Bitte des Apostels Paulus um seinen Mantel

Liegt der doch etwas oberflächlich scheinenden Bitte des Apostels Paulus um seinen Mantel in 2. Tim. 4,13 ein tieferer symbolischer Sinn zugrunde?

Antwort

Ich persönlich glaube durchaus nicht, andere mögen darüber anders denken! Aber wenn, wie ich einmal beiläufig in einem kleinen Schriftchen in einer Fußnote las, sich vielleicht für ganz besonders geistvoll haltende „Ausleger” dahin kommen, in dem Mantel das „Kleid der Gerechtigkeit” zu sehen, das Paulus in einer Anfechtung des Glaubens in Troas habe fallen gelassen(!!), so sehe ich darin eine nicht zu überbietende Geschmacklosigkeit und Oberflächlichkeit, die in jenem Schriftchen eine gebührende Zurückweisung erfährt. Soviel über das möglicherweise Symbolische dieser Stelle! Bei dieser Gelegenheit fällt mir ein kleines über 20 Jahre zurückliegendes Erlebnis ein, das für mich recht beschämend verlief; aber es war eine gesunde Beschämung! In einer Bibelbesprechung über Philemon wollte ich in V. 9 „ein alter Paulus” oder „Paulus der Alte” auch symbolisch (sinnbildlich) aufgefaßt wissen, indem ich in diesen herzbeweglichen Ausdruck den Gedanken hineinzulesen für eine große Weisheit ansah, dass Paulus in seiner alten fleischlichen Natur jene Bitte geschrieben habe(!!). Die Antwort und Zurechtweisung durch den Leiter jener Stunde (einen Stadtmissionar) war außerordentlich liebevoll und milder, als ich sie verdiente. Aber die Lehre, die Gott mir mehr in meinem Innern ais nur äußerlich durch jene Zurechtweisung gab, blieb mir sehr eindrücklich. Ich sah schon von damals an, wie gefährlich oft das Vergeistigen von an sich ganz einfachen persönlichen Vorgängen und Lebensumständen ist und wieviel darauf ankommt, diese letzteren selbst zu verstehen und zu würdigen.

Und so steht es auch mit der freilich sehr einfachen, aber doch nichts weniger als oberflächlichen Bitte des Paulus in der Stelle obiger Frage. Warum soll ein symbolischer Sinn gefunden werden, wo die Lebensumstände so klar liegen?! Diese Stelle symbolisch zu lesen wäre m. E. gerade solche Torheit, wie die Stellen von dem Mantel des Elias (1. Kön. 19 und 2. Kön. 2; vgl. Frage 17, Jahrb. 7) nicht symbolisch aufzufassen!

Paulus befand sich wiederum in Gefangenschaft, aber nicht mehr unter solchen Verhältnissen wie bei der ersten, während der er, wenn auch an einen Kriegsknecht gefesselt, in seinem eigenen gemieteten Hause wohnen, von Seinen Freunden besucht werden und allerlei Freundlichkeiten genießen durfte (Apg. 28,30; Phil. 1,12ff.; 4,10-20 u. a.). Seine zweite Gefangensetzung, die auch mit seiner Hinrichtung endete, war so viel schwerer, dass wir beim Lesen des zweiten Timotheusbriefes tiefbewegt werden müssen, wenn wir von den Entbehrungen des Treusten der Treuen lesen. Sein größtes Entbehren war das, welches er erlitt durch das Versagen der Brüder (vgl. 4,16 u. a.), wenn auch nicht aller (vgl. 1,16.17!); vieles andere machte seine Lage schwer, besonders wieder und wieder die Enttäuschungen an Menschen, auch durch falsche Lehrer und sonstige Leiden (4,14; 2,17ff. u. a.; 2,9). Um so mehr lernen wir beim Lesen dieses Briefes die Gnade rühmen, die Paulus befähigte, je schwerer die Umstände wurden, desto treuer für seinen geliebten HERRN zu stehen und zu kämpfen und seinen Timotheus zu gleicher Treue zu ermahnen. (Vgl. z. B. die drei „du aber” 3,10 und 14; 4,5; auch 2,1 u. a. St.) In Zeiten so allgemeinen geistlichen Verfalls (vgl. 2,17ff.), wie ihn der zweite Timotheusbrief uns schildert, ist das Alleinstehen schwerer als in normalen und glücklichen Perioden. Aber wenn altbewährte Brüder uns im Stich lassen - „der HERR bleibt treu”! Das erfuhr Paulus, und das war seine Kraft und Freude in allem Leid.

Dieser an Entbehrungen reiche Paulus bittet um seinen Mantel! Wie über alles rührend, dass in dem inspirierten Wort eine so schlichte Bemerkung Platz gefunden hat! Sie zeigt uns den Grad der äußeren Leiden, die ein Paulus durchmachen mußte, damit er sagen durfte: „Ich habe den guten Kampf gekämpft” (4,6-8). Es ging in den Winter des Jahres 66/67 hinein, Paulus litt von der Kälte, kaufen konnte er sich nichts mehr zur Bequemlichkeit; wie not tat ihm da der Mantel, den er vielleicht bei einer für später erhofften Rückkehr nach Troas von Carpus abholen wollte, zugleich mit den wichtigen Pergamenten. Dies war ihm nicht vergönnt, darum ist seine Bitte so leicht und gut verständlich. Er hat auch diese Entbehrung ertragen müssen, und wenn er auch nicht wie unser geliebter HERR beim Anblick des Tuns der rohen Kriegsknechte mit Seinen Kleidungsstücken sich mit einer Weissagung der Schrift trösten konnte (Joh. 19,23.24), so klingt doch seine Erinnerung an seinen ihm so nötigen Mantel fast nicht weniger wehmütig und beleuchtet ebenso wie dort unterm Kreuz die Armut derer, die seitens einer Sünderwelt unschuldig leiden mußten. Aber ihm, dem durch die Gnade so großen, doch vor seinem Tode äußerlich so arm gewordenen Apostel Paulus, gilt auch hierin, d. h. in der scheinbaren Kleinigkeit eines Leidens für und mit Christus durch äußere Armut, sein eigenes Wort: „Wenn wir anders mitleiden, auf dass wir auch mit verherrlicht werden” (Röm. 8,17).
Wie weit erstreckt sich unsere Fähigkeit zum Mitleiden mit Christo und für Ihn?
F. K.


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 10 (1925)