängte Übersicht von Vers 32-38 lehrt uns da auch vieles. Ob deines und meines Glaubens, lieber Leser, gegenwärtig von Gott in dieser Weise gedacht wird - oder ob vielleicht gerade ein trauriges Zurückweichen unsererseits und Verleugnen des Namens Seines Sohnes und Seines Wortes vor Seinem Auge steht? Wie groß, wie gütig ist unser Gott! Er vergißt nichts, was von unserer Seite um Seines Namens willen je getan ist, keine große noch kleine Glaubenstat, kein Leiden um Seinetwillen ist vor Ihm verborgen (vergl. Off. 2,2.3.9.10.13.19; 3,8!). Aber Er kennt auch unseren Mangel an Glauben, und vielleicht in besonderen Augenblicken, wo unser Glaubt hätte hervorleuchten und anderen hätte zum Segen werden können (vergl. Mt. 14,30!) - da hat er versagt! Möchten wir nicht vergessen, dass nur jetzt, solange wir auf der Erde sind, Gelegenheit für die Seinen ist, Ihn durch Glauben - Herzensvertrauen und Glaubensgehorsam - im praktischen Leben nach allen Seiten hin zu ehren! Sind wir erst vollkommen gemacht, ist Vers 40 erst völlig erfüllt, dann ist die Zeit des Glaubens, diese herrliche Zeit, für immer vorüber und die freilich herrlichere Zeit des Schauens beginnt und bleibt. Was wir in der gegenwärtigen herrlichen Glaubenszeit an Treue versäumt haben, können wir nie einholen, und wo wir gegenwärtig den HERRN durch Glaubensgehorsam und -vertrauen geehrt haben, das wird von Ihm nie vergessen, sondern herrlich belohnt (vergl. Band lll [1915], Frage 27!). Der HERR sagt 1. Sam. 2,30: „Die Mich ehren, werde Ich ehren,” das gilt auch in Bezug auf unser Leben des Glaubens und der praktisch tätigen Liebe zu Ihm, der uns solche herrlichen Verheißungen geschenkt. Möchten also auch wir Gnade haben, Tag für Tag „durch Glauben” zu wandeln, „hinschauend auf Jesum” (12,1-3), bis „das Vollkommene gekommen sein wird” (1. Kor. 13,10a)!