Buch-Rezension: Ist das Gehirn schuld? - Krankheit und Verhalten - eine biblische Sicht

Ist das Gehirn schuld?

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In den vergangenen Jahren sind im deutschsprachigen Raum einige wertvolle Bücher herausgegeben worden, die sich kritisch mit dem Einfluss der Psychologie auf die biblische Seelsorge befassen. Für hilfesuchende Geschwister mit psychischen Problemen gibt es jedoch noch eine andere Gefahr, die nicht unterschätzt werden sollte. Der Anspruch der Neurowissenschaften, das menschliche Verhalten auf einer medizinisch-biologischen Grundlage zu erklären, ist im vergangenen Jahrzehnt stark gefestigt worden.

Die Ursachen für psychische Probleme werden heute nicht mehr vorrangig in der frühen Kindheit, sondern in Störungen neurochemischer Transmittergleichgewichte gesucht. Dies führt dazu, dass alle möglichen Störungen und von der Norm abweichenden Verhaltensweisen den Status einer organischen Krankheit bekommen und eine Therapie konsequenterweise primär auf der körperlichen Ebene, dass heisst in der Regel mit Psychopharmaka, ansetzt.

Dieses reduktionistische Menschenbild der biologischen Psychiatrie, in dem die Seele, Schuld und Vergebung keinen Platz mehr haben, ist jedoch kritisch zu hinterfragen. Die Zahl der Geschwister, welche die Lösung psychischer Probleme durch eine medikamentös-psychiatrische Behandlung erwartet, ist besorgniserregend hoch. Fast alle von uns kennen jemanden, der Ritalin, Fluctin, Valium oder ein anderes Psychopharmakon einnimmt.

Die biblische Seelsorge steht schweren psychischen Problemen wie endogenen Depressionen, Psychosen, der Borderlinestörung oder der dissoziativen Persönlichkeitsstörung gegenüber und in diesen Fällen wird in der Regel an einen Psychiater verwiesen. Hier stellt sich uns die grundlegende Frage, was das Wort Gottes zu dieser Problematik zu sagen hat.

An diesem Punkt setzt das Buch von Welch an. Der Untertitel in der englischen Ausgabe „Die Unterscheidung von Störungen (neuro)chemischer Gleichgewichte, Gehirnkrankheiten und Ungehorsam“ fasst die Zielsetzung und den Inhalt gut zusammen. Der Autor hat einen Doktorgrad in Neuropsychologie und ist Professor für Praktische Theologie. Er hat eine Reihe von Büchern zum Thema Seelsorge geschrieben, von denen schon eins in deutscher Sprache erschienen ist (Befreit leben, 3L-Verlag).

Im ersten Teil des Buches wird das biblische Menschenbild vorgestellt. Das Körper-Geist Problem wird ausführlich diskutiert. Der Autor vertritt ein dichotomes Menschenbild, wobei biblische Begriffe für den immateriellen Teil des Menschen wie Geist, Seele, Verstand/Gemüt und Herz, synonym verwendet werden. Dieser Teil des Buches ist nicht etwa „graue Theorie“, sondern hat ganz praktische Konsequenzen bezüglich des Umgangs mit psychischen Problemen.

Der zweite Teil besteht aus drei Kapiteln, in denen verschiedene Grade einer möglichen organischen Störung als Ursache der psychischen Probleme behandelt werden: 1. Das Gehirn ist schuld, 2. Das Gehirn ist vielleicht schuld, 3. Das Gehirn ist nicht schuld.

In jedem dieser Kapitel wird die Problematik jeweils an zwei konkreten Störungsbildern diskutiert. Im ersten dieser Kapitel werden psychische Störungen bei Demenz und Hirnverletzungen (Schädel-Hirn-Trauma) behandelt. Die Ausführungen sind sehr praktisch und hilfreich. Das nächste Kapitel beschäftigt sich mit Depressionen und ADS/ADHS (Aufmerksamkeitsstörung, „Zappelphilipp-Syndrom“).

Im letzten Kapitel werden als Beispiele Homosexualität und Alkoholismus besprochen.

Der Autor gibt dem Seelsorger wichtige Entscheidungskriterien in die Hand, um die Ursachen bzw. Einflüsse von Gehirn und „Herz“ zu unterscheiden. Das Herz ist das „Zielorgan“ der biblischen Seelsorge, die Behandlung zerebraler Störungen gehört in die Hand eines guten Arztes. Doch auch beim Vorliegen zerebraler Störungen liegt meist eine Beteiligung des „Herzens“ vor, die seelsorgerlich angegangen werden sollte. Die von Welch ausgearbeiteten Unterscheidungskriterien lassen sich auch auf andere, in diesem Buch nicht behandelte Störungsbilder, anwenden.

Dieses Buch ist mit seinem Fokus einer biblischen Beurteilung der Neurowissenschaften im deutschsprachigen Raum das Erste seiner Art. Wir möchten es jedem Seelsorger und allen an dieser Thematik interssierten Geschwistern ganz herzlich empfehlen. Für eine Neuauflage dieses Buches wünschen wir uns eine zusätzliche Besprechung von weiteren wichtigen Problembereichen wie Essstörungen (Magersucht, Bulimie), Angsterkrankungen und Psychosen.

 Die Rezension/Kritik stammt von: M. Schumacher
 Kategorie: Seelsorge, Hoffnung, Lebenshilfe

  Verlag: 3L Verlag
  Jahr: 2004
  ISBN: 978-3935188289
  Seiten: 192
 €    Preis: 12,50 Euro

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