Bibelcode von M. Drosnin

Wie ist der „Bibelcode“ von M. Drosnin zu beurteilen?

Der US-Journalist Michael Drosnin behauptet in dem Buch „Der Bibel Code“ (Heyne, 1997), dass die Bibel einen verborgenen Code enthalte und dass dieser nun geknackt sei. Der hebräische Text der fünf Bücher Mose (= 304 805 Buchstaben) wird zunächst ohne alle Leerstellen in einem Computer abgespeichert; dann werden aus diesem Buchstabenvorrat die jeweils n-ten Buchstaben (z.B. mit dem Abstand n = 2, 3, 4 oder 17, 35 usw.) entnommen, wodurch ständig neue Buchstabenreihen produziert werden können. Durch Verschiebung des Zählanfangs besteht die Möglichkeit, weitere unterschiedlichen Buchstabenfolgen zu erzeugen. Die so gewonnenen Buchstabenreihen werden in Blöcken mit einer bestimmten Spalten- und Zeilenzahl angeordnet. In dieser schier endlosen Zahl von Blöcken sucht man nach gelegentlich auftretenden Buchstabenkombinationen, die eine Bedeutung tragen, und in die prophetische Hinweise für unsere Zeit hineininterpretiert werden. Wie nun ist diese Methode zu beurteilen?

Informationstheoretische Einwände:

1. Diese Vorgehensweise ist völlig willkürlich und durch nichts begründbar. Dass in einem so riesigen und schier unerschöpflichen Buchstabenvorrat hier und da Namen und Wörter vorkommen, die eine Bedeutung tragen, ist geradezu unvermeidbar. Die Trefferquote erhöht sich noch drastisch, weil bei der Suche vorwärts, rückwärts, senkrecht, diagonal und willkürlich gemischt gelesen werden darf. Mehr noch: Auch das Überspringen mehrerer Buchstaben ist erlaubt.

2. Der weitaus größte Teil der Buchstabenblöcke ist lediglich Abfall, in dem auch bei ständigem Methodenwechsel keine bedeutungstragenden Elemente zu finden sind. Weiterhin kommt dieser Art Buchstabenspielerei noch die Eigenheit der hebräischen Sprache entgegen, dass bestimmte Vokale nicht geschrieben werden. Auch dadurch steigt die Trefferquote an.

3. Bei der Drosninschen Methode werden die Zeichen immer aus derselben Quelle entnommen. Damit ist sichergestellt, dass sich diese Häufigkeitsverteilung der Buchstaben nicht ändert. Das zufällige Auftreten von Wörtern aus dem Sprachschatz der hebräischen Sprache wird somit erheblich wahrscheinlicher als bei Entnahme aus einem Pool mit anderer Verteilung.

4. Die Bezeichnung „Bibelcode“ für die statistischen Spiele von Drosnin ist irreführend, weil ein Code immer einen Sender (Urheber) voraussetzt [G5, S. 67-80]. Alle hier betrachteten Buchstabenselektionen sind aber als Zufallsfolgen anzusehen, die prinzipiell nicht entschlüsselt werden können, da sie definitionsgemäß keine Bedeutung tragen. Damit ist alles, was Drosnin herauszulesen versucht, reine Willkür und ohne jegliche Absicht eines Senders.

5. Der australische Mathematiker Brendon McKay wandte das Bibel-Code-Verfahren auf den englischen Roman „Moby Dick“ an und konnte in gleicher Weise „sensationelle“ Ereignisse herauslesen. Damit hat er gezeigt, dass das Ergebnis unabhängig von der verwendeten Quelle ist. In einem genügend großen Buchstabenvorrat kann man fast alles finden, was man sucht. Wörter, die nicht in den beabsichtigten Konsens passen, ignoriert Drosnin einfach. Übrigens: McKay fand auch das Wort Drosnin und in unmittelbarer Nähe das Wort „liar“ (= Lügner).

Biblische Einwände:

1. Die zentrale Botschaft der Bibel ist die Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen. Sie zeigt uns, wer Gott und wer Jesus Christus ist und wie wir Rettung und damit Ewigkeit finden. Sensationelle politische Ereignisse sind kein biblisches Thema. Hier aber setzt Drosnin mit seiner Suche ein und stellt sich damit gegen die biblische Offenbarungsabsicht. Die angeblich entschlüsselten Botschaften passen also keineswegs in den Kontext der Bibel.

2. Die willkürlich zusammengebastelten Wörter von Drosnin stehen weder in irgendeiner Ordnungsstruktur noch ergeben sich dabei vollständige Sätze. Hingegen ist es das Anliegen der Bibel, sich in verständlichen Sätzen zu äußern, damit wir den Sinn leicht erfassen können (Eph 5,17). Gott hat sich in seinem Wort (direkt lesbar!) offenbart (2 Tim 3,16; Gal 1,12; 2 Petr 1,21), aber nicht in rätselhaften Computerspielen. Die Botschaft der Bibel ist so angelegt, dass schon Anfänger im Glauben sie verstehen können (1 Petr 2,2). Sie kann darum nicht in einem Geheimcode verpackt sein, der erst am Ende des 20. Jahrhunderts entschlüsselt werden kann.

3. Drosnin zeichnet ein verzerrtes Gottesbild, das der Bibel widerspricht. Er schreibt z. B.: „Vielmehr schien es, als ginge er (= der Code) auf ein uns wohlwollendes, jedoch nicht allmächtiges Wesen zurück, das uns vor einer drohenden Gefahr warnen wollte, um uns Gelegenheit zu geben, uns selbst zu schützen“ (S. 108). Das Jahr 2012 wird mit einem Kometen in Verbindung gebracht, der die „Erde vernichtet“ (S. 161). Das Ende dieser Erde wird nach der Bibel keineswegs durch einen Kometen ausgelöst, sondern durch das Gericht Gottes (2 Petr 3,7+10). Bezüglich des Zeitpunktes (2 Petr 3,10) ist niemand in der Lage, dafür eine Jahreszahl zu nennen, auch nicht der „Bibelcode“.

4. Drosnin schreibt: „Ich bin nicht religiös und glaube nicht einmal an Gott“ (S. 191). Die Offenbarung Gottes geschieht aber nur an Menschen, die ihm glauben und vertrauen (Amos 3,7). Darum ist Drosnin als falscher Prophet einzuordnen.

Halten wir fest: Der „Bibel Code“ ist von der Vorgehensweise her eine beliebige Buchstabenspielerei, bei der grundlegende informationstheoretische Aspekte ignoriert werden. Dieses lediglich auf Sensationslust abgestellte Konzept läßt Raum für unverantwortliche Spekulationen. Die von Drosnin aus Fragmenten konstruierten Aussagen widersprechen dem eigentlichen Wesen der biblischen Offenbarung und stellen sich damit gegen Gott und seine Botschaft.


Beantwortet von: Werner Gitt
Quelle: Aus dem Buch: "Fragen, die immer wieder gestellt werden", CLV Verlag, 1996