Buch-Rezension: Schadet die Bibelwissenschaft dem Glauben? - Klärung eines Konflikts

Schadet die Bibelwissenschaft dem Glauben?

Autor:

Dr. Siegfried Zimmer, Professor für Ev. Theologie und Religionspädagogik in Ludwigsburg, möchte mit dem vorliegenden Buch einen Beitrag leisten, um den „Riss der Christenheit“ hinsichtlich der Stellung zum wissenschaftlichen Umgang mit der Bibel zu über- winden. Dabei bezieht er bereits im Vorwort ganz klar Stellung: „Mir geht es um etwas Wichtigeres: um das grundsätzliche Existenzrecht der modernen Bibelwissenschaft“ (S. 9).

Der Autor beginnt damit, zunächst die Dinge zu erwähnen, die uns Christen hinsichtlich der Bibel einen. Hier nennt er den Glauben daran, dass Gott durch die Bibel zu uns Menschen spricht und dass sie in allen heilsentscheidenden Fragen zuverlässig ist. Bereits hier betont er, dass es notwendig ist, zwischen Wichtigem und weniger Wichtigem, zwischen Heilsentscheidendem und nicht Heilsentscheidendem innerhalb der Bibel zu unterscheiden.

Nachdem Zimmer die Gemeinsamkeiten geklärt hat, wirft er die aus seiner Sicht wichtigste Frage auf: „In welchem Verhältnis steht Gott zur Bibel?“ (S. 20). Der Autor verwendet nun die nächsten 86 Seiten seines Buches, um zu zeigen, dass es einen kategorialen Unterschied zwischen Gott bzw. zwischen Jesus und der Bibel gebe. Man dürfe die Bibel und Gott nicht gleichsetzen. Demzufolge dürfe man auch nicht der Bibel göttliche Autorität zusprechen und an ihrer Irrtumslosigkeit festhalten, wie es die fundamentalistische (bibeltreue) Theologie tut. Im Gegenteil: um Gott die ihm zustehende Ehre zu erweisen, sei die differenzierende Unterscheidung zwischen Gott und der Bibel, wie sie bibelwissenschaftliche Theologie vertritt, notwendig (S. 35ff). Man dürfe nicht der Bibel die Ehre geben, die nur Gott gebührt. Der Autor führt nun eine ganze Reihe von Argumenten ins Feld, die dies belegen sollen. So weist er z. B. darauf hin, dass die Bibel im Gegensatz zu Gott sichtbar sei und eine Entstehungsgeschichte habe. Auch könne nicht die Bibel einen Menschen erlösen, sondern nur Jesus Christus. Aber auch mehr als fragwürdige Gedankengänge finden sich hier. So vertritt Zimmer die Ansicht (S. 53), dass aufgrund von 1Kor 1,18.27f und 2Kor 12,9 auch die Bibel Fehler enthalten müsse. Weil Gott das Schwache erwählt hat, weil er in den Schwachen mächtig ist und weil die biblische Botschaft ein „Wort vom Kreuz“ ist, müsse diese Schwäche auch für die Bibel selbst gelten. Allerdings meint das „Wort vom Kreuz“ doch ganz offensichtlich den Inhalt der Botschaft und nicht die fehlerhafte, äußere Form. Auf S. 56 behauptet der Autor, dass die Bibel schon deswegen nicht vollkommen sein könne, weil sie sichtbar sei und Gott unsichtbar. Aber ist diese Argumentation schlüssig? War z. B. deswegen der sichtbare Jesus Christus hier auf dieser Erde nicht vollkommen, nur weil er sichtbar war? Zielpunkt seiner ganzen Argumentation ist folgender: „Im Konfliktfall argumentieren wir ohne jedes Zögern mit Jesus Christus gegen die Bibel!“ (S. 96)

In Kapitel 5 betont der Autor, dass die Aussage „Die Bibel ist Gottes Wort“ nur dann richtig verstanden sei, „wenn man damit meint: Die Bibel ist eine von mehreren Gestalten des Wortes Gottes“ (S. 116; Hervorhebung vom Autor). Auf diese Überzeugung kommt er deshalb, weil er viele verschiedene Aussagen in der Bibel findet, die vom „Wort Gottes“ sprechen, die sich aber nicht mit dem Begriff „Bibel“ austauschen lassen. Mit keinem Wort erwähnt er aber in diesem Zusammenhang, dass die Bibel selbst (2Tim 3,16) die ganze Schrift als „gottgehaucht“ bezeichnet. Und nimmt man im Glauben die Aussage aus Hebr 4,12 an („Denn das Wort Gottes ist lebendig und wirksam und schärfer als jedes zweischneidige Schwert.“), die sich auf das schriftliche Wort Gottes bezieht, dann wird sehr schnell deutlich: Der Gedanke einer Trennung zwischen dem mündlichen und dem schriftlichen Wort Gottes ist der Bibel völlig fremd und passt nicht zu ihrem Selbstverständnis. Als Beispiel sei auch Psalm 119 angeführt, der diesen Gedanken ja recht deutlich ad absurdum führt. Und wer zwischen dem mündlichen/schriftlichen Wort Gottes und dem fleischgewordenen Wort Gottes trennen möchte, „der nimmt auch die Bibel nicht ernst“ (S. 114), um einmal eine Formulierung des Autors aus dem Zusammenhang zu reißen und gegen ihn zu verwenden.

Der Autor geht aber noch weiter: Um „Jesus Christus treu bleiben“ zu können, könne man nicht an der „traditionellen Inspirationslehre“ festhalten. Deswegen argumentiert er im 6. Kapitel gegen die Verbalinspiration der Bibel. Er tut dies allerdings sehr unbefriedigend. Erstaunlicherweise geht er auf „klassische“ Belege der Schrift (2Tim 3,16; 2Petr 1,21 usw.) exegetisch nur sehr schwach, sehr oberflächlich und ausweichend ein. Den Umgang von Jesus und den Aposteln mit dem AT erwähnt er gar nicht, und er hat, wie er selbst sagt, keine wirkliche Alternative anzubieten, hält sie allerdings auch für sachlich nicht notwendig (S. 118). Des Weiteren sieht der Autor keinerlei ethische Probleme oder Konsequenzen, wenn das Selbstzeugnis der Bibel (z.B. über die Autorenschaft eines Buches) nicht der Wahrheit entspricht.

Abschließend gibt der Autor noch einen kurzen Überblick über die Entwicklung der modernen Bibelwissenschaft und verdeutlicht seinen Umgang mit der Bibel am Buch Hiob.

Im ganzen Buch fällt der freundliche, gewinnende und überzeugende Schreibstil des Autors auf. Er vermeidet Diffamierungen der Bibeltreuen und ist sehr um einen Konsens bemüht. Dennoch kann dies nicht über die deutlichen Schwächen des Buches hinwegtäuschen. Im ganzen Buch bleibt der Autor den Beweis schuldig, warum denn nun ein kategorialer Unterschied zwischen Gott und der Bibel (den kein bibeltreuer/„fundamentalistischer“ Exeget leugnen wird) belegen soll, dass die Bibel Fehler enthält. Zimmer kann keinen Beleg dafür erbringen, dass diese differenzierende Unterscheidung zwischen Gott und der Bibel uns dazu anhält, die Bibel historisch-kritisch zu betrachten. Er kann nicht erklären, warum wir als Menschen das Recht haben, über die Bibel zu richten, wo doch nach seinen eigenen Aussagen die Autorität der Bibel über der Autorität der Kirche steht (S. 51). Letztlich geht seine Argumentation am Eigentlichen vorbei!

So bleibt das Buch eine interessante Lektüre, die einerseits zum Nachdenken anregt, andererseits allerdings auch unberechtigte Zweifel in die Vertrauenswürdigkeit der Bibel sät. Mit Sicherheit wird sie aber den Riss in der Christenheit hinsichtlich der Stellung zur Bibel nicht überwinden – vielleicht deshalb, weil er nicht in diese Richtung überwunden werden darf. 

 Die Rezension/Kritik stammt von: Stephanus Schäl und Joachim Klotz
 Kategorie: Sonstiges

  Verlag: Vandenhoeck & Ruprecht GmbH & Co. KG
  Jahr: 2012
  ISBN: 978-3525573068
  Seiten: 224
 €    Preis: 23,00 Euro