Belehrende und praktische Winke über den Brief an Philemon

Bitte um einige kurze belehrende und praktische Winke über den Brief an Philemon!

Antwort A

Wohl kein Brief im Neuen Testament ist so persönlich gehalten, als der Brief an Philemon. Der Gegenstand, der darin behandelt wird, ist die Fürbitte für einen entlaufenen und nunmehr bekehrten Sklaven. An sich ist dies für viele etwas scheinbar Nebensächliches, und doch wird dieser an den Philemon gerichtete Brief durch den Geist Gottes benützt, um uns Wahrheiten von großer Wichtigkeit, die unser Leben und unser persönliches Verhalten betreffen, vorzustellen. Philemon hatte einen Sklaven „Onesimus”, der ihm entflohen war, dieser kommt in Rom mit dem Apostel Paulus in Berührung und wird dort durch die Gnade des HERRN bekehrt und teilt als Gefährte und hingebender Diener die Gefangenschaft mit dem Apostel. Wie wunderbar sind die Führungen und Wege Gottes! Paulus will nun den Onesimus zurücksenden und gibt ihm als Empfehlung diesen Brief an Philemon mit. Philemon wird uns als ein gottesfürchtiger Mann gezeigt, von dem ein gesegneter Einfluß auf seine Umgebung ausging. Der Apostel tritt dem Philemon als der Gebundene und Gefangene gegenüber. Er redet nicht von Pflichten, stellt auch keine Forderungen, sondern kleidet seine Wünsche für den Onesimus an Philemon in einfache Bitten. Zunächst dankt er für das, was die Liebe in dem Herzen des Philemon bewirkt hatte und wie dieselbe als Frucht des Glaubens sich als Liebe zu allen Heiligen offenbarte. Dieses ist heute noch ein Gradmesser unserer persönlichen Verbindung mit dem HERRN. Möchte es für uns alle gelten, was Paulus sagt: „Da ich höre von deiner Liebe und dem Glauben, den du an den Herrn Jesum und zu allen Heiligen hast.” Diese Liebe, die keine Grenzen zieht, kann nur aus dem Herzen Christi geschöpft werden, sie ist frei von Groll und Bitterkeit, frei von Mißtrauen und Abneigung gegen irgend ein Glied der Familie Gottes, deshalb konnte Paulus auch alle umfassen, die als Heilige dem HERRN angehörten. Wie selten finden wir solche Liebe in unserer vom Parteigeist erfüllten Zeit, wie wir sie hier bei Paulus sowohl, als auch bei Philemon sehen! Als weitere Frucht rühmt Paulus die Glaubensgemeinschaft in Vers 6. Auch der Glaube hat für alle, die dem HERRN angehören, den gleichen Ausgangspunkt; deshalb kann auch Paulus ihm das Zeugnis geben: „Die Herzen der Heiligen sind durch dich, Bruder, erquickt worden.” Es war die gesegnete Stellung eines in Gott ruhenden Herzens. In Vers 8 und 9 kommt die sich unterordnende Liebe köstlich zum Ausdruck. Obwohl Paulus sicher für den Philemon eine Autorität war und er ihm auch hätte etwas gebieten können, kommt er doch als Bittender in seiner Sache zu ihm. „Deshalb, obgleich ich große Freimütigkeit in Christo habe, dir zu gebieten, was sich geziemt, so bitte ich doch vielmehr um der Liebe willen.” Hier gibt der Apostel sein Recht der Autorität auf, um der Liebe freien Lauf zu lassen. Sicherlich hätte auch Philemon gehorcht, wenn auch nur um des Gebots willen, so aber kommen die beiderseitigen Herzensneigungen in Einklang in dem Sich-untertan-sein aus Liebe. Möchten auch wir daraus lernen, statt in Forderungen einander zu begegnen, vielmehr im Geiste der Liebe zu bitten. („Ich bitte dich vielmehr um der Liebe willen.”) Dann finden wir uns in Übereinstimmung mit dem HERRN, der von Sich sagt: „Ich bin sanftmütig und von Herzen demütig.” Auf solchem Boden werden wir finden, dass unsere Bitten auf Erhörung rechnen können.

Wenn jetzt Paulus sein Anliegen betreffs des Onesimus vorbringt, weiß er beide (Philemon und Onesimus) auf einem neuen Boden, dem der gemeinsamen Gnade. Nach den Überlieferungen des Gesetzes hätte Paulus ganz anders handeln müssen. 5. Mose 23,15.16 lesen wir: „Einen Knecht, der sich vor seinem Herrn zu dir rettet, sollst du seinem HERRN nicht ausliefern. Er soll bei dir wohnen, in deiner Mitte, an dem Ort, den er in einem deiner Tore erwählen wird, wo es ihm gut dünkt, du sollst ihn nicht bedrücken.” Paulus tut hier nun gerade das Gegenteil von dem, was das Gesetz verlangte. Die Gnade verändert alles. Paulus handelt in der Freiheit und sendet ihn zurück, Onesimus wird ein Freier in jeder Beziehung, und Philemon nimmt ihn auf als einen Bruder. Eine Umwertung der Werte findet statt. Die Liebe als das Band der Vollkommenheit umschlang sie alle, deshalb konnte auch Paulus auf die neue Stellung hinweisen, in der sich der Onesimus befand; er sagt: „Ich bitte dich für mein Kind, das ich gezeugt habe in den Banden, Onesimus, der dir einst unnütz war, jetzt aber dir und mir nützlich ist.” Onesimus war nun in jeder Beziehung ein neuer geworden, und sein Name, der „nützlich” bedeutet, entsprach nun vollkommen seiner neuen Stellung. Auch hier kommt der göttliche Grundsatz zum Ausdruck: „Siehe, Ich mache alles neu!” Deshalb konnte auch Paulus schreiben: „Nimm ihn auf wie mich.” Ja, noch mehr! Paulus, der von Onesimus Nutzen hätte haben können und ihn ohne die Verletzung des Gesetzes hätte behalten dürfen, verzichtete auf alles und trat ganz in den Hintergrund. Er sagt deshalb (V. 13 u. 14): „Ich wollte ihn bei mir behalten, auf dass er statt deiner mir diene in den Banden des Evangeliums. Aber ohne deinen Willen wollte ich nichts tun, auf dass deine Wohltat nicht wie gezwungen, sondern freiwillig sei.” Liebe sucht nicht das Ihrige, sondern das, was des anderen ist. Als Sklave entlaufen und als Bruder heimgekehrt - welch eine Umwandlung! Müssen wir dabei nicht an unsere einstige Knechtschaft in Ägypten denken und die Gnade preisen, die uns zu Bürgern und Heiligen gemacht hat durch die Liebe Dessen, der Sich nicht schämt, uns Seine Brüder zu nennen? So ist jeder Zug in diesem kurzen Brief Liebe. Einer sollte den anderen besitzen. Nachdem die Gnade Gottes sich so an dem untreuen Sklaven verherrlicht hat, wünscht Paulus, dass sie sich weiter durch Philemon verherrlichen möge, indem dieser den entlaufenen Sklaven als einen Bruder in Christo aufnehme. Dabei geht Paulus nicht über die Schuld des Onesimus hinweg - sondern er bittet, diese ihm zuzurechnen. Er will sie auf sich nehmen. Hier sehen wir etwas von den Gefühlen unseres HERRN, wie Er die Strafe zu unserem Frieden auf Sich nimmt und wie Er an unserer Stelle den Lohn der Sünde, den Tod schmeckt.

Im Gefängnis und in den Banden schaut Paulus in Liebe nach allen denen aus, die durch Jesu Liebe miteinander verbunden waren. Die Aufzählung der einzelnen Namen am Schlusse des Briefes öffnet unserem Auge ein weites Feld. Wir sehen die einzelnen der Genannten im Geiste, wie sie in treuer Liebe ein jeder nach seiner Art zur Ehre ihres Meisters wirken. Bei Lukas denken wir an sein herrliches Evangelium, das er uns übermitteln durfte, bei Demas wird uns der Blick auf 2. Tim. 4,10 gerichtet. Aber im Mittelpunkt unseres ganzen Briefes steht als praktischer Ertrag die sich im täglichen Leben erweisende Liebe, eine Frucht, gewirkt durch treues Wandeln mit dem HERRN, welche dann die Glieder Jesu Christi miteinander verbindet und die Gnade des HERRN nach allen Seiten ausstrahlen läßt. lasst auch uns daraus lernen, was wir dem Herrn als die Seinen, aber auch als die Seinen uns untereinander schuldig sind, dann wird das Wort des HERRN zur Darstellung kommen: „Daran werden alle erkennen, dass ihr Meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habet” (Joh. 13,35).
Ph. W.

Antwort B

Der Brief an Philemon ist ein köstliches Zeugnis des Apostels Paulus von Bruderliebe und praktischer Gerechtigkeit.
Onesimus war ein dem Philemon entlaufener Sklave, der in Rom bekehrt wurde und für den Paulus, der Gefangene in Rom, sich bei ihm verwendet.
Der Brief teilt sich leicht in vier Teile.

1.) Gruß des Apostels (Vers 1-3). Timotheus befindet sich bei Paulus. Dieser grüßt auch den am Schlusse des Kolosserbriefes erwähnten Archippus, so dass die Annahme, Philemon habe der Gemeinde in Kolossä oder Laodizäa angehört, berechtigt ist.

2.) Der Charakter des Philemon (Vers 4-7): Liebe und Glaube an den Herrn Jesum. Beachtenswert ist der Ausdruck: „Gemeinschaft deines Glaubens.

3.) Fürsprache für Onesimus (Vers 8-21). Paulus nennt Onesimus sein Herz und bittet Philemon, ihn nicht als einen Sklaven, sondern als einen geliebten Bruder, ja, wie sich aufzunehmen. Paulus nennt sich einen Genossen des Philemon.

4.) Schluß und Gruß (Vers 22-25). Der Apostel hofft durch die Gebete der Gläubigen freizukommen und bittet, ihm eine Herberge zu bereiten. Dem Gruße schließen sich an Epaphras, Markus, Aristarchus, Demas, Lukas, die sämtlich am Ende des Kolvsserbriefes erwähnt sind.
Welche Gnade und Liebe, dass in den heiligen Schriften ein Buch enthalten ist, das eines entlaufenen Sklaven wegen geschrieben wurde!
E. S.

Anmerkung des Herausgebers

Den vorstehenden Antworten sei nur noch ein Gedanke hinzugefügt. Es mag befremdend erscheinen, dass ein Gläubiger, wie Philemon es war, einen Sklaven hatte, und dass Paulus seine Rechte über den Sklaven anerkennt. Gott belehrt uns aber, wie wir hier sehen, dass Bekehrung nicht notwendig die weltlichen Ordnungen und Rechte hinfällig macht und die Freilassung eines Sklaven nach dessen Bekehrung selbst nicht von einem gläubigen Herrn gefordert werden konnte. (S. a. Kol. 3,22-25 u. 1. Tim. 6,1.2.) Paulus erkennt Philemons Rechte an seinen Sklaven voll und ganz an, aber er bittet der Gnade Gottes gemäß, ihn frei zu lassen.
Sklaverei, gleich der Vielweiberei, sind zwei Dinge, die nicht den Anfangsgedanken Gottes über den Menschen entsprechen, und doch war beides selbst Israel nach dem Gesetz erlaubt. Das eine war die Folge und der Fluch der Sünde (1. Mose 9,25-27), - das andere ließ Gott geschehen, („gestattete” es) „wegen der Herzenshärtigkeit” der Menschen. (Mt. 19,8.)

Heute besitzen wir die vollkommene Offenbarung Gottes in Christo und das vollendete Werk der Erlösung. Gott kann deshalb heute keine Zugeständnisse mehr der „Herzenshärtigkeit” machen und Vielweiberei gestatten, und andererseits können wir zwar nicht die Dinge des Fluches und der Folgen der Sünde in der Welt aufheben (die verschiedenen Stände: Herr und Knecht), aber wir, die wir das Licht der Offenbarung Gottes besitzen, sind berufen, in demselben Geiste der Gnade und Liebe zu wandeln, in dem Sich Gott offenbart, und zu Seinen Ursprungsgedanken zurückzukehren.


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 5 (1917)