Lexikon der Irrtümer des Neuen Testaments
Autor: Walter J. Langbein
In Erwartung eine einigermaßen vollständige Liste aller Irrtümer und Widersprüche vorzufinden, die man der Heiligen Schrift anlastet, schlägt man vielleicht die beiden Titel von Walter-Jörg Langbein auf. Leider sind die Bücher in dieser Hinsicht eine Enttäuschung. Der Titel selbst ist ein Irrtum oder eher ein Marketing-Instrument. Die beiden vorliegenden Bücher vereinigen ein alphabetisch geordnete Sammlung von kurzen Artikeln zu Widersprüchen in der Bibel und zu populären Irrtümern über einzelne Bibelstellen, zu Irrtümern von Theologen und zu schwer verständlichen Aussagen, zu Zweifeln an historischen Schilderungen der Bibel und modernen Empörungen über Ansprüche, die die Bibel stellt. Walter-Jörg Langbein möchte mit seiner Sammlung die wahre Bedeutung der Bibel unterstreichen: „Wenn wir den umfangreichen Text auf Fehler und Irrtümer hin untersuchen, tritt die wahre Bedeutung der Bibel noch stärker in den Vordergrund“ (LbI 311). Denn die religiöse Bedeutung der Bibel als „menschlicher Versuch einer Annäherung an Gott“ trete erst dann richtig ans Licht. „Wer leugnet, dass die Bibel Irrtümer enthält, der tut der Bibel keinen Dienst, im Gegenteil, sondern unterstützt falsches Entweder-oder-Denken: Entweder die Bibel ist fehlerfrei und wichtig für das Leben der Menschen, oder sie irrt und hat uns nichts zu sagen“. Da aber Langbein bemerkt, dass die Bibel „oft bewusst den Anschein (erweckt), ein genaues Geschichtswerk zu sein“ (LbI 159), er aber zugleich sowohl den historischen als den moralischen Anspruch der Bibel ablehnt, stellt sich die Frage, was dann bleibt. Es ist – wie bei anderen Theologen mit ähnlichen Auffassungen über die Bibel – das recht frei verstandene Gebot der Nächstenliebe. Die Artikel selbst stammen zwar alle vom selben Autor, sind aber höchst unterschiedlicher Qualität. Langbein hat Theologie studiert, lässt aber nur eine schmale Basis erkennen. Als Gewährsleute im Alten Testament gelten ihm Georg Fohrer und der Reißer von Finkelstein und Silberman "Keine Posaunen vor Jericho". Im Neuen Testament dürfen es Lüdemann oder Pinchas Lapide sein. Zugute halten muss man ihm aber, dass er sich auch mit einigen bibeltreuen amerikanischen Autoren beschäftigt. Allerdings dienen sie ihm fast ausschließlich als Ewiggestrige, die einen erheiternden Hintergrund für die angeblich neusten Erkenntnisse bieten. Was sind die Aktiva der beiden Bücher? Langbein spricht ein paar fragliche Stellen an, die eine genauere Untersuchung lohnen: so etwa die Geschichte von David und Goliath oder einige Unstimmigkeiten, wenn es um Zahlenangaben geht. Auch die Bedeutung der Prophetenworte auf den Messias hin oder die Rolle von Elia in den Evangelien gibt einiges zu bedenken (LINT 195-200). Langbein besteht aber monoton auf „Irrtum“, ohne jemals zu sagen, wie er das Wort versteht und obwohl er gelegentlich auch andere Möglichkeiten erwägt.Warum die Einseitigkeit? Zu Recht macht er doch selbst verschiedentlich auf Übersetzungsprobleme aufmerksam, die den heutigen Leser leicht in die Irre führen können und dann einen Widerspruch produzieren, wo keiner ist. Manches in den Lexika ist auch selber widersprüchlich. Etwa wenn Langbein es erst für unmöglich hält, dass das Volk Israel in Ägypten aus 70 Personen in 4(?) Generationen zu einem Volk von 2 Millionen geworden ist, um in einem anderen Artikel zu sagen, dass die Generationen innerhalb von 430 Jahren lebten. Nun braucht es keine allzu große Vermehrungsrate, um in rund 400 Jahren auf 2 Millionen zu kommen. Einmal kreidet Langbein König David eine mangelnde moralische Einstellung an, weil er gegen die Gebote Gottes verstieß und die Ehe brach, dann hält er die moralische Vorstellung von ehelicher Treue für einen „Irrtum“. Allzu oft sind „Irrtümer“ der Bibel einfach dann gegeben, wenn Langbein apodiktisch feststellt, es sei nicht so gewesen: Jona nicht im Bauch des Fisches, David nicht in Jerusalem, Josua nicht in Jericho, Israel nicht in Ägypten, Jesus nicht auf dem Wasser und nicht auferstanden. Und warum soll es nicht so gewesen sein? Die Begründungen sind fast immer schwach: es gebe keinen archäologischen Beweis oder man kann die Sache auch anders erklären als es in der Bibel steht. Warum aber eine Erklärung, nur weil sie uns näher liegt oder dem modernen Lebensgefühl entspricht, darum auch wahr sein soll, dass wird uns nirgends offenbart. Manchmal stellt Langbein wenigstens noch beide Positionen, Vertrauen oder Skepsis, zur Auswahl und fragt zweideutig: „Wer mag im Recht sein?“ Aber zwischen all dem finden sich auch kleine Schätze. So zeigt Langbein, dass es ein Irrtum ist, der Bibel ein Weltbild mit der Erde als Scheibe zu unterstellen. So hat man weder im Mittelalter noch in antiken Zeiten gedacht. Biblische Aussagen passen ganz gut zu moderner Naturwissenschaft. Oder er deckt den verbreiteten Irrtum auf Jesus habe als Zimmermann hölzerne Hausdächer aufgerichtet. Aber dies und einiges mehr in dieser Richtung sind eben keine Irrtümer der Bibel, sondern Irrtümer über die Bibel. Dass solche Irrtümer genauso populär sein wie auch den Anstrich von theologischer Wissenschaft besitzen können, wird gut deutlich. Und beide Sorten gehören bestimmt ausgeräumt. In dieser Hinsicht ist der Band über das Neue Testament übrigens wesentlich gehaltvoller als der erste über die ganze Bibel. Kurios wird es da, wo Langbein seine eigenartigen „Erkenntnisse“ über „Jesus als Schamane“, der „Jenseitsreisen“ lehrte, ins Spiel bringt. Da schwappt das andere Interessengebiet des Autor herüber: Er hat auch ein Buch über Esoterik und eines über Nostradamus geschrieben. Spätestens damit wird klar, dass die vorliegenden Titel trotz einiger guter Artikel und berechtigter Anfragen an Bibelstellen hauptsächlich Verwirrung stiften. Nur wer gut geschult in der Lage ist, Spreu vom Weizen zu trennen, hat von den Büchern Gewinn. Ich habe mir vorgenommen, den drei vier interessanten Problemen, auf die Langbein aufmerksam macht, genauer nachzugehen. Außerdem scheint es mir lohnend, dass man verbreitete Irrtümer über die Bibel aufdeckt. Das kann nämlich durchaus helfen, dass man der Bibel nicht seine eigenen Irrtümer unterstellt.
Die Rezension/Kritik stammt von: Thomas Jeising
Kategorie: Sonstiges