Auslegung Lukas 16,25

Wie ist Luk. 16,25 zu verstehen?

Antwort

Soll das heißen: Wieso kann Armsein auf Erden und es bitter Empfindenmüssen im Jenseits das tröstliche Los des Lazarus zur Folge haben, und Reichsein und sich darin Ausleben die Pein des Reichen? Dann ist zu antworten, dass allerdings an und für sich weder das eine noch das andere den geschilderten Ausgang bedingt. Der ergibt sich daraus, wie das eine und das andere in Israel, im Judentum, im Verhältnis zu Jehova, zu Gott, sich auswirkte. Denn dem Juden musste es aus den Schriften bekannt sein, dass wohlhabend oder gar reich sein bedingte, dem Notleidenden zu helfen, nicht nur den gesetzlichen Zehnten zu geben, wie die Pharisäer sich brüsteten zu tun, daneben aber der Witwen Häuser verschlangen, wie der HERR ihnen vorwirft. Dem Almosengeben wurde von den Juden der nachexilischen Zeit in den Apokryphen sogar ein übertriebener Wert beigelegt, so dass gelehrt wurde, Almosen erlösten von allen Sünden, ja vom Tode: Tob. 4,11; Sir. 3,33, was die Schrift nicht sagt. Die Schrift spricht verschiedentlich davon, wie, unter dem irdischen Volke Gottes, des Armen gedenken die Gerechtigkeit des Mannes dartue (Psalm 112), ja sogar glückselig preist sie den, der des Elenden sich erbarmt (Spr. 14,21), der acht hat auf den Armen (Psalm 41,1), mit welch letzterem Wort zugleich das durch Dürftigkeit herbeigeführte körperliche Heruntergekommensein bezeichnet wird.

In dieser Beziehung werden in den Schriften des Alten Testaments die Armen und Elenden betrachtet als auf Jehova Geworfene, als das Wort Jehovas Erkennende, als auf Ihn Achtgebende. (Sach. 11,11 u. a. O.) Gerade so nimmt der Herr die Sachlage auf, Lk. 6,20.21 hinsichtlich der Armen, 24.25 hinsichtlich der Reichen, ebenso später Jak. 5,1-3.5.

Durch das Erscheinen des Herrn Jesus war die Sachlage noch ernster geworden, drängte auf Entscheidung. Jehova war da. Jesus wurde nicht angenommen. So war auch die Aufrichtung des Reiches mit seinen irdischen Segnungen hinausgeschoben. Das gegenwärtig mit irdischen Gütern Gesegnetsein, wie Jehova es unter der Bedingung des Haltens des Gesetzes dem Volke einst verheißen hatte, war längst nicht mehr ein Beweis des Wohlgefallens Jehovas, war vielmehr ein Prüfstein zur Offenbarung des Herzenszustandes durch die Art der Verwendung des Reichtums. „Mammon der Ungerechtigkeit” heißt ihn der HERR, weil sich seine Existenz auf die Ungerechtigkeit des in die Sünde gefallenen Menschen gründet. Darum wollte Jesus nicht Erbteiler sein. (Lk. 12,13ff.)

Reich sein in bezug auf Gott war das Gebot der Stunde (Lk. 12,21); auf Gott geworfen sein (22-32); sich einen Schatz im Himmel sammeln; Jesu, des Messias, Verwerfung teilen und Ihn als Wiederkommenden und die zukünftige Segnung im Reiche erwarten (31-36).

So ist die Lage in der Umgebung des HERRN damals, wenn man sie zu sehen vermag, summarisch gekennzeichnet durch zwei Kategorien (Arten) Menschen. Die eine bleibt am Irdischen kleben, die andere schließt sich an Christum an und gibt vor der Hand das Irdische dran. Dies zu tun prägt Er dieser Kategorie auch ein, indem Er ihnen sagt, sie sollten die Handlungsweise des klugen Verwalters zum Vorbild nehmen: nämlich den gegenwärtigen Besitz, der doch keinen Bestand hat, zu einer Grundlage für die Zukunft machen, so die einzig richtige Verwendung davon machen. (Vgl. 1. Tim. 6,17-19!) Wie auch der weniger Begüterte die Mahnung befolgen kann, ist so schön in Tob. 4,9 gesagt: „Hast du viel, so gib reichlich; hast du wenig, so gib doch das Wenige mit treuem Herzen.

Die Pharisäer hörten alles mit an, sie, die gerade die Vertreter der Kategorie waren, die am Irdischen klebt, und ihm, dem HERRN, entgegengesetzt war. (Lk. 16,14) Nicht nur schlugen sie Seine Belehrungen in den Wind, sondern trieben noch ihren Spott mit Ihm und Seinen Lehren, „rümpften die Nase über Ihn”, wollten von Seiner Belehrung über das Eingehen ins Reich nichts wissen. (V. 16 und Mt. 23,13) Wie antwortet der Herr Jesus in Seiner erhabenen Ruhe auf ihr Naserümpfen? Durch das Vortragen der Geschichte vom „reichen Mann und dem armen Lazarus” = Eleasar = Gotthilf. Ist nicht der Name, den der HERR dem Armen beilegt, die Kennzeichnung, der Ausdruck von dem, was wir über das Verhältnis, die Stellung des Armen zu Gott gesagt haben? Der Reiche wird keiner Namensnennung wert geachtet. „Sie haben ihren Lohn dahin”, sagt der HERR von den ehrsüchtigen, reichtumliebenden Pharisäern. (Mt. 6,16) Das heißt: Die Ehre von seiten der Menschen ist das, was ihr Tun wert ist: Vor Gott und nach dem Leben auf Erden haben sie keinen Titel und keine Anerkennung.

Welch ein Spiegel für sie, diese Geschichte! Ob sie sich drin sahen oder nicht: Für alle Zeiten ist sie zur Lehre für alle in der Schrift niedergelegt. Sie, die Pharisäer, erkannten an, so wie die orthodoxen Christen alle, dass es eine Auferstehung der Toten gebe, sowohl der Gerechten als der Ungerechten. (Apg. 24,15) Das bringt der HERR aber gar nicht herein. Er lüftet vielmehr den Vorhang der gegenwärtig unsichtbaren Welt und zeigt den zwischen dem jetzigen Leben und dem Leben in Auferstehung liegenden Zustand des Reichen ohne Namen und des Armen, des Gotthilf, um den Zusammenhang des Lebens im Leibe und des Lebens nach dem Abgeschiedensein in seiner Folgerichtigkeit zur Anschauung zu bringen. Denn des Leibes als des Organes zur Befriedigung der selbstsüchtigen Wünsche und Gelüste ledig sein und auch von Gott, nach dem man nicht fragte, ferne sein, das ist Qual, das ist Brunst, der die Befriedigung versagt ist, das ist Pein, wie Feuers; während für den auf Gott geworfenen und am Leibe geplagten Armen das Verlassen dieser Hülle Stillung der nach Gottes Nähe verlangenden Seele ist.

Abraham im Jenseits verleugnet durchaus nicht die irdische Verwandtschaft. Aber nicht das ist eben das Ausschlaggebende, sondern die Einstellung des Herzens (V. 15), wie wir schon sagten, und das daraus hervorgehende Umgehen mit Anvertrautem. Nicht um Lehre von Glauben, von Sündenvergebung, von Rechtfertigung usw. handelt es sich, sondern um recht praktische Darstellung des Ausgangs zweier gewisser Lebenswege. Bilder sind es zweifelsohne, die dazu verwendet werden; aber nur aus dem Grunde, dass uns die Sache verständlich sei. Durch den Körper empfinden wir in dieser Welt. Daher gebraucht der HERR das Materielle, um Unsichtbares, Geistiges zu beschreiben. „Geister” sind die Abgeschiedenen. (Hebr. 12,23) Die Qualen im Hades sind geistige. Der Hades ist einfach der Zustand nach dem Abgeschiedensein aus der materiellen Welt. Der Schoß Abrahams ist bildliche Bezeichnung des Platzes besonderer Segnung, wie ihn der Jude sich als höchste Ehre und höchstes Befriedigtsein nur denken konnte: von dem Menschen betreut und geliebkost zu werden, der als einziger in der Schrift „Gottes Freund” betitelt wird! (Siehe 4. Mose 11,12 und Jes. 49,22;<„Busen” und „Schoß” ist dasselbe Wort. Es meint die Brust mit den umfassenden Armen, zugleich den Bausch, die Busenfalte des weiten orientalischen Gewandes: Ps 129,7; Neh. 5,13 mit Fußnote Elbf. Übers.; Joh 1,18; 13,23. (D. Verf.)> und siehe Jes. 41,8; 2. Chr. 20,7; Jak. 2,23.)
Man beachte, dass der HERR Grundsätzliches hinstellt in diesem 25. Vers: Gutes völlig empfangen - Böses völlig empfangen; wird getröstet - leidest Pein: Gewesenes und nun Seiendes. Nicht „getan haben” ist die Frage. Weder wird Böses getan haben von dem Reichen, noch Gutes getan haben von Lazarus berichtet; nur der denkbar größte Gegensatz; so auch im Abgeschiedensein die große Kluft. Es ist wiederum dem menschlichen Begriffsvermögen angepaßt, wenn das „hier” im Abgeschiedensein „Ort” genannt wird (V. 28) und das Trennende „eine Kluft” (V. 26). Wir könnten uns sonst das Getrenntsein nicht vorstellen. Es steht uns auch nicht zu, darüber zu urteilen, inwieweit die, welche schon im Hades als Verlorene erscheinen, Kenntnis davon haben, wie es um die Seligen bestellt ist. Es muss uns genügen, zu wissen, dass sie Kenntnis haben darüber, dass es Selige gibt. Wir wagen auch nicht, zu sagen, dass es sich um ein Gleichnis handle. Es ist nichts zum Ver-gleich-en da! Es ist feierliches Schauenlassen in dieunsichtbare Welt, zur Nutzanwendung für jeden, der davon Kenntnis hat!
F. Kpp.

Anmerkungen des Schriftleiters

Nur wenige Worte!
Der aufmerksame Leser vorstehender Antwort wird es dankbar empfinden, dass ich die Frage genau so unbestimmt gelassen habe, wie sie mir übergeben wurde. Dadurch sind wir in den Genuß dieser umfassenden, klärenden Beantwortung gekommen, die uns fast die ganze vorliegende Geschichte in großen Umrissen vor Augen führt. -

Und diese nicht als Gleichnis, als welches sie so oft angesehen wird, mir stets zum Schmerz! Ich gehe mit dem Verfasser ganz einig, dass sie mehr ist als ein Gleichnis! Habe ja z. B. bei Frage 9 dieses Jahres in meinen Auslassungen über Gleichnisse (Seite 139f.) betont, dass ich u. a. die Geschichte von den verlorenen Söhnen (Lk. 15) auch nicht als Gleichnis ansehen könnte. Nennt doch auch die Schrift jene Geschichte gar nicht ein Gleichnis - warum wollen wir Menschen eins daraus machen?!
Nun, Lk. 16, die Geschichte „vom reichen Mann und vom armen Lazarus” heißt der Verfasser obiger Antwort „ein feierliches Schauenlassen in die unsichtbare Welt”. Das ist doch sehr kostbar gesagt. Wie belehrend ist auch diese Geschichte nach jeder Seite hin! Dass sie dem jüdischen Verständnis und Empfinden angepaßt ist, ist doch nur natürlich - sie ist darum doch für uns nicht minder wichtig und eindrucksvoll, denn das Grundsätzliche - wovon oben geredet ist - bleibt davon, wie es eingekleidet ist, gänzlich unberührt und gilt für alle Zeiten. Es zeigt uns das gewaltige Entweder-Oder, das ernste Unabänderlich, das Unwiderruflich! Es stellt den Menschen von heute - ob er's annehmen will oder nicht - genau wie den von damals vor die Tatsache, dass ein die Augen hienieden nicht zu Gott Aufgehobenhaben zur sicheren Folge hat, dass sie aufgehoben werden dann und dort (V. 23), wo keine Änderung des Zustandes - fern von Gott und Seiner Gnade - mehr möglich ist. Wie unsagbar ernst! Wir dürfen diesen Ernst nicht durch Umwandlung des Gemäldes in ein Gleichnis abschwächen, sondern wir sollten den jenen Pharisäern ähnlichen Menschen, mit denen wir es heute zu tun haben, die unbeugsame Macht dieses Bildes der Wirklichkeit, das für unser Aufnahmevermögen verständlich gezeichnet ist, vor Augen halten, damit sie Lazarus-Charaktere werden, ehe es zu spät ist! Täglich gehen Menschen in die Ewigkeit, täglich erfüllt sich die Wirklichkeit dessen, was der HERR uns hier schauen läßt! - Legt dieses uns, den Mitwissern dieser Geheimnisse, keine Verantwortung aufs Herz? Der HERR wolle sie uns zeigen!


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 15 (1930)