Transformative Homiletik - Jenseits der Kanzel
Autor: Sabrina Müller, Jasmine Suhner
Die von Sabrina Müller und Jasmine Sunner vorgelegte Predigtlehre erscheint als dritter Band der Reihe „Interdisziplinäre Studien zur Transformation“, die u.a. von Thorsten Dietz und Tobias Faix und der CVJM-Hochschule herausgegeben wird. Sie haben in dieser Reihe auch schon ihre „Transformative Ethik“ veröffentlicht. Dort hatten sie das Wort „transformativ“ auch im Sinne der aktiven Veränderung der Welt definiert. Man ist also nicht überrascht, dass nun die beiden in der Schweiz lehrenden Autorinnen mit ihrer Predigtlehre ein aktivistisches Programm verfolgen. „Ziel transformativ-(m)achtsamen homiletischen Handelns liegt nicht (nur) in der spirituellen Befriedigung des Individuums, sondern im gemeinsamen Aufbruch hin zu einer Reich-Gottes-Perspektive, die das human flourishing und eine gerechtere Welt im Blick hat“ (210). Das Negativ-Bild, gegen das die Autorinnen argumentieren, ist also der einzelne Mensch, der am Sonntag eine religiöse Rede hört, um sich dadurch zu erbauen. Demgegenüber soll die neue Homiletik einen dialogischen Prozess in Gang setzen, der Menschen aktivieren will, Reich Gottes zu bauen, wobei es konkret um die Verbesserung der Lebensqualität geht und um „Gerechtigkeit“. Man kann zu Recht kritisieren, dass die Kanzelrede nicht das biblische, breite Bild von Verkündigung widerspiegelt (26). Andererseits gibt es keinen Grund, das Recht der biblischen Verkündigung in der Form einer Lehrrede in Frage zu stellen. Die Form macht aber diese Rede vor christlichen Zuhörern nicht schon zur „Predigt“. Es ist vielmehr der Inhalt, der „Gottes Wort“ sein muss, das aus der Bibel kommt. Die beiden Autorinnen gehen die „Lehre vom rechten Predigen“ aber mit einer ganz anderen Perspektive an: „Zu Beginn sei vorangestellt: Wir verstehen Theologie als kritische Geistes- und Gesellschaftswissenschaft, deren zentrale Aufgabe unter anderem darin besteht, das Geflecht von Beziehungsstrukturen zwischen verschiedenen Menschen und der Natur im Wechselspiel mit religiösen Traditionen und Erfahrungen, religiösen Themen, religiöser Praxis und gesellschaftlichen Verhältnissen zu untersuchen.“ (26). Von verschiedenen Arten der Kommunikation, wie Christen die Botschaft Gottes an den Mann und an die Frau bringen, ist nur als Sprungbrett die Rede. Das hat seinen Grund darin, dass es die „steuernde Sicht des weißen westlichen Mannes“ war, der die problematisierte Art der Predigt hervorgerufen haben soll (27). Als Gegenentwurf wollen die Autorinnen deswegen „feministische, aber auch postkoloniale Ansätze miteinbeziehen“. Sie setzen sich dafür entschieden, die Brille des philosophischen Postmodernismus eines Derrida oder Foucault auf, der durch Nietzsches „Wille zur Macht“ geprägt ist. Predigen steht dann grundsätzlich unter dem Verdacht, dass es eigentlich um Machtausübung geht, besonders dort, wo dem Gegenüber göttliche Wahrheit mitgeteilt würde. Kein Wunder, wenn dann ein erhöhtes Rednerpult keinen praktischen Grund haben darf, sondern immer die (männliche) Überhöhung und Machtausübung über ein möglichst kopfloses Wesen darunter (so eine symbolische Zeichnung der Zuhörer) erkannt wird. Die Ablehnung des Predigtamtes von Frauen kann nur aus „zutiefst patriarchalischem Denken“ kommen und die biblischen Texte dazu seien mit Rücksicht auf „eine patriarchalisch organisierte Gesellschaft passend formuliert worden“. Das muss dann heute durch „die Erkenntnisse der Soziologie, der Geschichtswissenschaft, postkoloniale Theorien und mehr“ korrigiert werden (55). Aber natürlich will auch die „transformative Homiletik“ nicht auf einen Machtanspruch verzichten, man bzw. frau will aber „(m)achtsam“ predigen. Hierzu schließen sich die Autorinnen Hannah Arendt an, die Macht über die „Erlangung von Zustimmung“ ausüben will. Sie meinen, dass „ein konsensuelles, ein partizipatives Verständnis von Macht .. in vielfacher Weise christlich-theologischen Vorstellungen“ entspreche (102). Allerdings müssen auch noch „postkolonial-feministische Machtdiskurse“ aus der US-amerikanischen Soziologie dabei sein. In einem eigenen Kapitel (159-173) wird als christliches Element für diese Art von „Predigt“ die biblische Rede vom Geist Gottes fruchtbar gemacht. Für die feministische Perspektive ist der Ruach Gottes dann weiblich, obwohl es sich in der hebräischen Sprache nur um ein grammatisches Geschlecht handelt. Irgendwie sei der Geist aber auch „fluide“ und bringe vor allem die „Stimmen vom Rand“ zu Gehör, ist „gesellschaftskritisch“ und „weltdurchdränkt“. Eigentlich macht der Geist Gottes alles, was die Autorinnen wollen. Es wäre ein durchaus interessantes Unterfangen, danach zu fragen, wie sich die christliche Predigt verändernden gesellschaftlichen Entwicklungen anpassen kann, ohne ihre eigentliche Botschaft zu verleugnen. Aber das geschieht nicht. Die Autorinnen wollen Predigt im christlich-biblischen Sinn durch aktivistisches Reden ablösen, das mit christlichem Anstrich gesellschaftliche Themen wiederholt und dabei möglichst viel Zustimmung erlangen will, um Macht ausüben zu können, die Welt in ihrem Sinn zu verbessern. Das ist allerdings letztlich unchristlich.
Die Rezension/Kritik stammt von: Thomas Jeising
Kategorie: Sonstiges
Jahr: 2023
ISBN: 978-3761569-11-5
Seiten: 240
€ Preis: 30,00 Euro