Buch-Rezension: Schulen im Neuen Testament? - Zur Stellung des Urchristentums in der Bildungswelt seiner Zeit

Schulen im Neuen Testament?

Autor:

Um das Leben und die Organisationsformen frühchristlicher Gemeinden zu verstehen, wird in der ntl. Forschung auf antike Parallelen verwiesen. Den Hinweisen der Apg und anderer ntl. Bücher folgend blickt man zuerst auf die jüdischen Synagogen in Israel und in der Diaspora. Ein weiterer Bereich sind die Häuser und Haushalte der hellenistisch-römischen Welt, deren Bedeutung für die urchristliche Mission und Gemeinde das NT eindrücklich darstellt (z. B. R. W. Gehring, Hausgemeinde und Mission: Die Bedeutung antiker Häuser und Hausgemeinden von Jesus bis Paulus, BWM 9; Giessen: Brunnen, 2000). Ferner geht es um die verschiedenen, in der Antike weit verbreiteten Vereine (ein Aspekt, der in der jüngeren Forschung verstärkt Beachtung findet und interessante Perspektiven auf das ntl. Gemeindeleben in Anknüpfung und Abgrenzung wirft (z. B. E. Ebel, Die Attraktivität früher christlicher Gemeinden: Die Gemeinde von Korinth im Spiegel griechisch-römischer Vereine, WUNT II, 178; Tübingen: Mohr Siebeck, 2004). Neben diesen Modellen wird immer wieder auch auf antike (Philosophen-) Schulen als mögliche Parallelen oder Inspiration für ntl. Gemeinden oder gar auf urchristliche „Schulen“ verwiesen. Dazu gehört auch die Frage, wie sich das Urchristentum zur griechisch-römischen Bildung seiner Zeit stellte.

Dieser Thematik widmet sich der vorzustellende Band, der auch noch für eine weitere Frage wichtig ist. In der kritischen Einleitungswissenschaft werden viele Verfasserangaben des NT oder der altkirchlichen Tradition angezweifelt. Schnell spricht man anstatt vom Apostel und Evangelisten Mattäus oder Johannes von der matthäischen oder johanneischen Schule. Ein Teil der Paulusbriefe wird beherzt einer meist nicht weiter definierten „Paulus-Schule“ zu geschrieben. Und vielmals scheint: Fest behauptet ist halb bewiesen. In der forschungsgeschichtlichen Einführung (1-31) stellt Schmeller den Forschungsstand zu einzelnen, behaupteten ntl. „Schulen“ zusammen und bewertet diese Thesen kritisch (es gibt keine Hinweise auf eine „matth. Schule“, „Wie die joh Schule wenn sie denn überhaupt existierte ausgesehen haben könnte, ist bisher nicht befriedigend erklärt“, 15; auch für Paulus ist diese Kategorie unklar: wie verhalten sich Gemeinden und Schule zu einander?). Es zeigt sich, dass große Verwirrung entsteht, da oft nicht erläutert wird, was jeweils unter einer „Schule“ verstanden wird.

Daher will Schmeller im zweiten Teil, „Schulen in der Umwelt des NT“ (32-92), einen auf das NT sinnvoll anwendbaren Begriff von Schule entwickeln. Zuerst stellt Schmeller das Material über Schulen im AT und im Frühjudentum zusammen. Kennzeichen dieser Schulen war die „Weitergabe und Aktualisierung einer alten religiösen, juridischen Tradition von hoher Autorität und gruppenübergreifend- identitätsstiftender Bedeutung“ (45). Wesentliche mehr Quellen gibt es für die griech.-röm. Philosophenschulen (46-92), die auch in direkt das Frühjudentum beeinflusst haben.

Nach einem Überblick über die wichtigsten Schulen (u. a. die im NT erwähnten Stoiker und Epikuräer; Apg 17,18) beschreibt Schmeller Merkmale eines Philosophiestudiums in ntl. Zeit: die soziale Identität der Schüler, Motivation und Auswahl einer Schule, Ort und Örtlichkeit, Aufnahme in die Schule, Stellung des Lehrers, die Rolle der Mitstudenten, Aufbau, Inhalte und Lehrmethoden des Philosophiestudiums und die Anliegen der Lehrer.

Im dritten Teil fragt Schmeller nach dem Vorhandensein und der Bedeutung von Schulen im NT. Zunächst wendet sich Schmeller der Wirksamkeit des Paulus zu. Dazu gehört die Frage nach Quellen, Paulus und die hellenistische Bildung, die Bedeutung von 1 Kor 1f, Paulus und die Rolle des Lehrers, die Frage nach möglichen Paulusschülern (die Gemeinden, die Gemeindemitglieder, die Mitarbeiter des Pls und die soziale Identität der Gemeinden) und mögliche Schulaktivitäten (93-182). Ausführlich und gekonnt stellt Schmeller die Analogien, aber auch die großen Unterschiede zusammen und schließt „Von einer Paulusschule zu Lebzeiten des Apostels ist nur mit großen Vorbehalten zu sprechen“ (182). Die soziale Realität der Wirksamkeit und der Gemeinden des Paulus ist nicht mit einem Modell zu erfassen ist.

Bedauerlich ist, dass Schmeller in diesem instruktiven Überblick, nur die in der kritischen Forschung anerkannten Paulusbriefe heranzieht. In „Deuteropaulinische Schulen?“ (183-253) untersucht er die anderen Briefe (Kol, Eph, 2Thess) und die Pastoralbriefe, die die meisten und eindeutigsten Analogien zu einer philosophischen Schulsituation enthalten (246). Doch auch hier gibt es bedeutende Unterschiede. Anschließend untersucht C. Cebulj in seinem Beitrag zu diesem Band das JhEv und JhBriefe auf mögliche Hinweise.

Nach einem Forschungsüberblick geht es um die Wir-Formen in diesen Schriften, gruppenspezifische Begriffe, die Frage nach dem möglichen Gründer (der Lieblingsjünger als Lehrer?) und um den Schriftgebrauch im JhEv. Cebulj schließt: „Eine erneute Analyse des Textbefundes hat aber gezeigt, dass die bis heute in einer Vielzahl von Variationen vertretene These, die ‘joh Schule’ sei eine Art Schriftgelehrten- und Theologenstand in der joh Gemeinde gewesen, der nach der Art einer antiken Philosophenschule organisiert war und der für die Schriftproduktion der joh Schriften verantwortlich zeichnet, in dieser Form nicht haltbar ist“ (340).

Auswertung, Literaturverzeichnis und Stellenregister beenden den Band. Man vermisst die Frage, ob es zu dem Wirken Jesu als frühjüdischer Lehrer (mit Jüngerkreis) auch Analogien in der griech.-röm. Welt gab. Die Frage nach Jesus als Lehrer und seinen Jüngern als „Schule“/Schülerkreis drängt sich bei diesem Thema eigentlich auf (vgl. dazu R. Riesner, Jesus als Lehrer, 3. Aufl., WUNT II.7; Tübingen: Mohr Siebeck, 1988).

Die insgesamt bescheidenen Ergebnisse sind nicht überraschend, schon deshalb nicht, weil diese Art von Schulen im NT nicht erwähnt werden (mit Ausnahme der Schule des Tyrannus in Apg 19.9). Für das Selbstverständnis und die Praxis urchristlicher Gemeinden wird man weiterhinden ntl. Texten folgend zuerst bei den jüdischen (Diaspora) Synagogen suchen müssen. Den Kern urchristlicher Gemeinden bildeten in der Regel Juden, Proselyten und Gottesfürchtige, nicht bekehrte Philosophenschüler (vgl. jedoch Apg 17.34)! Dessen ungeachtet bleibt, dass manche Heiden urchristliche Gemeinden in Analogie zum antiken Schulbetrieb verstanden haben werden (vgl. die starke Betonung der Lehre in der Apg) und einzelne Menschen mit diesem Hintergrund Christen wurden. Richtig ist auch, dass manche Gemeinde heute neben kuscheligem Ambiente und Wohlfühlspiritualität durchaus mehr soliden „Schulbetrieb“ bräuchte.

Eine interessante Studie zum Hintergrund des NT mit wichtigen Detaileinsichten. Sie zeigt aber auch, dass manche scheinbar so sicheren und oft wiederholten Ergebnisse kritischer Forschung auf tönernen Füßen stehen.

 Die Rezension/Kritik stammt von: Christoph Stenschke
 Kategorie: Sonstiges

  Verlag: Verlag Herder
  Jahr: 2001
  ISBN: 3-451-27621-6
  Seiten: 408
 €    Preis: 55,00 Euro