Allversöhnung - Titus 2,11

Ist in Tit. 2,11 nicht das Gerettetwerden aller Menschen angedeutet?

Antwort des Schriftleiters

Keineswegs, sondern „nur” die Rettungsmöglichkeit aller! Die Meinung verschiedener Ausleger der Schrift, dass schließlich alle Menschen errettet würden, haben wir in verschiedenen „Fragen”, sonderlich in Lief. 5 im 17. Jahrbuch, aber auch schon früher, z. B. in Frage 8 des Jahrbuchs 8 und vor allem im Jahrbuch 12, Frage 13 sowie auch in Jahrbuch 18, Frage 2 u. a., als durchaus irrig und irreführend, ja, als Irrlehre ablehnen müssen; und auch im Anschluß an vorliegende Frage kann dasselbe nur wiederholt werden. Wer aber mit vorgefaßter Meinung an diese und viele andere Stellen herangeht, wer also von vornherein jene Lehre als nicht nur möglich, sondern als schriftgemäß hinstellt, der findet sie an manchen Stellen, wo ein Unbefangener sich überhaupt nicht denken kann, wie man sie da hineinbringen kann. Das gilt z. B. auch für Joh. 3,36 oder Hebr. 9,27, so sonnenklare Stellen, die von bekannten Vertretern jener Lehre in einer Weise vergewaltigt werden, dass man sich für jene Brüder, sofern sie solche sind, schämen möchte ihrer Verdrehungskünste wegen! Wieder und wieder sage ich, wie ich's in Lief. 5 im 17. Jahrb. öfter tat: Es wird Zeit, dass diese Brüder wieder „nüchtern werden aus des Teufels Fallstrick”, nach 2. Tim. 2,26!

Was nun die Stelle der Frage anbelangt, so ist zu ihr zu sagen, dass es sich zunächst überhaupt nicht um die Rettung Ungläubiger handelt, obwohl man in der Anwendung diese Worte natürlich auf solche beziehen kann, wie denn ja auch diese Stelle sehr oft evangelistisch verwertet wird. Aber das ist doch nicht ihre Grundbedeutung! Sondern diese liegt dem Zusammenhang nach darin, welche heilbringende Wirkung die Gnade auf die verschiedenen Stände und Klassen der Gläubigen innerhalb der christlichen Gemeinde hat und haben muß, wenn die Lehre Gottes geziert, geschmückt werden soll durch den Wandel der ihr Anhangenden. Die „gesunde Lehre” (2,1; vgl. 1,9 u. a.) hat auf alle Gemeindeglieder, auf alte und junge, auf Männer, Frauen, Jünglinge sowie auf Knechte einen heilsamen Einfluß, sucht alle dahinzubringen, sich ihrer heiligenden Wirkung zu erschließen, und das deswegen, weil die Gnade Gottes heilbringend, rettungbringend ist. Sie ist fähig, völlig zu retten, d. h. nicht etwa nur die Seele vom ewigen Verderben, sondern auch Herz und Willen, Leben und Dienst von jeglicher Knechtschaft der Sünde! Alle Menschen, d. h. (dem Zusammenhang nach) nicht alle, zahlenmäßig verstanden, sondern alle Arten von Menschen, alle Charaktere, alle Stände, Berufsklassen, Geschlechts- und Herzensunterschiede, erbmäßig Belastete, Mühselige und Freie, alle, welchen Hemmungen sie auch untereinander ausgesetzt sein mögen, welche Rassen- oder Familienverschiedenheiten sie auch trennen mögen usw. usw. - alle, alle Menschen sind unter den Wirkungen der rettungbringenden Gnade rettungsfähig von allem, was sie untüchtig machen kann und machen würde, die innerhalb der Gemeinde wirksame Lehre zu zieren durch ihren Wandel. Diese kostbare Stelle, die so recht im Gegensatz gegen die fordernden und - da die Forderungen nicht erfüllt werden können - verdammenden Grundsätze des alttestamentlichen Gesetzes auftritt als die Bringerin göttlicher Möglichkeiten - die Gnade gibt stets, Gnade ist Gabe! -, diese Stelle, sage ich, zeigt, dass kein Mensch innerhalb der Gemeinde des HERRN, selbst wenn er von kretischer Gemüts- und Geistesverfassung wäre (1,10ff.!!), je zu verzagen braucht, als könne er nie so leben, wie die Schrift es ihm vorstelle. Nein, die Gnade genügt (2. Kor. 12,9), sie genügt auch zu einem Wandel im Licht drinnen und draußen! Sie erzieht („unterweist”) uns (V. 12!), und wenn sie es tut, was fürchten wir uns? Sie gibt nicht nur die Unterweisung, sie gibt auch die Kraft und Fähigkeit, ihr zu folgen.

Aber, wenn dem so ist - dann müssen wir auch die Gnade nehmen; wir müssen, dürfen und können „aus Seiner Fülle” nehmen, „und zwar Gnade um Gnade”. (Joh. 1,16) Diese Verantwortung liegt vor unserer Tur, sonst leiden wir „Mangel an der Gnade” (Hebr. 12,15), und das wird sich gar bald in unserem Leben und Verhalten und in dem Leben der Gemeinde zeigen. Dass wir es doch ja genau damit nähmen, auch damit, die Gnade, wenn wir sie nehmen, „nicht vergeblich zu empfangen” (2. Kor. 6,1)! Das ist sehr ernst und verantwortungsreich, doch will ich nicht vom Thema zu weit abschweifen und breche hiermit ab. Der HERR gebe uns Gnade (wie oft beten wir so, nicht wahr?!), diese Dinge zu verwirklichen! Noch einmal: „die Gnade genügt”!

Ich muss aber noch auf die evangelistische Seite der Stelle wenigstens hingewiesen haben, so einfach diese auch ist! - Wenn gesagt oder gefragt würde, ob in diesem Worte nicht die Möglichkeit der Rettung aller Menschen angedeutet würde, so könnte man dem völlig zustimmen, aber nicht dem, dass tatsächlich alle errettet werden. Wohl ist mit dem „in die Erscheinung Getretensein” der Gnade - Gnade war auch im Alten Testament schon vorhanden (viele Stellen zeigen dies!) -, als nämlich Christus Jesus kam, litt, starb, auferstand, der ganzen Welt unsagbar Großes zuteil geworden, ist doch erst mit dem Christentum die christliche Liebestätigkeit für Kranke, Schwache, Krüppel, Blinde, Schwachsinnige usw. ins Leben gerufen, so dass in diesem Sinne alle, die ganze Menschheit, teilhaben an den Segnungen der Gnade; aber in der Bedeutung, die die Stelle uns vorstellt, ist nicht die Rede von einer Rettung aller! Durchaus nicht! Denken wir uns einen großen Saal voll von Kindern allen Alters, die erwartungsvoll nach den Türen schauen. Es ist ihnen gesagt worden, dass gleich eine Überraschung für sie alle hereinkäme. Jetzt öffnen sich die mächtigen Flügeltüren, und herein treten Menschen mit großen Körben, die voll der herrlichsten Früchte sind. Es wird laut verkündet, dass der gesamte Inhalt der Körbe für sie alle sei, sie sollten nur aus den ihnen entgegengestreckten Händen nehmen, was ihnen angeboten würde. Ich brauche nicht mehr zu schreiben, nicht wahr? Jeder versteht ohne weiteres! Waren nicht die Früchte für alle da - warum schlagen denn etliche sie aus (Jes. 55,1ff.), wollen sich nichts schenken lassen, wollen bezahlen, was frei und umsonst ist, wollen die Gnade sich verdienen?? Sie gehen leer aus, aber die Schuld ist nur die ihre! Die Segnungen der Körbe waren für alle da - so die Rettung, welche die Gnade mit sich bringt -, aber keinem werden jene wie diese aufgezwungen! „Wer da will, der nehme das Wasser des Lebens umsonst!” (Off. 22,17) Es ist die Rettung bringende Gnade für alle ohne Unterschied da, aber wenn ihrer etliche sie ausschlagen, ist daran Gott schuld? Nur sie selber! Wie ernst das alles!

Geliebte, lasst uns die noch vorhandene Gnadenzeit ausnutzen und unentwegt die köstliche Gnade als heilbringend für alle verkünden „zu gelegener und zu ungelegener Zeit”. (2. Tim. 4,2) Viele, denen wir sie verkünden, werden sie noch annehmen - der HERR sei gelobt! Und lasst uns, die wir gläubig sind, uns mehr und völliger der erziehlichen und erziehenden Weise und Tätigkeit der Gnade erschließen, damit, wie oben ausgeführt, unser Wandel, sonderlich auch in der Gemeinde, mehr ein solcher werde, durch den „die Lehre, die unseres Rettergottes ist”, geziert werde in allem! (V. 10) Seine Gnade reicht aus allezeit! Ihm sei Dank!
F. K.


Beantwortet von: Team Handreichungen
Quelle: Handreichungen - Band 19 (1934)