Auf dass Meine Freude in Euch sei

Was meint der Herr Jesus, wenn Er sagt: „... auf dass Meine Freude in Euch sei.“ (Joh. 15,11 vergl. 17,13.)

Antwort A

Das Erfassen des Sinnes dieser Frage ist für das Herz eine köstliche Erfahrung, obgleich dieselbe nur Schritt für Schritt gemacht werden kann.
Die Freude, die im Johannesevangelium und in seinen Briefen erwähnt ist, kann als tiefste im Vollsinn des Wortes betrachtet werden. Sehr oft ist im Worte von „Freude” die Rede. Der Anfang der wahrhaftigen Freude ist uns wohl in Jesu Geburt und deren Ankündigung gegeben (Lk. 2,10 u. a.). In den ersten drei Evangelien wird, soweit es sich um Menschen handelt, meist von Freude äußerer Art berichtet, z. B.: an Geschehnissen, Erfahrungen usf. Die Jünger des HERRN hatten gewiß manche kostbare Erfahrung gemacht, die ihr Herz erfüllte, aber trotz allem musste ihnen gesagt werden, „... dass Meine Freude in euch sei und eure Freude völlig werde”. Die Einführung in das Verständnis dieser Worte blieb meines Erachtens dem Heiligen Geiste übrig, „... Er wird euch in die ganze Wahrheit führen” (Joh. 16,13). Der HERR hatte sie aus der Knechtes- in die Freundesstellung gebracht. Durch Sein Sterben aber wurden sie Kinder Gottes - der Tempel des Heiligen Geistes - Glieder Seines Leibes - Seine himmlische Braut. Zu einer völligen Freude seitens der Jünger gehört andererseits ein vollbrachtes Werk. Wenn nun auch die Erkenntnis unserer vorrechtlichen Stellung viel Freude bereiten kann am inneren Menschen, so ist es doch das Wichtigere, Seine Freude zu verstehen und darin zu wandeln. Es sei ganz kurz einiges über die Kapiteleinteilung gesagt: Joh. 1-11 ist zur Welt gesprochen; Joh. 12-17 redet mehr zu Seinen Jüngern; Joh. 17 bildet eine besondere Lieblichkeit für sich. Der Sohn übergibt das vollbrachte Werk dem Vater. Auch handelt und redet der HERR so, als wäre Er schon von dieser Welt durch Sein Sterben geschieden (17,11). Joh. 18-21 Leiden und Auferstehung.

Dem Herzen des HERRN lag viel daran, dass Seine Jünger in Seine Worte der Belehrung eingingen. Ja, dass sie ein Ahnen von dem kostbaren Verhältnis des Sohnes zum Vater bekämen. Wohl in keinem Evangelium wird die Innigkeit desselben so betont wie hier. Der Leser möge selbst nachforschen über die Stellen, wo der Sohn vom Vater und zum Vater redet. Nehmen wir uns Zeit, auch so zu handeln? Gerade Johannes hebt die Gemeinschaft mit Vater und Sohn hervor. Was bedeutet Gemeinschaft anderes im praktischen Sinne als dies: wie Johannes an Seiner Brust zu liegen! Das ist der göttliche Ort für einen jeden der Erlösten. Als zwölfjähriger Knabe spricht Er: „Muß ich nicht in dem sein, was Meines Vaters ist”, und an Seinem Ende: „Vater, in Deine Hände befehle Ich Meinen Geist”. - Seine Speise war es, den Willen Dessen zu tun, der Ihn gesandt hatte (Joh. 4,34). Das war der Inhalt Seines Lebens, Seine Freude.

Eine gewisse Freude war vorhanden bei den Jüngern durch die Annahme Seiner Person (17,7.8). Diese war in ihnen. Bisher waren sie die Begleiter des HERRN und als Seine Geliebten von Ihm äußerlich erquickt worden. Von nun an sollten sie auf eigene Füße gestellt werden. Darum die lieblichen Ermahnungen und Belehrungen in Joh. 13-16. Joh. 15, aus dem die Frage ist, hat als höchstes Ziel, „... viel Frucht bringen”. Er hat uns dem Vater als Frucht gebracht unter Hingabe Seines Lebens. Der HERR ist gleichsam in Joh. 17 am Ende Seines Wirkens. „Ich habe Dich verherrlicht auf der Erde ...”, „Ich habe Dein Werk vollbracht”. Wir sehen also, wohin wir auch blicken mögen, ein „Aufgehen in den Gedanken des Vaters”.

Sind es nun besonders geistliche Geschwister, in denen Seine Freude ist? Nein! Jeder, der sich unter Sein ganzes Wort beugt, wird angenommen und drückt damit aus, „des HERRN Wege, als des Menschen, von Gott gesandt, waren notwendig um meinetwillen, damit ich zu Gott käme. Sie bilden jetzt meine Freude”. Das ist aber nur der Anfang. Der Wille Gottes ist es, dass wir auf dem Wege fortschreiten, den Er uns vorgezeichnet hat. Dieser führt ganz naturnotwendig zur völligen Freude. Hier gibt es kein verstandesmäßiges Erfassen, sondern ein fühl- und sichtbares Hineinwachsen. Wenn der HERR etwas vorstellt, so zeigt Er auch grundsätzlich den Weg (1. Petr. 2,21). Sein Wille ist, dass wir Seine Gebote halten. Die Kraft dazu liegt darin, dass wir „in Ihm bleiben”. Denn „ohne Ihn” können wir nichts tun (Joh. 15,5). Die Wirksamkeit des Zeugnisses der Seinen liegt darin, dass sie „eins” sind wie der Sohn mit dem Vater (Joh. 17,11.21.22.23). Dies im voraus sehend, ermahnt und gebietet Er in Joh. 15,12 und 15,17: „Liebet euch untereinander. Denn daran wird euch die Welt erkennen, dass ihr Meine Jünger seid”. Streuen wir untereinander Liebe aus!, o, wie ernst! Wer die Kinder Gottes als solche unterschiedslos liebt, hat einen großen Schritt vorwärts getan auf dem Wege zur völligen Freude. Denn um das auszuüben, muss Er das Herz füllen; muss Er bei uns den ersten Rang oder die erste Liebe besitzen. Traurig ist es, dass Satan dieses „Einssein” zerissen hat. Aber Ihm sei Dank, Er kommt doch zum Ziele! Wir aber wollen es sehr ernst nehmen mit dem Wort: „lasst uns die Einheit des Geistes bewahren in dem Bande des Friedens!” (Eph. 4,1-3.)
W. Wst.

Anmerkung des Schriftleiters

Nur eins möchte ich betonen und unterstreichen! Wie auch aus dieser lieblichen Antwort hervorgeht, handelt es sich bei „Seiner Freude” nicht so sehr um die Freude durch Ihn, auch nicht die an Ihm oder die in Ihm! Hierüber ist in anderen Stellen der Schrift viel gesagt, vgl. z. B. Phil. 4,4! Sondern der HERR meint die Freude, die Er Selber genießt und genoß mitten in der gleichsam äußeren Freudlosigkeit Seines beschwerlichen Leidensweges. Seine Speise wie Seine Freude und Kraft war der ständige ununterbrochene Umgang mit dem Vater, und diese Freude wünschte Er den Seinen damals und heute zuteil werden lassen zu können. Den Weg dazu ist Er Selber gegangen (vgl. z. B. Joh. 15,10 mit 11!), und auf diesem Wege wird auch uns der Genuß Seiner Freude zuteil, der Genuß und die Kraft dessen, worin Er zu einer Zeit, wo keine andere Freude Sein Teil war, Seine Freude hatte, die Sein Herz erfüllte.

Es gab für Ihn auch eine „vor Ihm liegende Freude” (Hebr. 12,2) - wunderbar! -, und auch für uns gibt es eine vor uns liegende Freude (vgl. z. B. Röm. 8,18) - aber diese vor Ihm liegende Freude und die vor uns liegende Freude ist nicht ganz gleichbedeutend mit der Freude, die mitten in Zeiten äußerster Entbehrung ihre Kraft und Herrlichkeit erweist - und das war und tat Seine Freude! Diese Seine Freude entspricht Seinem Frieden von Joh. 14,27. Wie Er von einer ganz ureigenen Freude spricht, so auch von Seinem eigenen Frieden, den Er uns gibt. Beide - Seine Freude und Seinen Frieden - schmeckte Er persönlich, und uns gönnt Er diesen Genuß, diese Kostbarkeit auch inmitten einer Zeit, die beides so besonders vermissen läßt. Wie wenige Gläubige doch genießen beides! Wer ist daran schuld? nur die Gläubigen selber sind daran schuld, wie uns ja schon in Antwort A gesagt ist - das Halten Seiner Gebote (Seines Wortes), das Eingehen auf Seine Gedanken, das praktische Einssein mit dem Vater und dem Sohne, das fehlt uns so leicht.

Möge die vorliegende Frage uns in dieser Hinsicht eine herzliche und ernste Mahnung sein, diese Seine kostbare Freude höher einzuschätzen und durch den Geist Christi uns in den ungetrübteren Genuß derselben einführen zu lassen - Ihm zur Herrlichkeit!
F. K.


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 12 (1927)