Befreiung von Sünde im praktischen Leben

Wie kann ich in meinem Leben besser als bisher praktische Erfahrung machen von Joh. 8,36 oder auch von Röm. 6,11ff. und anderen Stellen, die über die Befreiung von Sünde und Sündigen handeln?

Antwort A

Wie entsteht eine Sünde? Der Vorgang ist etwa folgender:
Eine Versuchung kommt plötzlich über uns - ein Gedanke steigt in unserem Herzen auf (Mt. 15,19) und fordert uns auf, eine Sünde zu tun, oder von außen gelangt eine Versuchung (etwa in einem Bilde) an uns heran (Mt. 5,29) und vergiftet unser Innerstes.

Hat ein Mensch den Heiligen Geist empfangen (Röm. 8,9), so wird er empfinden, dass der Geist in ihm wider das Fleisch streitet (Gal. 5,17) und - der Kampf ist da; es wird nun darauf ankommen, wer gewinnt. Eigene Kraft wird nicht ausreichen, um die bösen Gedanken oder die unreinen Bilder aus dem Herzen zu schaffen. Hier muss Gott Selbst eingreifen als der Stärkere. (Lk. 11,22.)

Nach Röm. 8,2 sind wir erlöst von der Macht der Sünde, denn wir sind durch den Herrn Jesum in ein Gebiet versetzt worden, innerhalb dessen der Heilige Geist wirkt. Das Wirken des Heiligen Geistes bei unseren inneren Nöten verspüren wir nur dann, wenn unser Wille ganz auf den HERRN hin gerichtet ist. „Sollen wir denn in der Sünde beharren? - das sei ferne!” (Röm. 6,1 u. 2.)

Von uns aus muss zuerst jeder innere Widerstand aufgegeben werden (Mt. 16,24; Joh. 12,25), und dies geschieht, indem man so tut, wie wenn man sich gar nicht kennete. Solches Tun bedeutet ein Verzichten auf das bisherige von Gott losgelöste Eigenleben. Ist nun unser Herz geöffnet, so wird der HERR Abendmahl mit uns halten (Off. 3,20), und wir werden Seine Stimme hören. Solange wir nun Jesu Stimme hören (Joh. 10,27 u.
28), solange steht es gut mit uns, und wir werden die praktische Erfahrung von Joh. 8,36 machen. Es sei daher unsere stete Sorge, dass wir mit dem HERRN immer in Hörweite verbunden bleiben. Können wir Jesu Stimme nicht mehr hören, dann sind wir auf einem Irrwege; sobald wir nun dieses gewahr werden, zurück zum HERRN, und Er wird antworten, ehe wir rufen. (Jes. 65,24.)

Bringe alles zu Jesu, was du an Befleckung des Fleisches oder des Geistes an dir entdeckst, und wäre es nur der nebelhafte Schatten eines ungöttlichen, aber noch nicht formulierten Gedankens; lass dich immer und immer wieder reinigen,” so schreibt Pastor Otto Stockmayer in einer Schrift. Durch dieses Bekennen, d. h. Mit-Namen-nennen unserer Sünde (1. Joh. 1,9), bleiben wir in der rechten Abhängigkeit vom HERRN, und Er vergibt und reinigt uns stets aufs neue.
Den Ausdruck „treibet” in Röm. 8,14 übersetzt die Miniaturbibel mit „leiten lassen”. Dieses „Sich-leiten-lassen” erfordert innere Stille und Aufmerksamkeit (Psalm 40,8) zum Hören der Stimme und dann Gehorsam; es ist nicht möglich ohne eine stets einwilligende Handlung des menschlichen Willens von Fall zu Fall, vgl. Röm. 12,2!
Halten wir im Gedächtnis Jesum Christum (2. Tim. 2,8), damit wir mit Kraft gestärkt werden durch Seinen Geist am inwendigen Menschen; dass Christus wohne durch den Glauben in unseren Herzen! (Eph. 3,16 u. 17.)
C. L.

Antwort B

Die gestellte Frage ist von größter Wichtigkeit für ein jedes Kind Gottes, da wir wohl alle - der eine mehr, der andere weniger - die Erfahrung gemacht haben, dass wir von der Verwirklichung der Befreiung, von der der Herr Jesus in Joh. 8,36 spricht, oft noch recht weit entfernt sind.
Es kommt Befreiung in verschiedener Beziehung in Frage, da die Sklaverei, in der der Mensch von Natur sich befindet, eine mehrfache ist.
Die erste - als das Grundübel - ist die Sklaverei unter der Macht der Sünde. Wir alle kennen diese Macht;
der Herr Jesus spricht davon in Joh. 8,34, das ganze Wort Gottes zeigt sie uns in ihrer Schrecklichkeit, in Röm. 6 ist wiederholt vom „Herrschen” der Sünde und vom „Sklaven” der Sünde die Rede (s. V. 12.14.16-20).

Die zweite ist die unter dem Gesetz. In Röm. 7,1 ist gesagt, dass das Gesetz über den Menschen „herrscht”, und nachdem in den weiteren Versen noch von dieser Herrschaft geredet ist, ist in den V. 7-11 von der Wirkung des Gesetzes auf den Menschen infolge des Vorhandenseins der Sünde und in den V. 12-24 der elende Zustand einer Seele gezeigt, die unter der Knechtschaft des Gesetzes des Buchstabens seufzt.

Die dritte ist die der „Welt”, deren Gott und Fürst der Satan ist (s. 2. Kor. 4,4; Eph. 2,2) und in der infolgedessen tiefste Finsternis herrscht (s. Joh. 1,5; 3,19; Eph. 5,8; 1. Petr. 2,9, Schluß), so dass in bezug hierauf von dem Bekehren „von der Finsternis zum Licht und von der Gewalt Satans zu Gott” und von der Errettung „aus der Gewalt der Finsternis” gesprochen ist (Apgsch. 26,18; Kol. 1,13). Ja, die Welt mit ihrer Lust und allen ihren Dingen ist eine große Macht in der Hand Satans. Das zeigt uns Gottes Wort sehr klar in dem alttestamentlichen Bilde Ägyptens, wie es das Volk Israel knechtete, härter und härter, bis es auszog (2. Mose 1,11-14; 2,23-25; 5,4-19), es dann verfolgte, als es ausgezogen war, bis es durch das Rote Meer ging (2. Mose 14,5-10), und seinen Einfluß selbst dann noch auf das Volk Israel ausübte, als dieses bereits in der Wüste war (2. Mose 16,3; 32,3-6; Apgsch. 7,39-41; 4. Mose 11,4-6). Auch Eph. 2,1-3, Kol. 2,8.20 u. a. Stellen reden davon.

So ist der natürliche Mensch ein Sklave im vollsten Sinne des Wortes. Ein solcher Sklave aber kann nichts tun zu seiner Befreiung, nur der Tod macht seiner Sklaverei ein Ende. Dann freilich ist es mit dem Herrschen über ihn aus - dem Toten kann der, dem er bis dahin diente, nichts mehr gebieten, der Tote kann ihm nicht mehr gehorchen, hat nichts mehr mit ihm zu tun. Über einen Menschen, der gestorben ist, hat weder die Sünde noch das Gesetz, noch die Welt mehr irgendwelche Macht (s. Röm. 6,6.7; 7,1-6); Kol. 2,20). Darum kam und starb der Herr Jesus für den Menschen. Aber nicht nur dieses. In Seinem Leben hienieden hat Er als Mensch über die Sünde völlig gesiegt, das Gesetz vollkommen erfüllt und die Welt in allem überwunden, und nachdem Er Sein Leben niedergelegt und so allem zur vollkommenen Befriedigung Gottes begegnet war, ist er auch auferstanden als Mensch und als solcher aufgenommen in die Herrlichkeit, wo Sünde, Gesetz und Welt nicht nur keine Macht, sondern überhaupt keinen Platz haben. Mit diesen Dingen hat Er nie mehr etwas zu tun. Auf diese Weise hat Er eine wahre und völlige Befreiung geschaffen von jeder Sklaverei für ein jedes der Seinen, weil sie völlig eins mit Ihm sind! Sie sind mit Ihm gestorben der Sünde, dem Gesetz und der Welt (Röm. 6,5.6.8; 7,4; Gal. 2,20; Kol. 2,20), sind infolgedessen nicht mehr unter ihrer Macht, und sie sind mit Ihm auferweckt und mitsitzend in den himmlischen Örtern (Eph. 2,6), haben daher nichts mehr mit Sünde, Gesetz und Welt zu tun, und sie sind so befähigt, in Neuheit des Lebens zu wandeln, nicht mehr der Sünde zu dienen, sondern Gott zu leben (Röm. 6,4-11), nicht mehr in Gesetzeswerken sich abzumühen, sondern zu dienen „in dem Neuen des Geistes und nicht in dem Alten des Buchstabens”, da nicht mehr sie leben, sondern Christus in ihnen lebt (Röm. 7,6; Gal. 2,20), und nicht mehr nach den Elementen der Welt zu leben, denn sie sind ja „gestorben und ihr Leben ist verborgen mit dem Christus in Gott” (Kol. 3,2.3).

Wenn nun der Sohn euch freimachen wird, so werdet ihr wirklich frei sein!” In der Tat, es ist eine wirkliche und völlige Befreiung, die der HERR den Seinen gebracht hat!
Warum aber spüren wir noch so wenig von dieser herrlichen Befreiung? Beugen wir uns in den Staub - an Ihm liegt es nicht, sondern an uns! Er hat alles getan und gegeben; an uns liegt es, zu glauben und im Gehorsam uns Ihm hinzugeben. Wie wir einst im Glauben Ihn, den Sohn, als unseren Erretter und Befreier annahmen und die Herrschaft über unser Leben auf Seine Schulter legten, unser Leben Ihm übergaben, so beruht auch für die weitere Folge das ganze Geheimnis der wirklichen Befreiung allein in der beständigen Hingabe an Ihn durch Glauben. - Er ist es, durch den allein die Befreiung, wie alles andere, ist! Suchen wir, Ihn mehr in unser Leben eintreten zu lassen! Insoweit ich beiseite gesetzt bin und Er mein Herz, mein Leben ausfüllt, hat die Sünde keine Macht, tue ich nichts aus knechtischer Gesetzesfurcht, folge ich nicht den Einflüssen und Forderungen der Welt! Ja, Seine Person ist die wunderbare Kraft, in der der Glaube überwindet, und Er ist ja für einen jeden von uns nach Seiner ganzen Person da! O, wie kostbar und ermunternd für uns! Wir preisen Dich, Herr Jesus!
Th. K.

Anmerkung des Herausgebers

Wie schön, wie klar belehrend, aber auch wie praktisch sind diese beiden Antworten! Möchten sie uns allen zum Segen sein!
Ja, wenn wir im täglichen Leben keine Erfahrungen vom Sieg über die Sünde nach Joh. 8,36 u. a. machen, so liegt das nur an uns, nie am HERRN. Er hat die Grundlage geschaffen, auf der wir überhaupt Sieg haben können, indem Er die Sünde hinwegnahm (Joh. 1,29, vgl. Frage 46/47 in Band ll, 1914!). Wer im Glauben zu dem Lamm Gottes gekommen ist, der hat es erfahren, dass „das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, uns von aller Sünde reinigt” (1. Joh. 1,7). Wir stehen damit auf einem neuen Grund und Boden, wie es grundsätzlich ausgedrückt ist in 1. Kor. 6,11: „... aber ihr seid abgewaschen, aber ihr seid geheiligt, aber ihr seid gerechtfertigt in dem Namen des Herrn Jesu und durch den Geist unseres Gottes.” Das sind Grundtatsachen! Wer nicht auf diesen steht, also gar nicht wahrhaft bekehrt ist, der muß, wenn er's überhaupt tut, vergeblich kämpfen gegen die Sünde, denn sie beherrscht ihn, ja noch mehr, sie ist sein Todeselement, in dem er gefangen ist. So lange einer im Gefängnis sitzt, nützt das Kämpfen, um herauszukommen, nichts, ist er aber außerhalb desselben, so kann er acht geben, nicht hineinzukommen! Ein hinkender Vergleich freilich, aber er zeigt in etwa, was es heißt, das, was wir oben „Grundtatsachen” nannten, im Glauben erfaßt und verwirklicht zu haben und zu halten („in Christo”).

Dann erst beginnt das Leben unseres persönlichen Sieges über den von Christo besiegten Feind. Und da ist natürlich eine stete praktische Willensabneigung von der Sünde (vgl. Kol. 3,5ff.), wie Antwort A zeigt, ja, eine stete Wachsamkeit, ein Genaunehmen mit den kleinen Dingen, „den kleinen Füchsen” (Hohel. 2,15), und Abhängigkeit vom HERRN nötig. Diese letztere muss auch eine ständige sein, jede Unterbrechung derselben unsererseits ist ja, weil Unglauben, an sich schon ein Unrecht und führt unbedingt, wenn der Vater in Seiner Gnade solch ein Kind nicht geradezu verhindert zu fallen, zu schmerzlichen Verfehlungen, Übertretungen und Sünden. Um davon im einzelnen Fall gereinigt zu werden, ist uns in 1. Joh. 1,9 der Weg gezeigt (vgl. Frage 34!). - Noch einige Worte über das praktische Überwinden! Wir lesen in dem an Kinder Gottes gerichteten Wort 1. Joh. 3,23 (vgl. Joh. 14,1) von dem „Glauben (Vertrauen) dem (an den) Namen Seines Sohnes Jesu Christi”; das ist die Abhängigkeit von Ihm und Seinem Wort; man tut dann nichts aus eigener Kraft, setzt in allem das Vertrauen auf Ihn, blickt auf Ihn (Hebr. 12,2 nach dem Glaubenskapitel Hebr. 11!), ist zugleich Seinem Worte gehorsam, kurz man „bleibt in Ihm” (1. Joh. 3,6). Dann hält Sein Geist die Zügel der Regierung unseres Lebens und Wandelns, bewahrt uns in den Versuchungen und bringt die Frucht in unserem Leben hervor, die Gott wohlgefällig ist (Gal. 5,22); nicht durch unsere Anstrengungen geschieht das, sondern durch Ihn Selbst. Wir wissen, das Fleisch bleibt schlecht (Röm. 7,18), aber uns leitet der Geist Gottes (Röm. 8,9.13.14), dass wir die Lüste des Fleisches nicht tun. Das ist in Wahrheit praktische Heiligung, wenn „wir in Ihm und Seine Worte in uns bleiben” (Joh. 15,7), wenn wir Ihn in Seinem Worte anschauen und in Ihm unser Leben, Vorbild, Ziel, unsere Freude (vgl. Nehem. 8,10 Schluß!) und Kraft sehen, wie es uns der Philipperbrief zeigt (vgl. Frage 4!). Da gibt es Sieg, da gibt es ein Hineinverwandeltwerden in Sein Bild (2. Kor. 3,18, vgl. Frage 18!), da hört das Klagen über Niederlagen und beständiges Am-Boden-liegen auf, da gibt's ein ruhiges Wachstum, bewirkt durch den Geist Gottes. Er macht dann alles! Mit Christo ist uns ja alles geschenkt, so dass wir wandeln können „im Neuen des Geistes”, wie Antwort B so schön zeigt. Lesen wir noch Röm. 8,31.32 u. 2. Petr. 1,3ff.! - Gepriesen sei Er, der uns freigemacht von der Sünde und dessen Gnade genügt (2. Kor. 12,9, siehe auch das wichtige Wort Hebr. 4,16!), um uns täglich durch Seinen Geist (Gal. 5,25) in Neuheit des Lebens wandeln zu lassen (Röm. 6,4)!


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 3 (1915)