Antwort A
Ausgeschnittenwerden ist dasselbe wie Weggeschnittenwerden. Der Gärtner schneidet einen Zweig weg, wenn er, etwa durch den Wurm zerstört, anfängt zu vertrocknen, und also keine Lebensverbindung mehr mit dem Stamme hat (vgl. Joh. 15,4-6). In dem Volke Israel haben wir ein solches Bild vor uns. Es hätte der Stammbaum des neuen Paradieses sein sollen, doch der Wurm der Sünde fand Raum hinter der Rinde äußerer Heiligkeit und verwüstete den größten Teil der Zweige, so dass Gott diese Zweige wegschneiden musste (vgl. z. B. 4. Mose 25,1-9; 5. Mose 32,5-6; 1. Kön. 12,19). Nun musste Gott die weggeschnittenen Zweige ersetzen, und Er tat dies, indem Er Zweige aus einem wilden Stamm ausschnitt und in den alten Stamm einsetzte. - Und nun, lieber Mitpilger, du und ich und unsere Mitgeschwister - wir sind die neu eingepfropften Zweige, darum lasst uns von Gott Gnade erbitten, dass der Wurm der Sünde nicht in uns hinein komme, damit Gott keinen von uns wegschneiden muß; denn die Sünde trennt uns und Gott!
K. K.
Antwort B
Der Gegenstand der Gedanken und Wege Gottes wird einem edlen Ölbaum verglichen. Christus (die Wurzel) (Off. 22,16; Jes. 11,10) ist die Quelle, die Ursache aller Segnungen (der Saft), welche das Volk Israel (die Zweige) genießen sollte (Jes. 53,2; Mt. 15,24; Röm. 9,4.5). Nun ist das letztere wegen seines Unglaubens beiseite gesetzt und aus den Nationen die Christenheit an den Platz Israels gebracht worden (ein wilder Ölbaum eingepfropft). Dieselbe aber bewährt sich nicht besser, wie wir es in den christlichen Ländern Europas sehen, und geht dem Gericht Gottes entgegen. Dann wird der Überrest Israels (von den abgebrochenen Zweigen des edlen Ölbaums) wieder angenommen (eingepfropft), nachdem Gott die hochmütige, weltselige, tote Christenheit gerichtet haben wird (vgl. Mt. 3,10; Lk. 3,9!). - Dieses Gericht verstehe ich unter dem „Ausgeschnittenwerden”. Es entspricht dem Ausspeien in Off. 3,16 und dem Fall Babylons in Off. 18; es bezieht sich also meiner Erkenntnis nach keineswegs auf einzelne Personen, sondern vielmehr auf eine Gesamtheit.
Jedoch sehr ähnlich verhält es sich mit Joh. 15, 2-6, wo, wie ich glaube, von sich (mit Unrecht) auf Jesu Namen berufenden einzelnen die Rede ist.
R. W. D.
Antwort C
Im Römerbrief wird zwei Gefahren entgegengetreten, die damals bestanden und ebenso heute noch bestehen. Die eine Gefahr ist die, dass die Gläubigen ans den Juden meinten, einen Vorzug vor den anderen zu haben, weil sie das auserwählte Volk Gottes von alters her waren, dem die Aussprüche Gottes anvertraut und die Verheißungen gegeben waren und aus welchem, dem Fleische nach, der Christus war. Die andere entgegensetzte Gefahr aber war die, dass die Gläubigen aus den Nationen die Juden verachten, meinend, diese seien von Gott gänzlich und für immer verstoßen, weil sie als Volk ihren Platz vor Gott verloren hatten und die Gläubigen an ihre Stelle getreten waren. Letztere Gefahr ist es, der der Apostel hier in unserer Schriftstelle begegnet. Von Vers 1 an (Kap. 11) eifert der Apostel gegen die irrige Annahme, dass Gott Sein Volk verstoßen habe, zeigt den herrlichen Ratschluß und die wunderbaren Gnadengedanken Gottes in Verbindung mit diesem Volke und nimmt so allem Irrtum über dasselbe und jeder Anmaßung gegen dasselbe allen Boden (V. 1-15).
In Weiterführung dieses Gedankens gebraucht nun der Apostel das Bild von einem Ölbaum (V. 16-24). Warum nicht Weinstock oder Feigenbaum, sondern Ölbaum? Öl weist immer auf den Heiligen Geist hin, und mit dem Öl finden wir Licht verbunden (s. 2. Mose 27,20). Licht lässt die Dinge so erscheinen und erkannt werden, wie sie sind, den Tatsachen entsprechend, gibt also der Wahrheit Zeugnis. So finden wir auch in bezug auf den Ölbaum, wenn wir Sach. 4 und Off. 11,3.4 lesen, dass es sich um das Zeugnis für Gott auf der Erde handelt. Israel war erwählt, dieses Zeugnis zu sein. Es fehlte darin. Da kam der HERR, Israel verwarf Ihn. Deshalb wurde es beiseite gesetzt, und die Nationen traten an ihre Stelle: die natürlichen Zweige des Ölbaumes wurden ausgebrochen - durch ihren Unglauben - und die Zweige des „von Natur wilden Ölbaumes” wurden eingepfropft. Und die „Wurzel” des Ölbaumes, die die „Fettigkeit” des Ölbaumes spendet und die Zweige trägt? Diese ist der Christus, welcher über alles ist, Gott, gepriesen in Ewigkeit” (9,5)! Er ist es, in dem das Zeugnis Gottes auf der Erde seinen Anfang hat, der es nährt und erhält und Seinen Zeugen alles darreicht bis ans Ende. Auch in dieser Beziehung ist das Bild göttlich vollkommen; es zeigt so recht, dass alles Leben und alle Kraft von Ihm ausgeht und Seine Zeugen völlig von Ihm abhängig sind. Sie haben daher keine Ursache und kein Recht, sich zu rühmen - auch nicht gegen die „ausgebrochenen Zweige”, Israel, denn wie diese ausgebrochen - beiseite gesetzt - sind durch den Unglauben, so stehen sie, die an deren Stelle gesetzten, „eingepfropften Zweige”, allein durch den Glauben (V. 20), und Gott kann auch sie beiseite setzen („ausschneiden”), wenn sie etwa auch in Unglauben fallen, nicht an Seiner Güte bleiben (V. 21.22); auch kann und wird Er Israel wieder einsetzen („wieder einpfropfen”), wenn sie nicht im Unglauben bleiben. Dieses alles wird seine Erfüllung finden. Die Gemeinde, die „Kirche”, hat gefehlt in ihrem Zeugnis hienieden - wie immer der Mensch, wenn etwas ihm anvertraut ist - und es kommt die Zeit, wo sie völlig versagen und deshalb gänzlich beiseite gesetzt werden wird, wenn die wahre Gemeinde entrückt und nur noch eine tote Bekennermasse da sein wird, die der HERR ausspeien wird aus Seinem Munde” (Off. 3,16). Die unbrauchbaren Zweige werden nicht geschont, sondern ausgeschnitten werden. Dann wird „ganz Israel errettet werden” (V. 26), „unter die Begnadigung kommen” (V. 31) und wieder das Zeugnis für Gott sein auf der Erde: die „natürlichen Zweige” werden wieder „in ihren eigenen Ölbaum eingepfropft” werden (V. 23.24).
Es ist also nicht das ewige Heil, sondern der Platz als Zeugnis für Gott hienieden die Frage. (Dazu stimmen die Ermahnungen in den folgenden Kapiteln.)
Ich bin mir der Schwachheit meiner Ausführungen bewußt; aber ich möchte dienen mit dem, was der Herr mir über diesen wichtigen Gegenstand gegeben hat. Wichtig ist er für einen jeden Gläubigen persönlich nicht nur darum, weil es gut ist, klar zu sein über diesen Gegenstand, sondern auch darum, weil er uns mahnt, treu zu sein, demütig zu sein, Seine Güte zu erkennen und an derselben zu bleiben im Glauben. Der HERR schenke uns dazu Gnade!
Th. K.
Anmerkung des Herausgebers
Sicher ist dieser Gegenstand sehr wichtig, doch ist es nicht leicht, im Rahmen einer kurzen Antwort darüber umfassende Klarheit zu geben. - Vorstehende Antworten versuchen, Licht auf diese Stelle fallen zu lassen, und wir hoffen, dass sie manchem dienen.
Wir glauben aber keinesfalls, dass sich, wie der Schluß von Antwort A vermuten läßt, dieser Gegenstand (das „Ausgeschnittenwerden”) auf den einzelnen Gläubigen bezieht, demzufolge dieser für ewig von Gott geschieden werden könnte; vielleicht meint jedoch der Verfasser das letztere auch gar nicht; wichtig bleibt aber jener Schlußsatz der Antwort insofern, als es bezüglich des Zeugnisses auf Erden (dieses Vorrechts, das zuerst Israel gehörte) durchaus eine ernste Tatsache ist, dass Gott bisweilen solche Zeugen unter den Gläubigen von der Erde fortnimmt, die dem Zeugencharakter (Christo Jesu gemäß) nicht entsprechend wandeln und das Zeugnis schädigen. Diese aber werden nicht für ewig von Gott getrennt, sondern sie werden (nur) „abgeschnitten aus dem Lande der Lebendigen”, eben weil sie unbrauchbar für Gott waren (vgl. 1. Kor. 5,5). Ebenso verhält es sich, soweit ich sehe, in Joh. 15,6 mit den vom Weinstock abgeschnittenen Reben, die keine Frucht brachten auf dieser Erde (es ist hier nicht vom ewigen Leben die Rede, sondern vom Fruchtbringen!).
Wir möchten nun nicht mehr auf die Frage eingehen, wir müßten sonst zu weit ausholen; wir glauben, dass vorstehende Antworten genügen. Nur eins: Wer da annimmt, durch das „Du” des Apostels (in jenen Versen) berechtigt zu sein, seine Darlegungen als den einzelnen persönlich angehend auffassen zu dürfen, der sei erstlich an Vers 13 erinnert, in dem Paulus von sich redet, obwohl er doch nur ein Vertreter der Gesamtheit des gläubigen Überrestes Israels war, ferner aber an Kap. 2, V. 3 u. 17ff., woraus deutlich hervorgeht, dass der einzelne genannt wird als Vertreter des Ganzen, weil dadurch der Grundsatz klarer hervortritt. (Auch wir machen es oft ähnlich, wenn wir, z. B. in Gedichten, das einzelne Glied einer Nation anreden, während wir die Nation meinen.) Wer diese Stelle auf den einzelnen anwendet, statt auf die Gesamtheit (Israel - Nationen, als Baum des Zeugnisses auf Erden!), der zerstört den ganzen Zusammenhang, vielleicht zugunsten - wie uns bekannt ist - eines hieraus gezogenen trügerischen Beweises für das Verlorengehenkönnen von Kindern Gottes. Aber um diese Frage handelt es sich hier gewiß nicht, überhaupt nicht um die persönliche Errettung, sondern vielmehr - was das Heil (die Begnadigung) betrifft - um die Wege und Grundsätze der Regierung Gottes, auf Grund welcher überhaupt die Errettung derer aus den Nationen ermöglicht wurde, und ferner, wodurch diese für die Nationen wieder unmöglich werden wird: wenn nämlich Gott die eingepfropften Zweige (die Nationen) infolge ihrer Schuld ausschneidet, worauf dann ganz Israel (das ungeteilte Ganze des Volks) errettet wird (V. 26). Kurz gesagt: in dieser Stelle handelt es sich um Grundlinien, nicht um Einzelergebnisse!