Lebendige Zellen
Autor: Ralph Shallis
In seinem Buch will Ralph Shallis, ein ehemaliger Missionar in Algier, seine besonderen Entdeckungen bezüglich der Gemeinde mitteilen. Dabei wendet er sich immer wieder an seine "jungen Brüder", die er in Ekklesiologie unterweist, auf Verfolgung und Abfall aufmerksam macht und zu Evangelisation motiviert. Shallis ist von der "Meisteridee Jesu Christi", die Gemeinde als Zelle zu konzipieren, begeistert. Er beobachtet diese Idee, die effektives Leben ermöglicht, auch in anderen Bereichen: in der natürlichen Schöpfung (98), in der Geschichte (106) und in persönlichen Erfahrungen (144). Insbesondere ist er beim Studium der Evangelien von den Gedanken Jesu über die Gemeinde so beeindruckt, dass sie sein "ganzes Verständnis von der Gemeinde und vom Werk Gottes verändert" (103). So spricht er eine Reihe von Themen an, die sich alle um die "lebendige Zelle" drehen. Sowohl der Inhalt als auch der sprachliche Stil des Buches spiegeln diese Entdeckung wieder. Letzterer ist abwechslungsreich und "zielorientiert": Sein Ton ist einmal systematisch lehrend, dann auch zuredend und appellierend, er redet einmal wie einer, der (fast zu) selbstbewusst seine Meinung vertritt, dann wieder wie ein väterlicher Seelsorger: "Nun, mein junger Bruder!" (151). Die ersten drei Kapitel entfalten den ersten Schwerpunkt: die Lehren Jesu im Blick auf seine Gemeinde. Der Autor ist überzeugt davon, dass hier die Quellen der Ekklesiologie liegen. In Kapitel 2 und 3 präsentiert er Jesu Lehren in Form von zehn Lektionen. Dieser Unterrichtsstil ist im Blick auf die Absicht des Buches, biblische Lehre lehren zu wollen, sinnvoll. Gelehrt muss werden, sagt Shallis, um "in den Wahrheiten des Evangeliums fest gegründet zu werden, damit Christen in der Verfolgung und inmitten des Abfalls bestehen und sich bis ans Ende unaufhaltsam vermehren können" (97). Diese drei Aspekte bilden den zweiten Schwerpunkt des Buches. Man merkt, wie sie den Verfasser zutiefst bewegen. Dennoch wurden sie von ihm nicht auf Grund dieser emotionalen Ergriffenheit, aber auch nicht willkürlich ausgewählt. Er sieht sie in der Gemeindelehre des Herrn eindeutig vorgegeben (72). Ralph Shallis ist sich darüber im Klaren, dass nicht jeder im Einzelnen mit seiner Bibelauslegung einverstanden sein wird. Er kennt die Auslegungsdifferenzen insbesondere in Endzeitfragen. Aber seine grundsätzliche Haltung dazu ist edel und pragmatisch zugleich: "Ich suche keineswegs Streit mit meinen Brüdern, die das anders sehen. Ich bitte lediglich, dass sie mit uns allen die Herausforderung unseres Meisters annehmen und uns in der Ausführung seines Befehls ermutigen und unterstützen." (94) In diesem Zitat - und streckenweise im ganzen Buch - offenbaren sich sowohl die Stärken als auch die Schwächen dieser Haltung. Die Stärken sind Weitherzigkeit, Eifer und auch Gründlichkeit in der Ausarbeitung spezieller Themen des Buches. Die Schwächen sind Schwächen eines Eiferers. Er ist um der Sache willen, die er gerade energisch thematisiert, bereit, auf die Berücksichtigung der Komplexität dieser Sache zu verzichten. Dies ist aus didaktischen Gründen auch oft unumgänglich. Wenn aber dazu bewusst aufgefordert wird, dann droht die Wahrheit zu kurz zu kommen. So sind seine wiederholten Aufforderungen die Dinge nicht zu komplizieren, im Blick auf moderne Tendenzen sehr gewagt. Die evangelistische Botschaft nicht zu komplizieren ist richtig, aber dennoch ist sie umfassender als nur das, was "ködert". Den Gemeindebau nicht zu komplizieren ist auch richtig, aber er ist doch mehr als eine sich selbst organisierende Zelle. Gemeindebau hat - trotz negativer Erfahrungen mit überstrukturierten und überorganisierten Kirchen - doch Strukturierung und Organisation nötig. Dies lehrt zwar weniger Jesus, dafür aber später seine Apostel! Auch die Lebens- und Evangelisationspraxis nicht zu komplizieren ist richtig, aber beides vollzieht sich nicht nur im Rahmen und auf Grund von Erfahrungen der jeweiligen Generation. Schlichte Nachfolge, schlichte Lehre und schlichter Dienst dürfen nicht dahingehend missverstanden werden, dass sie die Erfahrungen der vorhergehenden Generationen möglichst unberücksichtigt zu lassen hätten. Eine negative Einstellung zu Tradition und allem Bestehenden ist im Buch unverkennbar. Auf dem Hintergrund einer Überbewertung der Tradition mag mancher Leser damit übereinstimmen. Dennoch schwächt diese zum Teil unterschwellige, aber auch offen vorgetragene Meinung die guten Anliegen des Buches. Das Buch ist klar bibelorientiert. Es will zum Gemeindebau und generell "für die Zukunft" motivieren. Angesichts dieser Zielsetzung ist es aber ungeschickt, wenn das Vergangene oder auch Gegenwärtige immer wieder stark diskreditiert wird. Pauschal viele Gemeinden mit "Kühlschränken" oder gar "Friedhöfen" zu vergleichen - der Übersetzer setzt sogar den Ausdruck "Tollhäuser" hinzu (153) - ist mindestens unpassend. Man empfindet Unbehagen bei derart scharfen Urteilen. Hätte etwa Paulus Vergleichbares über eine Gemeinde Christi geschrieben? Spätestens an dieser Stelle fällt auf, dass der Verfasser in seiner Abhandlung zu wenig die neutestamentlichen Briefe berücksichtigt. Gerade diese Teile der Heiligen Schrift hätten wertvolle Ergänzungen zum Thema "Gemeinde" geboten und manche Einseitigkeiten vermeiden lassen. Dennoch ist das Buch lesenswert. Die gründliche Betrachtung der Evangelien ist ein wertvoller Beitrag zum besseren Verständnis der Gedanken des Bauherrn Jesus Christus über seine Gemeinde.
Die Rezension/Kritik stammt von: Otto Wiebe
Kategorie: Gemeinde, Gottesdienst, Leitung
Jahr: 2000
ISBN: 3-89397-269-2
Seiten: 158
€ Preis: 7,50 Euro