Antwort A
In Kap. 1,10 sagt Jehova zu Jeremia: „Siehe, Ich bestelle dich an diesem Tage über die Nationen und über die Königreiche, um auszurotten und niederzureißen und zu zerstören und abzubrechen, um zu bauen und um zu pflanzen.” Ist das nicht sinnbildlich? Die Aussprüche über die Nationen und Königreiche waren selber die wirkende Kraft, die das Genannte herbeiführte, wie Jehova in Vers 12 sagt: „... Ich wache über Mein Wort, es auszuführen”; und in Kap. 25,13: „Ich werde über jenes Land alle Meine Worte bringen, die Ich über dasselbe geredet habe: alles, was in diesem Buche geschrieben steht, was Jeremia geweissagt hat über alle Nationen.” Für sinnbildlich gemeintes, gar nicht buchstäblich auszuführendes Tun siehe auch Kap. 3,12.21; 5,10; 7,29; 13,20.
So ist auch die in Frage stehende Handlung aufzufassen.
Im Anschluß an die sieben ersten Verse des 25. Kapitels lässt Jehova dem ganzen Volke von Juda und allen Bewohnern von Jerusalem sagen (Vers 3), dass Er alle Geschlechter des Nordens und Nebukadnezar über Kanaan und über alle Nationen ringsum bringen werde zum Vertilgen. Dem Propheten persönlich, wie das einführende „Dann” von Vers 15 zeigt, gibt Er es durch einen gedanklich-sinnbildlich aufzufassenden Auftrag zu verstehen. Der Prophet, mit solch gedanklich-sinnbildlichem Handeln vertraut, tut in Gedanken so, wobei prophetische Ekstase (Verzückung) hinzugedacht werden darf. Das ist das, was in Kap. 1,10 steht. „Und ich nahm”, Vers 17, kann ebensogut mit „und ich nehme” übersetzt werden (so Buber und Rosenzweig), was leichter an die prophetische Ekstase denken läßt. Die als gedanklich-sinnbildlich aufzufassende Handlung den Becher Zornwein betreffend wird in den Versen 30 bis 38 in leichtverständliche Aussprüche umgewandelt, deren Sinnbilder freilich leichter vorstellbar sind als die gedankliche Handlung des Propheten.
Vers 28 hat Bezug auf den Auftrag, ja. Nach dem schon Gesagten kann es sich nicht um eine wirkliche Weigerung handeln, wenn keine tatsächliche Auftrags-Ausführung vorliegt. Sondern die als möglich hingestellte Weigerung will eine dem Leben entnommene Veranschaulichung davon geben, dass es kein „wenn” und kein „aber” in bezug auf die Ausführung der Strafgerichte gibt; der gefällte Spruch ist unabänderlich.
F. Kpp.
Bemerkungen des Schriftleiters
Ich habe zu dieser einfachen, klaren Antwort nichts Besonderes oder Neues hinzuzufügen, aber ich glaube das Gesagte noch etwas unterstreichen zu sollen.
Die prophetische Redeweise ist für schlichte Bibelleser stets schwer verständlich gewesen, vorzüglich dann, wenn es sich um Bildersprache handelt.
Dass in unserem erfragten Text nun solche gemeint ist, wird ohne weiteres deutlich, wenn man andere Stellen vergleicht, wo von einem (sinnbildlichen) „Becher” oder „Kelch” die Rede ist, d. h. von einem „Becher des Zornes” oder „des Grimmes”, der den Trinkenden - etwa vor Angst - „taumeln” macht. Man sehe daraufhin an z. B. Jes. 51,17 u. 22 oder auch Ps. 75,8 u. a.! Auch der „Kelch”, den wir „Kelch des Zorngerichts” zu nennen pflegen, den unser Herr Jesus in Gethsemane vor Sich sah und dort aus des Vaters Hand nahm (Mt. 26; Mk. 14; Lk. 22 und Joh. 18,11) und dann auf Golgatha gleichsam trank, gibt Licht über die Bedeutung dieser Sache. Mit dem Trinken und seinen Folgen ist uns ein Bild gegeben dafür, dass der Trinkende etwas erlebt (vgl. übrigens hierzu Spr. 23,29-35!), was ihn in seiner persönlichen Freiheit beeinträchtigt, ihm entweder den klaren Verstand raubt, ihn eben „trunken” und „taumelnd” macht, nicht mehr äußerlich Herr seiner selbst sein läßt, oder was ihn in tiefe Not, in ein Leiden besonderer Art versetzt, durch welches innerlich seine Sinne „berauscht” und daher ganz unfähig werden, für etwas anderes noch Raum zu haben. („Berauschtsein” kennen wir ja auch als Ausdruck für solche, die durch irgendeine Idee so überwältigt sind, dass sie für nichts anderes mehr Sinn haben, indem jene Idee, oder was es sonst sein mag, sie völlig in ihren Bann schlägt.) So werden jene in Jer. 25 genannten Völker „berauscht”, werden „taumelnd” vor dem Zorngericht Gottes, das an ihnen tatsächlich vollzogen werden soll und das gleichsam in diesem Bilde prophetisch an ihnen schon vollzogen ist, indem der Prophet sie „trinken” läßt, was sie „taumeln” macht, was sie also völlig ihrer eigenen Kraft beraubt (wie einen Trinker!). Das Bild ist sehr ernst, wir sehen die vielen Völker (zuletzt „Scheschak” = Babel) sozusagen an einer langen Trinktafel sitzen, aber nicht zu ihrem Vergnügen, sondern zum Elend und zur Schande, zu einem Gericht, das ihnen jede eigene Bewegungsfreiheit entzieht und sie vergleichsweise zu willenlosen „Trinkern” macht, zu jedes eigenen Willens baren Werkzeugen oder Gegenständen der göttlichen Gerichtsmacht. (So werden auch in der Enderfüllung einmal die göttlichen Strafgerichte die Völker treffen und sie gleich Trunkenen fällen und verderben, wie die Offenbarung zeigt!)
Dass es sich somit nicht um einen wirklichen, äußerlich greifbaren Becher handelt, ist klar, denn wie einer (Keil) gesagt hat: „Der Zorn Gottes ist ja keine trinkbare Essenz” oder „Flüssigkeit”, können wir sagen! Aber er ist ein Sinnbild für die Kraft Gottes, die sich an den gegen Ihn und Sein Volk auflehnenden, selbstbewußten, stolzen Königen als übermächtig-siegreich erweist und sie zur Ohnmacht verurteilt - gleich Trunkenen! - und sie dann richtet, indem Er das Schwert unter sie sendet (V.27). Vers 28 zeigt uns (vgl. Antw. A!) dies Gericht Gottes als unabänderlich, sozusagen als Verstockung für ihre Weigerung, Gott zu gehorchen; sie können diesem Gericht nicht mehr entgehen. „Sie sollen trinken!” Und Vers 29 stellt die alttestamentliche Grundlage für 1. Petr. 4,17.18 dar; vgl. auch Hes. 9 (V. 6!). Dies ist auch sehr wichtig für uns! Wir Gläubige sollen nicht mit der Welt verurteilt werden (1. Kor. 11,32), darum wird ein scharfer Trennstrich gezogen zwischen den uns treffenden Gerichten und denen, die über die gottlose Welt kommen. Aber wenn schon „auch unser Gott ein verzehrendes Feuer” ist (Hebr. 12,29) und „das Gericht am Hause Gottes” (in Jer. 25,29 Jerusalem, in Hes. 9,6 die, welche das Zeichen haben!) beginnt, was wird dann mit dem „dürren Holz” werden?! (Lk. 23,31; Hes. 21,3!)
Welche, „was für welche” sollten wir sein - als Zeugen in einer dem Verderben entgegeneilenden Welt! (2. Petr. 3,11) Der HERR schenke uns Gnade, der Welt die Unabänderlichkeit des über sie kommenden Gerichts zu bezeugen, damit, so es möglich ist, noch solche errettet werden, von denen es sonst heißen würde im Blick auf das unbedingt sicher auch über sie kommende Gericht: „Sie sollen trinken!” Ob sie wollen oder nicht, ob sie es bedenken oder nicht - das Gericht ist bereit für sie!
Welche Gnade, dem Verderben entflohen zu sein! Der HERR mache uns, gerade auch in heutiger Zeit, diese Tatsache recht groß und köstlich!
F. K.