Paulus bis zum Apostelkonzil
Autor: Ruth Schäfer
Die vorliegende Studie ist ein wichtiger Beitrag zum Verständnis der Frühzeit des Paulus, zum biographischen Teil des Galaterbriefs, zur Paulusdarstellung der Apostelgeschichte und zur Geschichte des Urchristentums. Nach einer knappen Einleitung, die Prämissen und Verlauf der Arbeit beschreibt, bietet Schäfer im ersten Teil eine detaillierte Auslegung von Galater 1.13-2.21, dem einzigen Abschnitt in den Paulusbriefen, in dem Paulus relativ ausführlich einen autobiographischen Rückblick auf seine Frühzeit als Christ hält (11-288). Dabei geht es um die Darlegung des göttlichen Ursprungs des paulinischen Evangeliums (Gal 1.13-24), dessen Anerkennung in Jerusalem (Gal 2.1-10) und den Widerstand des Paulus gegenüber Petrus zugunsten der Verteidigung seines Evangeliums in Antiochia (Gal 2.11-21). Diese Angaben des Galaterbriefs werden durch weitere autobiographische Notizen ergänzt. Ihrer Auslegung legt Schäfer in dem einführenden Kapitel, das die Einleitungsfragen zum Galaterbrief ausführlich behandelt (13-75), eine ungewöhnliche These zugrunde: Der Galaterbrief ist an die Gemeinden in der Provinz Galatien geschrieben, die auf der ersten Missionsreise von Paulus und Barnabas gegründet wurden (Frühdatierung der Gemeindegründung, 56-66, 290-315; eine Position, die auch von evangelikalen Exegeten geteilt wird). Der Brief ist aber nicht unmittelbar nach Gründung der Gemeinden geschrieben worden (vielleicht sogar noch vor dem sog. Apostelkonzil), sondern relativ spät, nämlich zwischen der korinthischen Korrespondenz und dem Römerbrief (Spätdatierung des Briefes, 15-20, 26-32). Während diese These die Nähe des Galaterbriefs zum Römerbrief erklären hilft (Auseinandersetzung mit Judaisten und Entfaltung der Rechtfertigungsbotschaft; vgl. 320-35) bleiben andere Fragen offen. Nach Schäfer hatte das Apostelkonzil von Apostelgeschichte 15 zur Zeit der Abfassung des Galaterbriefs zwar bereits stattgefunden. Aber sein Beschluss hatte nur regionale und sehr begrenzte Gültigkeit (481f), was dessen Nicht-Erwähnung im Galaterbrief erklären würde. Zu fragen ist, ob diese Einschätzung der zentralen Rolle von Apostelgeschichte 15 im Gesamtaufbau der Apostelgeschichte gerecht wird und ob das Fehlen von Hinweisen im Galaterbrief – trotz der hohen Brisanz des Beschlusses für die Situation in Galatien – nicht besser mit einem frühen Datum der Abfassung des Galaterbriefs vor dem Konzil zu erklären ist (so auch die Zeitangabe in 1.6: „dass ihr euch so bald abwenden lasst“, dazu Schäfers Ausführungen auf S. 56f, die m. E. nicht überzeugen). Der Hinweis auf die galatischen Gemeinden in den Kollektennotizen in 1 Kor 16.1-4 („... wie ich in den Gemeinden in Galatien angeordnet habe“, 20-26) bezieht sich dann auf eine spätere Zeit, die einen gewissen Erfolg des Galaterbriefs bei seinen Adressaten voraussetzt. Schäfer diskutiert die theologiegeschichtliche Einordnung des Galaterbriefs und schildert ausführlich den Konflikt in Galatien (35-56). Ferner argumentiert Schäfer gekonnt dafür, den Bericht des Galaterbriefs über den Jerusalembesuch nicht mit dem sog. Apostelkonzil von Apostelgeschichte 15 gleichzusetzen, sondern mit dem in Apostelgeschichte 11.27-30 erwähnten Jerusalembesuch (4, 447-56), was zu einer größeren Übereinstimmung zwischen Galaterbrief und Apostelgeschichte führt. Teil zwei untersucht „Paulus zwischen Galatien, Jerusalem und Syrien-Zilizien: Die lukanische und die paulinische Darstellung der Kontakte des Paulus zu den ersten ihm bekannten Gemeinden“ (289-472). Dazu gehören die Kontakte des Paulus nach Galatien (290-335, Lokalisierung der Gemeinde, Einordnung der Rechtfertigungsverkündigung), die Kontakte des Paulus nach Jerusalem (336-402, seine Aktivität als Verfolger, das Problem der Jerusalemreisen, der Ausgang des Evangeliums von Jerusalem und die letzte Reise ins Leiden), die Kontakte des Paulus nach Syrien und Zilizien (403-72, seine Bekehrung, frühe missionarische Wirksamkeit, der Hungerhilfebesuch von Apostelgeschichte 11.27-30 mit der Begegnung mit den Jerusalemer Aposteln – vgl. Galater 2.1-10 -, der sog. antiochenische Zwischenfall - Gal 2.11-14 -, Vorgeschichte und Beschluss des Apostelkonzils). Schäfer geht dabei oft weit über den Galaterbrief und die Frühzeit des Paulus hinaus. Auch in diesem Teil wäre eine größere Nähe zum Text der Apostelgeschichte, wie sie im ersten Teil bezüglich des Galaterbriefs durchgehalten wird, hilfreicher gewesen. In einer Studie diesen Umfangs und mit diesem Titel überrascht zum Beispiel, dass der ersten Missionsreise gerade einmal eineinhalb Seiten gewidmet werden (457f; dazu vgl. E. J. Schnabel, Die urchristliche Mission; Wuppertal, Zürich: R. Brockhaus, 2002, 887-1077, Schäfer hat Schnabels umfangreiche Studie nicht eingesehen). Durchweg wird der Geschichtswert der Apostelgeschichte zu Recht viel höher eingeschätzt, als es in der neutestamentlichen Forschung geläufig ist (vgl. dazu Schnabel, Urchristliche Mission, 23-36). Ferner ist positiv zu vermerken, dass Schäfer mit der ganzen Bandbreite deutschsprachiger und internationaler Forschung im Gespräch ist, evangelikale Beiträge mit wenigen Ausnahmen aufnimmt und gebührend berücksichtigt. Abschließend werden die durchweg interessanten Ergebnisse zusammengefasst (473-89, Einleitungsfragen, Bekehrung des Paulus und die folgende Heidenmission, die Verteidigung des antiochenischen Gemeindekonsenses, die Ausformung der paulinischen Rechtfertigungsbotschaft, Beitrag zur Biographie des Paulus). Die paulinische Mission ist bestimmt vom „‚antiochenischen Modell’ einer gelebten Geschwisterschaft von Christen aus Juden- und Heidentum in den Gemeinden. Nicht die Gründung (rein) heidenchristlicher Gemeinden, sondern Förderung und Schutz der gelebten Wirklichkeit in den gemischten Gemeinden seines Wirkungsfeldes stellt das eigentliche Lebensprojekt des Paulus dar“ (478), ein Modell, das alle christlichen Gemeinden bis heute herausfordert (u.a. die Gründung sog. „messianischer Gemeinden“) und manche moderne Gemeindebauprinzipien hinterfragt (z.B. kein „homogeneous unit“; vgl. C. P. Wagner, „Homogeneous Unit Principle“, in A. S. Moreau, hrsg., Evangelical Dictionary of World Missions; Grand Rapids: Baker, 2000, 455). Der Zusammenfassung folgt eine ausführliche Pauluschronologie (490-94), die die wesentlichen Ergebnisse widerspiegelt. Zu begrüßen ist ebenfalls der abschließende „Ausblick auf mögliche Aktualisierungen“ (495-500), in dem Schäfer versucht, wesentliche Einsichten ihrer Studie für ihre römisch- katholische Kirche fruchtbar zu machen. Ein ausführliches Literaturverzeichnis (501-81) sowie verschiedene Register runden den Band ab. Insgesamt eine anregende und wichtige Studie für die Forschung. Ferner bietet die ausführliche Auslegung von Galater 1.13-2.21 im ersten Teil manche Hinweise zur homiletischen Bearbeitung.
Die Rezension/Kritik stammt von: Christoph Stenschke
Kategorie: Kommentare, Auslegung, Lexika