Zerstörerisches Wachstum
Autor: Rudolf Ebertshäuser
Der Autor und sein Ziel. Als Kern der vielfältigen „Irreführung“ im Bereich Gemeindewachstum, die er beschreibt, nennt er „die falsche Jüngerschaftslehre, die falsche Reichslehre und die falsche ‚missionale‘ Missionslehre“ (12). „Dieses Buch untersucht diese irreführenden Lehren gründlich und widerlegt sie durch die gesunde Lehre der Bibel. Es zeigt die geistlichen Hintergründe der heutigen Gemeindebewegungen auf und macht auch deren Gefahren, das Verführungspotential in ihnen deutlich. Denn diese missionalen Irrlehren sind keineswegs auf die evangelikalen Kreise beschränkt, die ohnehin schon weit von biblischer Gemeinde abgedriftet sind. Nein, sie dringen heute über viele Kanäle auch in die wenigen Gemeinden ein, die noch einen bibeltreuen Weg gehen wollen, und drohen noch einigermaßen gesunde Gemeinden zu zerstören wie Krebswucherungen. … ‚Zerstörerisches Wachstum‘ will geschichtlichen Überblick, lehrmäßigen Durchblick und geistliche Orientierung bieten.“ (12-13) So beschreibt der Autor seine Mission. Wichtige Vorentscheidungen. Nachdem er im Folgenden einen kurzen Überblick gibt über die vier „verdorbenen, irreführenden Quellen ..., aus denen sich die von uns untersuchten missionalen Gemeindebewegungen speisen“ (liberale Theologie, Ökumene, Römisch-katholische Kirche und Pfingst-/Charismatische Bewegung), belegt er dann ausführlich, „weshalb Irrlehren so gefährlich sind und bekämpft werden müssen“ (24-28). Hier bringt der Autor wichtige Schriftzitate, die die Gemeinde Jesu auch heute im Umgang mit Irrlehrern und Sektierern leiten sollten – allerdings findet sich weder an dieser Stelle noch sonst irgendwo in seinem umfangreichen Buch eine Definition, was die Bibel unter einer „Irrlehre“ versteht. Auf Seite 406-407 erklärt Ebertshäuser lediglich, auf welcher Grundlage „die Gläubigen unterwiesen werden sollten, wahre Lehre von Irrlehre zu unterscheiden“ und welche Inhalte als „besonders wichtige Säulen unseres Lehrfundamentes“ hervorgehoben werden müssen, „die es in der Auseinandersetzung mit den Verführungslehren festzuhalten gilt“. Es handelt sich seiner Meinung nach dabei um die Inspiration und Irrtumslosigkeit der ganzen Heiligen Schrift, das biblische Evangelium, die biblische Lehre von der Gemeinde und die von der Zukunft. Diese Ansicht erweist sich im Verlauf des Buches als fatale Vorentscheidung des Autors. Während man ihm bei den ersten beiden Punkten (Haltung zur Schrift und zum Evangelium) zustimmen würde, gibt ihm seine Einordnung von Ekklesiologie und Eschatologie zu den grundlegenden Lehren des Glaubens die Freiheit, jeden, der von seinem Gemeindeund Zukunftsverständnis abweicht, als „Irrlehrer“ brandmarken und entsprechend scharf behandeln zu dürfen. Aufklärung über theologische Konzepte und Warnung vor christlichen Leitern. Der zweite und ausführlichste Buchteil beschäftigt sich nun mit den verschiedenen theologischen Konzepten, vor denen der Autor nachdrücklich warnen will. Er wendet sich gegen einen „verfälschten Missionsauftrag, der die Bekehrung ganzer Völker durch Anpassung an Kultur und Religion der Heiden“ zum Ziel hat – und übersieht, dass man den Befehl unseres HERRN, alle Nationen zu Jüngern zu machen, durchaus ernst nehmen kann, auch ohne einer oberflächlichen „Christianisierung“ das Wort zu reden. Er kritisiert ein falsches Reichs-Gottes-Verständnis, das die Ausweitung von Gottes sichtbarer Herrschaft hier und jetzt zum Ziel hat und in der Praxis die Verkündigung des Evangeliums verdrängt. Hier würden sich ihm viele konservative Evangelikale anschließen, man konnte Ähnliches z.B. kürzlich von den Verfassern des „Tübinger Aufrufs“ lesen. Als Nächstes erklärt und verurteilt er dann allerdings rundweg das Konzept der „Kontextualisierung“ als eine Anpassung des Evangeliums an die Religionen der Welt – als ob das das in der evangelikalen Welt vorherrschende oder gar einzige Verständnis dieses Konzeptes wäre. Der Rest dieses Hauptteils, wie auch der Rest des Buches überhaupt, ist all dem gewidmet, was den Gemeinden heute laut Ebertshäuser unter der großen Klammer „missional“ angeboten wird. Nach einer vernichtenden theologischen Beurteilung folgt im dritten Hauptteil dann Beschreibung und seine persönliche Auswertung dessen, was von Gemeindegründungsbewegungen in aller Welt berichtet wird. Schon im Inhaltsverzeichnis ist sein Fazit klar: Verführung und Zerstörung. Der dem Vernehmen nach für viele Leser interessanteste Abschnitt des Buches ist Teil 4: „Missionale Gemeindeströmungen im deutschsprachigen Raum“. Hier, wo es dann endlich um den Bereich geht, der uns deutsche Leser direkt betrifft, kommt die Entscheidung des Autors, nicht nur über Lehren, Konzepte und Trends aufzuklären, sondern auch deutlich die Namen ihrer tatsächlichen oder vermeintlichen Vertreter zu nennen, voll zur Geltung. Seite um Seite findet sich, welche Theologen oder Missionsleiter mit wem in einem Arbeitskreis sitzen oder auf einer Konferenz gelehrt haben, wer welches Buch empfiehlt, wann welches Seminarthema behandelt hat oder wo in einer Bibelschule unterrichtet. Sehr ausführlich beschreibt Ebertshäuser diverse „missional-emergente“ Netzwerke, Bewegungen und Programme, und über wen und bei welchen Tagungen und Konferenzen sie in die verschiedenen evangelikalen Gruppierungen „eingesickert“ sind. Ein besonderes Augenmerk gilt dabei der Brüderbewegung und solchen Leitern dort, die er als „Türöffner für diese Irrlehren“ beschreibt und vor denen er namentlich warnt. In den Schlussgedanken wird zunächst die Aufforderung zur Absonderung von Irrlehren nachdrücklich wiederholt, bevor dann noch einige sehr knapp gehaltene Gedanken zur notwendigen Erneuerung in Gemeinden, geistlichem Leben und der Evangelisation folgen. Interessanterweise finden sich hier so einige Anregungen, die man auch bei den von ihm heftig kritisierten „Verführern“ nachlesen kann … Der Anhang besteht aus vier Rezensionen von Büchern der Autoren A. Hirsch, N. Cole und J. Reimer, sowie Worterklärungen und zwei Verzeichnissen – das Buch soll auch als Nachschlagewerk verwendbar sein. Wichtiges Anliegen, aber Verwirrung stiftend. So nötig also die Aufarbeitung der erwähnten Fragestellungen einerseits ist, so wenig hilfreich erscheint dem Rezensenten andererseits dieses Buch für Christen, die nicht näher mit der Materie vertraut sind. Auf den ersten Blick besticht es durch eine erkennbar akribische Recherche des Autors. Je mehr der Quellen, die er zitiert, und der Personen, über die er schreibt, man allerdings selber kennt und mit seiner Darstellung ihrer Positionen vergleichen kann, desto ernüchterter wird man. Und wenn schon in dem Bereich, den man persönlich überschauen kann, soviel Halb- und Unwahres, soviele aus dem Zusammenhang gerissene Zitate und „Strohmann-Argumente“ das wahre Bild verzerren, wie glaubwürdig ist dann seine Darstellung (ganz zu schweigen von seiner Beurteilung) von christlichen Leitern, deren Vorträge man nicht selber gehört, deren Bücher man nicht gelesen hat? Zu dieser inhaltlichen Fragwürdigkeit kommt ein Schreibstil, der leider vor Verallgemeinerungen und sich endlos wiederholenden Schlagworten nur so strotzt und daher das Lesen dieses 500-Seiten Werkes äußerst mühsam macht. Es ist ein absichtlich kämpferisches Buch, das „parteiliche Sprache“ verwendet (28) – sein Potential, echte Parteiungen und Trennungen in den Gemeinden zu provozieren, ist entsprechend groß. Eine aus dieser Sorge heraus verfasste ausführliche Stellungnahme mehrerer Leiter findet sich hier. Es wäre zu wünschen, dass diese Publikation baldmöglichst durch andere Schriften ersetzt werden könnte, in denen die angesprochenen Themenbereiche sachlich klar und präzise, aber auch fair und konstruktiv aufgearbeitet werden.
Manche Leser werden den Autor Rudolf Ebertshäuser noch von seinem umfangreichen Werk über „Die charismatische Bewegung ...“ (1995), von diversen Auferbauungs- und Aufklärungsschriften oder von seiner standhaften Verteidigung des Textus Rezeptus als angeblich einzig verlässlicher Grundlage für Bibelübersetzungsarbeit her kennen. Sein neuestes Buch „Zerstörerisches Wachstum“ belegt nun eindrucksvoll, dass der Schwerpunkt seines „Aufklärungsdienstes“ sich von den Themen Zeitgeschehen und Endzeit mehr und mehr auf „die Evangelikalen“ verschiebt.
Neben einer knappen Darstellung des Unterschiedes zwischen Gemeindewachstum in der Heiligen Schrift und all den Entwicklungen, die er unter dem Begriff „ Gemeindewachstumsbewegung“ zusammenfasst, widmet er den größeren Teil seiner Einführung einigen „wichtigen Lektionen im Umgang mit Verführungsströmungen“ (20-28). Der erste und im ganzen Buch immer wieder angewendete Grundsatz lautet: „Aus einer verdorbenen Quelle kann nichts Gutes kommen“. Der Autor stellt kategorisch fest, dass „eine Frucht, wenn sie von einem schlechten, verdorbenen Baum stammt, hundertprozentig nicht gut und gesund ist“ (20). Obwohl Mat 7,15-18 eigentlich den umgekehrten Schluss, nämlich nicht vom Baum auf die Frucht, sondern von der Frucht auf den Baum lehrt, und der Zusammenhang von Jak 3,11f bedauernd das oftmalige Nicht-Zutreffen dieses wünschenswerten Zusammenhangs bei uns Menschen feststellt, zieht der Autor genau diese beiden Texte heran, um diese seine grundlegende Denkvoraussetzung zu untermauern.
Den ersten, relativ kurzen Teil seines Buches widmet Ebertshäuser nun „der Entstehung der ‚Gemeindewachstumsbewegung‘“. Er zeichnet die Entwicklung des Missionsgedankens im 19. und 20. Jahrhundert nach, schildert die Entstehung der ökumenischen Missionsbewegung und des „modernen Evangelikalismus“, und beschreibt den Einfluss einiger sie prägenden Theologen und Missiologen. Insbesondere „die missionale Neuausrichtung“ um die letzte Jahrhundertwende wird mit ihrer „Ganzheitlichkeit“, „Kontextualisierung“, „Transformation“ und „missionalen Umpolung“ ausschließlich negativ bewertet.
Das Anliegen des Autors, die Gemeinde Jesu vor ungesunden Einflüssen zu schützen, ist wichtig und sollte von allen Leitern örtlicher Gemeinden ernstgenommen werden. Nicht nur er beobachtet Entwicklungen in Theologie und Missiologie, deren biblische Grundlage fragwürdig und deren Auswirkungen für Lehre und Praxis in unseren Kirchen und Gemeinden enorm sein können. Ebertshäuser beschreibt eine Reihe von extremen Positionen, die tatsächlich in der christlichen Welt publiziert und diskutiert werden, und mit denen sich nicht nur Theologen, sondern auch Verantwortliche in unseren Gemeinden auseinandersetzen sollten, um nicht unbemerkt von ihnen überrollt zu werden.
Die Rezension/Kritik stammt von: Marco Vedder
Kategorie: Sonstiges
Jahr: 2012
ISBN: 978-3-9523896-5-2
Seiten: 495
€ Preis: 14,20 Euro